Über unsere Aufklaerung und den Einfluss unsrer Philosophien auf die Sitten in Teutschland

Die Weisheit wird durch ihre Schüler gerechtfertiget.

Marth. XI. 10.


Opinionum commenta delet dies, nature Judicia confirmat.

Cicero.
[29]


Niemals, sagen sie, ist die Wahrheit den Menschen schädlich. Ich glaube es, wie sie, und das ist meiner Meynung nach ein grosser Beweis, dass das, was sie lehren, nicht die Wahrheit ist.


Rousseau.
[30]


Eh! quel temps fut jamais en vices plus fertile,

Quel Siecle d'ignorance, en beaux faits plus sterile,

Que cet Age nommé Siecle de la raison?

Gilbert.


Im Ernste? Freund! – mein Brief hätt' den Verdacht

In dir erregt, als reiss' der jüngsten Zeitgeschichte

Greu'lvoller Strohm auch mich mit ungestümmer Macht

Zur grossen Zunft, die zwar noch erst der Nacht

Geflucht, doch jezt gleich wüthend flucht – dem Sonnenlichte?

Wie kannst du, Freund! von meiner Führerinn –

Vernunft solch eine klägliche Bekehrung

Argwöhnen? – Ja wär' ich vorhin[31]

Auf dem Extrem des Taumels von Aufklärung

Herumgetanzt mit eitelm Flattersinn,

Denn wär's begreiflich, wie sich dieser Sinn

Auf's Nacht-Extrem der Enlen jezt gewendet hätte.

Auch dann wär' die Verkehrung zu versteh'n,

Hätt' ich von der Einbildung schwärmerischen Höh'n

In der Aufklärung nur die Brecherinn der Kette

Des Vorurtheils und frommer List geseh'n,

Und blind geträumt, dass sie von allem Bösen rette.

Allein, du weisst, die Leuchte, die die Zunft

Der Philosophen, wie sie sagen,

Im Namen menschlicher Vernunft,

Zur Schau der ganzen Welt emporgetragen,

Hat meinen schlichten Hausverstand

Bis zur Abgötterey niemals geblendet,

Zwar war's ein Fest für mich, so oft ich fand,

Dass irgend ein Trugspiel, das dich, o Menschheit! schändet,

Vor ihres Lichtes Kraft verschwand,

Und dass dieselbe Kraft manch rost'ges Sklavenband,[32]

Womit die Herrschsucht einst die Völker an sich knüpfte,

Dadurch zur leichtern Zauberkette wand,

Dass sie den mysterjösen Schleyer lüpfte,

Der bisher: Recht des Volks und Herrscherpflicht

Verbarg. Doch meinem unbefangnen Blick entschlüpfte

Die durch das Licht bewirkte Blendung nicht, und nicht

Der Tross der durch die Blendung aufgewühlten

Affekte, die, ein Lichtbild am Gesicht,

Sich für befreyte Lichtapostel hielten,

Und nur ihr Spiel um desto unverschämter spielten,

Als sie zum Schein das allgemeine Wohl bezielten,

Durch diesen Zweck die Mittel heiligten,

Und auf das grosse Heer von Hindernissen,

Die ihrem Wagestück entgegenstiessen,

Mit giftiger Satyre niederblinzelten,

Ob gleich des Staats Schutzgöttinnen –

Die Ruh' und Sittlichkeit an seiner Spitze waren.

Daher sie auch vielleicht mehr Uebels stifteten,

Als seit sechs tausend Jahren[33]

Des Vorurtheils und Trugs verrufne Janitschaaren.

Auch blieb von mir der traurige Kontrast

Nicht unbemerkt, den der Aufklärung Mäzenaten

Auf Fürstensthülen und im Goldpalast

Vom Weyhrauch kriechender Illuminaten

Benebelt, zwischen ihren Thaten,

Und der dem Volk verlieh'nen Sehekraft

Zu machen nicht gescheu't. – Dass diese Protektoren

Des Lichtes Ihm den Untergang geschworen,

Seitdem es, statt des Weyhrauchs – Aufruhr schafft,

Der, zu dem höchsten Rausch der Freyheitswuth gegohren,

Auf Trone stürmt, und Tronen niederrafft,

Dies wundert mich so wenig jezt, als das Gebelle

Der Löwenlecker an dasselbe Licht,

Dem sie erst huldigten, als jeden Gutes Quelle.

