19. Die Suppe nicht schlürfen!

[124] Der gute Ferdinand hat schon mittags zu Hause nur wenig gegessen, um zum Abendessen einen anständigen Hunger (Ferdinand sagt immer: Kohldampf) mitzubringen. Es hat sich nämlich bereits herumgesprochen, daß der Gastgeber eine prima Küche führt. Im übrigen wird Ferdinand mindestens zwei Mark fünfzig für einen »Riechebusch« ausgeben. Das muß abgefuttert werden. Ehrensache!

Das Knurren seines Magens nimmt schon fast beängstigende Formen an, als die Suppe aufgetragen wird. Mit hastigem Elan ergreift er das Mundtuch, um eine Ecke davon mit nicht ganz stillverhaltener Leidenschaft hinter seinen Kragen zu würgen. Ja, Ferdinand ist ein praktischer und vorsorglicher Mann. So kann beim Essen nichts auf seinen guten Anzug fallen.

Er hat Glück, denn er ist einer der ersten, dem serviert wird. Seine weitaufgerissenen Augen scheinen die noch größeren Fettaugen auf der Suppe verschlingen zu wollen. Schon hat er den Suppenlöffel in der Hand, den er zunächst gründlich mit dem Mundtuch abwischt, um damit zu dokumentieren, daß er ein sehr sauberer Herr ist. Und während den andern Gästen noch serviert wird, schlürft er mit heimlichem Triumph die ersten Löffel Suppe mit Behagen ein. Verdammt juchhe! Die Suppe ist noch scheußlich heiß. – Macht aber fast gar nichts. Jedesmal pustet er mit vollen Backen kräftig über den gefüllten Löffel hinweg. So geht es schon bedeutend besser.

Ferdinand ist ein ausgesprochener Genußmensch, darum ist es ihm Bedürfnis, daß beim Essen möglichst alle menschlichen Sinne auf Empfang eingestellt sind. Daher das Schlürfen. Es schmeckt ihm nicht nur sichtlich, sondern auch hörbar. – Zugleich zerlegt seine Linke den Inhalt des neben ihm liegenden Brötchens in Krümelchen, aus denen er mittels Daumen und Zeigefinger allerliebste kleine Kügelchen formt, die zunächst weiß sind, sich aber allmählich grau verfärben. Ein neckisches Spiel!

Mühsam holt – man könnte besser sagen: kratzt – Ferdinand das letzte Tröpfchen Suppe heraus, schnappt noch einmal nach einem winzigen Stückchen Einlage, legt dann[124] sehr behutsam den Löffel zur Seite, fährt mit der freien Ecke des Mundtuchs über den Mund, schiebt den geleerten Suppenteller weit von sich und schaut sich erwartungsfreudig um, ob sich nicht schon der nächste Gang irgendwie bemerkbar macht. – –

Nante, Nante, wie hast du dich vorbeibenommen! Du hast wirklich alles falsch gemacht, drum hör' mal schön zu!

Nie dürfen deine Blicke und Gesten verraten, daß dich der Hunger plagt, denn Gier ist eine sehr häßliche Eigenschaft. – Komme nie völlig ausgehungert zu einem Gastgeber. Zeige dich schön geduldig, sei zurückhaltend und beginne erst dann zu essen, wenn alle die Suppe vor sich haben und der Gastgeber »Gesegnete Mahlzeit!« gewünscht hat. Das Mundtuch (Serviette) gehört grundsätzlich nur auf die Oberschenkel. – Wohl in einer Gaststätte, nie aber in einem Privathaus darfst du vor dem Essen Löffel, Messer oder Gabel mit dem Mundtuch abwischen. Du wirst doch die Sauberkeit der Hausfrau nicht anzweifeln wollen! – Die Bewegungen deiner Kinnladen, deiner Lippen und der Zunge dürfen nie hastig und müssen immer geräuschlos sein. Sonst fällst du den übrigen Tischgenossen auf die Nerven und verdirbst ihnen den Appetit. – Trockenes Brot sollst du zwar nicht schneiden, sondern brechen, aber, wenn du damit spielst, verstößt du sehr gegen die Gesetze des Anstands und der Ästhetik. – Leere den Suppenteller nicht sorgsam bis auf den allerletzten Tropfen. – Lege, wenn der Teller leer ist, den Löffel lautlos darauf und laß den Teller so lange vor dir stehn, bis er von hilfsbereiter Hand fortgenommen wird.


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Ist der Hinweis heute noch nötig, daß man den Fisch nicht mit dem Messer essen darf? – Wohl kaum. Aber die Zahl der Vorschriften für ein richtiges Benehmen bei Tisch und für ein richtiges Essen ist sehr groß. All diesen einzelnen Fragen ist in dem Buch »Wir erwarten Gäste«, das sich, im Augenblick in Arbeit befindet und in Kürze vom gleichen, Verlag erscheinen wird, ein besonders breiter Raum zugewiesen. Es wird darin auch auf die Eßweise eingegangen, die beim Verzehren seltener Gerichte zu beachten ist und die schon manchen Neuling vor eine peinliche Situation gestellt hat.[125]

Was von der Erziehung und Persönlichkeit eines Menschen zu halten ist, beweist in den meisten Fällen sein Benehmen bei Tisch und eine tiefe Wahrheit spricht aus dem Wort:

Zeige mir, wie er ißt und ich will dir sagen, wie er ist.

Quelle:
Volkland, Alfred: Überall gern gesehen. Mühlhausen i. Thüringen 1941, S. 124-126.
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