O Freund! ich wüste diesem launigten Gezücht

Am Pantheon der Wahrheit keine Stelle,

Als die des Wetterhahns, der sklavisch spricht,

Wie ihn des Windes Majestät soufflieren. –

Nicht die der Wahrheit selbstgeschnitztes Götzenbild

Mit blendendem Geschmeid' verzieren,[34]

Und ihm mit Wortgepräng am eifrigsten hofiren

Sind ihre Freunde. Still und mild,

Wie Odem, der dem Blumenkelch entquillt,

Ist ihres Freundes Dienst. Leckt aber wild

Und unerbittlich der Verfolgung Feuer

An ihren Thron, dann bleibt sie ihm nicht minder theuer

Ihr Misgeschick auf irrdischem Gefild'

Macht ihn vielmehr in seinem Dienst noch treuer,

Den er ihr nicht um schnöden Sold,

Und mehr durch Handeln, als mit Worten zollt.

Zwar titeln stolz der Wahrheit Lippendiener

Den Klingklang ihres Diensts – Philosophie,

Und, gelb vom Seckten-Neid, beklecksen sie

Das Häufchen Wahrheitsfreunde, das mit Titteln nie

Sich schmückt, – mit Ist und Ast, mit Aner und mit Iner

Allein ich dächte doch, die Wahrheit werde nur

Durch die Philosophie gedienet und verehret,

Die, ohne Namen, am Leitbande der Natur

[35] Uns von der Dinge wahrem Werth belehret,

Vor Klippen warnt; den Knäu'l des Trugs entwirrt,

Mit starken Waffen vor dem Laster wehret,

Und so zur Seligkeit und Tugend führt.


Von diesem Kompass orientirt,

Entschwingt sich oft mein Geist dem wimmelnden Gedränge

Der Welt, wo sich im Dunkel der Mäandergänge

Der Wahrheitssinn so leicht verliert,

Von Dunst benebelt, und von süsser Zauberklänge

Sirenenlist in Phantasey'n gewieget wird, –

Um, was, seit dem wir träumen, hell zu sehen,

Für Sittlichkeit, – der Menschen himmlischen Verband

Mit sich und Gott, in unserm Vaterland,

Im Namen der Philosophie geschehen,

Mit freyen Blicken zu erspähen.


[36] Hier, Freund! erhältst du davon das Gemäld!

Ich weiss, wie wenig es dem Aug' gefällt,

Weil Schatten-Uebermacht fast alles Licht verwischet.

Doch glaube nicht, die giftige Satyr',

Hab' es in Aug und Pinsel mir gezischet.

Nicht Galle, – Tränen nur, die mir

Entsürzten, haben sich in's Kolorit vermischet,

Und nur der Thor sieht in der treuen Schilderey

Der schekigten Philosophien,

Die ephemerisch blühen, und verblühen,

Und all' der Donquischotterey

Der Charlatans in ihrer Liverey,

Die auf der Narrenbühn der Welt vorüberziehen,

Und all' der Affen, die, zuerst von der Magie

Des Scheins getäuscht, dann durch der Meister Despotie

Gebeugt, vor dem Idol der Meister niederknien –

Das Bild der göttlichen Philosophie.

Nur jene zollten dem Gemäld die schwarzen Züge,

Das helle Zwischenlicht gab diese nur.

O Freund! mein Pinsel hasst – Karrikatur,

Nicht weniger, als offenbare Lüge.


Bekanntlich spielt im König der Natur

Das Thier nicht gern die niedre Sklavenrolle,[37]

Die die Vernunft ihm zuerkennt,

Und, wenn's nach sinnlichen Genüsseu brennt,

Geschieht es oft, dass es, wie eine tolle

Hyäne, rasch und wild durch alle Zügel rennt,

Und dann im Meer der Lust bis zum Verschwinden schwimme.

Auch wächst es um so mehr zur Riesenkraft,

Je schwächer der Vernunft erhabnes Lichtlein flimmet,

Und je unthätiger im Reich der Leidenschaft

Der Wille, zu der blinden Stab und Zucht bestimmet,

Die nöthige Gewalt durch Uebung sich verschafft.

Dies zeigt sich klar bey wilden Nazionen,

In denen sich Vernunft dem Schlaf noch nicht entwand,

Indess das Thier mit allen Legionen

Wildstürmender Begierden schon in Rüstung stand.

Auf dieser Stufe lebten einst auch die Teutonen.

Allein die Klugheit ihrer Führer band

Ihr Thierisches durch Strenge der Gesetze,

Und Furcht vor Gott, gezeigt im schreckenden Gewand[38]

Des Rächers gegen Den, der seine Pflicht verletze,

So fest, dass es in sichern Schranken blieb,

Obgleich noch von Philosophie sogar der Name

Für sie ein Märchen war. Doch lang nicht! und der Saame

Von einen Uebel, das dem eingeengten Trieb

Nach Sinnenlust so willkomm ist, fiel durch das Sieb

Barbar'scher Kriegssucht, die ins Herz von Reichen stürmte,

Wo dieses Uebel lange schon

Die Laster eines Babylon,

Und auf die Laster all sein glänzend Elend thürmte,

Auch in die teutsche Nazion.

Das Uebel nennt man Ueppigkeit. Sein Tron

Ruht auf den Trümmern alles Edeln, Grossen, Guten,

Was, in die menschliche Natur verwebt,

Sie majestätisch über's Thier erhebt,

Und Flügel wird, worauf sie, trotz den schnellen Fluthen

Der Zeit, die Zinne der Unsterblichkeit erschwebt.

Von allen giftgetränkten Zauberruthen,[39]

Womit es Volk und Fürst wie blosses Vieh

An seinen Siegeswagen trieb, war die

Des Gelds (obgleich nach seiner Absicht das Genie,

Das es mit Schöpferkraft zuerst erdachte

Damit ein wichtiges Geschenk der Menschheit machte)

Die wüthendste. – Auch Teutschland ward durch sie

Ins Joch der Ueppigkeit gezwungen,

Und ihren unbegränzten Foderungen

Ward mit den Sitten, mit der schönen Macht

Der Ehre, die den Muth zu hohen Thaten facht,

Und Allem, was bisher ans Vaterland geschlungen,

Ein Opfer nach dem anderen gebracht.

Doch konnte sie allein der Tugend Keim nicht tödten,

Nicht schweigen des Gewissens unbestochnen Ruf

Durchs polternde Gestampf mit ihrem wilden Huf.

Das Laster hinderte, vor Lastern zu erröthen

Noch nicht, und von der Kunst: Unsittlichkeit

Aus Grundsatz – systematisch auszuüben,[40]

War der noch wachende Natursinn fern geblieben.

Dies ist die Frucht der kultivirtern Zeit,

(Gereift in Frankreichs Eingeweid),

Das Meisterstück der Herren Philosophen!


Ihr reizumwundener Pokal,

Frivoler Sätze voll, die fein den Lüsten hofen,

Ward erst der Lieblingstrank im Freudensaal

Des Reichthums und der Macht. Jedoch die Sätze trofen

An dem vom Luxus mehr und mehr gedehnten Band

Des Umgangs, unvermerkt aus ihrer Bildungsstätte

Auch in den niedern Bürgerstand,

So gern auch jene Kaste sie als Contreband

Zum Monopol' sich vorbehalten hätte,


Dies höchst gefällige System bestand

Aus einer blendenden Sophismen-kette,

Und diese lange Kette hieng

An einem grossen Ring, und dieser Ring

Hiess also: »Thu', was sinnliche Natur gebiethet!«[41]

Und war aus folgender Vernünfteley geschmiedet:

»Der Mensch ist Thier. Wer fühlt es nicht! Sein Geist

Dient sklavisch seinem Thiere. Dies beweist

Beständig die Erfahrung. – Folge diesem Winke

Der All-belebenden und herrschenden Natur!

Verlässt du dieses Winkes helle Spur,

Dann wirst du Thor und Schwärmer. So zur Schminke

Mag dir die Tugend etwa nützlich seyn!

Denn Menschen halten viel auf Schein.

Allein zum Zwecke – taugt sie nicht. Wo sie nicht nützet,

Was ist sie, als ein Dunstgebild, das schwer

Zu haschen ist, und, – wenn man es besitzet,

Dann macht es erst kein Härchen glücklicher.

Doch schaue nur auf Alles in und um dich her!

In dir regt sich nach sinnlichem Genusse

Ein heisser Trieb, und sieh! es ströhmt im Ueberflusse

Dir zu, was dieser Trieb ersehnt:

Mit Skrupeln also weg! Dein höchstes Gut bestehet

[42] Nur im Genuss, sosehr erweitert und erhöhet,

Als deine Herrscherkraft sich dehnt.

Demnach ist nicht, wie nur der Pfaffe wähnt,

Der Tugend angelogene Theaterzierde,

Nein! – weiteres Gebieth der Lustbegierde

Und ihrer Stillung feinre Kunst, des Menschen Wurde,

Die ihn zum König der Natur erhöht,

Und Der nur ist ein Philosoph, der seine Lüste

Am klügsten zu befriedigen versteht,

(Mit einem Worte, der – Epikuriste«).


Mir wär's nun freylich unauflösliches Problem,

Dass dieses Tugend tödtende System

So schamlos als Philosophie sich brüste,

Wenn ich nicht leider! schon, so jung

Ich bin, aus häufiger Erfahrung wüste,

Dass schlechte Sachen zur Beschönigung

Des schönsten Namens nur zu sehr bedürfen.

Natürlicher scheint mir der Hang,

Das Giftsystem mit heissen Zügen einzuschlürfen,[43]

Der jedes Alter, jede Klasse, jeden Rang

An Einem Schandpfuhl der Korruption verschlang.


Zwar fand es Gegner in – den Schulgelehrten,

Und in des Christenthums erhabener Moral.

Jedoch der Erstern stumpfe Donnerkeile kehrten

Nicht Einen Menschen ab vom Epikur'schen Mahl

In ihren rusigen Pedanten-Saal.

Und Letztre ward mit denen, die sie lehrten,

Vom Schwarm' der Witzlinge mit Hohn

Zu Shattenbildern persiffliret,

Und nur als Opium des Volks noch toleriret.


Auf der gelehrten Zunft papiernem Tron

Sass damals, da die höhre Menschenregion

Das Sensualitätssystem regierte,

Ein kasuistisches Kamäleon,

Das die Moral wie ein Skelet secierte,

Und bündig aus den nähmlichen Prinzipien[44]

Zu ganz verschiednen Resultaten führte.

Doch gegen obiges System vereinigten

Mit Ingrimm sich die Kasuisten Alle.

Auch ward von ihrer Zunft nicht selten decretirt,

Und dann bey schmetterndem Trompetenschalle

Durch Dissertationen promulgirt:

Das Ketzerthum sey nun, wie sich's gebührt,

Für immer widerlegt, und inhumirt,

Und siegreich schritten die Doktor'n zum Leichen-Essen.

Zum Unglück ward bey diesen Fakultätsprozessen,

Im Eifer, wie es scheint, vergessen,

Dass vor Verhörung des der Ketzerey

Beschuldigten der Spruch nicht weniger vermessen,

Als komisch seines Bilds Begrabung sey.

Kein Wunder! dass die Spiegelfechterey

Nicht den gerinsten Einfluss auf die Sitten

Erhielt. – So gründlich und gelehrt

Auch die Programmen den Helvezius bestritten;

So fand sie doch das Publikum nicht lesenswerth,[45]

Und wurden sie ja Einen Tag, als Steckenpferd

Von den unbärtigen Schul-Donquischotts geritten;

So waren sie am zweyten doch – Makulatur.

Hob aber von der saubern Procedur

Ein Zufall die Karrikatur

Zur Sphär' der grossen Welt, da gab sie nur

Die ganze Schulphilosophie dem Hohngelächter

Der Automatenklasse preis, die Nichts beherzt,

Und witzelnd über alles Ernste scherzt.

Doch hätten der Moral unglückliche Verfechter

Den Spott der grossen Welt mit Recht verschmerzt,

Hätt' nur ihr Lehrsystem der noch bildsamen Jugend,

Die auf der hohen Schul' sich Weisheit holt,

Das Herz recht inniglich für die verhöhnte Tugend

Erwärmt, die Füsse für das Welteis gut gesohlt,

Das Auge vor dem buhlerischen Reiz gewarnet,

Womit die arge Welt ein arglos Herz umgarnet,[46]

Und gegen der Sophistik Proteus,

Durch den der Zeiten schlimmer Genius

Den ungeübten Menschensinn leicht überlistet.

Den Köcher des Verstands mit scharfem Pfeil gerüstet.

Allein die Höhe war so dürr und kahl,

Und dornenvoll, auf der die Schulmoral,

Fern von der menschlichen Natur, lag eingenistet,

Dass ihrer Säuglinge wissgieriger Verstand

An ihrer Trespkost kein Behagen fand,

Und, wie ein Füllen, das dem Führer sich entrissen,

Ihr Herz, sobald es sich der strengen Zucht ent-wand,

Mit wilder Brunst der Cirze, die mit süssen

Liebkosungen und Opiaden das Gewissen

So magisch einzuschlüfern, und den Schweiss

Und Staub der Schul' mit sanften Küssen

So lieblich wegzutändeln weis,

Sich übergab und ach! in ihres Hofes Kreis

Der alten Lehrer mathematische Beweise

Und ihres Sylogismenkampfes ernste Kreise

Nicht Eines Rückblicks würdig hielt.


Die Macht solch kränkender Experimente[47]

Erschütterten jedoch so sehr die morschen Wände

Der Fakultät, dass sie nicht ungefühlt

Von ihren Meistern blieb, die nun begannen

An ihres Grundsystems Unsterblichkeit

Im Ernst zu zweifeln, und auf Mittel sannen,

Das tief gesunkene Gebäud'

Der Schulmoral durch mehr gefäll'ge Stützen

Vor völligem Ruin zu schützen.


Der Bessre Theil fand die Hinfälligkeit

Des alten Bau's in dem Umstand gegründet,

Dass auf des Menschen Trieb nach Seligkeit

In ihm beynah sich keine Rücksicht findet.

Sie tünchten deshalb über ihn den Dunst

Der Liberalität in sinnlichen Genüssen,

Und durch der Distinktion subtile Kunst

Versuchten sie, der Modelehr zu frechen Schlüssen

Die Flügel zu beschneiden, um den Glanz

Der Tugend sonder Eigennutz nicht einzubüssen.

Allein sie konnten nie so ganz

Den Vorwurf der Inkonsequenz ablehnen,

Und ihrer Gegner konsequente Sehnen

Erhielten sich daher stets fest beym Siegeskranz.
[48]

Doch Andre wussten besser ihr System zu dehnen

Wie ihr Gewissen nach – Konvenienz.

Sie zogen, um den Grossen zu gefallen,

Mit ihrem plumpen Huf die feinste Reverenz,

Und knüpften unverschämt in der Schulweisheit Hallen

An ihren Bärenpelz das Fuchsgeschwänz.

Ihr ganzes Werk war: ernsthaft nachzulallen

Was an den Tafeln und den Orgien

Des höhern Rangs mit hüpfender Geberde

Des Epikurs erhabne Heerde –

Die Lieblinge des Glücks als Weisheit spendeten,

Und diese rohe Weisheit, als Gelehrte

Mit der Beweise scharfem Salze zu verseh'n.

Auch herrschte keine Thorheit, gieng kein Laster

Im Schwang, das sie mit einem Schönheitspflaster

Nicht geistreich zu beschönigen

Verstunden. So erschlichen sie die Gunst der Grossen,

Von der mit Ehren, und was ihnen mehr,

Als Ehren galt, mit Pensionen übergossen,

Die Völklein's philosophischer[49]

Schmarozer der Vergnügen volles Maass genossen,

Wovon auch ihrer Bäuchleins Schmeer,

Der Wangen Purpur, und, von Balsamduft umflossen,

Ihr sanft gekräuselt Haar, und stets des Frohsinns Glanz

Im Aug', und ihrer Kleidung Eleganz

Unwiderlegliche Beweise führten,

Zumahl hiemit

Der noch unmetamorphosirten

Kollegen Blässe, Hagerheit, Altvaterschnitt

Und Schmutz erbämlich kontrastirten.

Daher auch jene bunte Schaar

Von Schmetterling's, so wenig sie dran dachte,

(Indem das Denken ihre ringste Sorge war,)

Die meisten Proseliten machte.


Weit mächt'ger war der Widerstand,

Den in des Christenthums erhabner Sittenlehre

Die Klügeley der Thierapostel fand.

Denn Sie ist kein Gespinnst, und keine ephemere

Geburt der Schule. Von Allvaters Hand.[50]

O Menschheit! ward sie einst zur Rettung dir gegeben,

Und über alle Zweifel hocherhaben, band

Sie der Gewissen zweifelhaftes Schweben

Durch das aus ihrer Reinheit, Wahrheit, Herzlichkeit,

Und ihres Lehrers himmlisch schönem Leben

Hellstrahlende Gepräg' der Gotterhabenheit

An der Vernunft so oft verkannte Stimme.

Jedoch kein Licht hat Kraft genug,

Dass es nicht unter dem von Philosophentrug

Gehäuften Aschenberg' verglimme.


Das Evangelium begehrt

Vom Menschen, dass er nicht nach seinen Lüsten schwimme,

Und sagt: durch Selbstverläugnung nur erklimme

Sein Geist die Höh', die Seligkeit gewährt.

Dagegen heisst die Aufschrift überm Sinnengarten

Des Thiersystems, das Wollust lehrt:

»Hier wird allein die sinnliche Natur verehrt!«

Hiemit war hier dem geistigen und zarten

Religionssinn streng das Thor verwehrt;[51]

Und, weil der Geist als Sklav dem Thiere zugehört,

Ward Selbstverläugnung von der Lustmoral Doktoren

Als Unnatur und schwärmerischer Tand

In's Thollhaus und zum Mönchen fortgebannt,

Der den gesunden Sinn für immer abgeschworen.

Uns, sagten sie, ist nur die Sinnenwelt bekannt,

Wir sind mithin für diese nur gebohren.


Doch hier bot ihnen brüderlich die Hand

Die Spinnenraçe, deren grübelnder Verstand

Im Aetherfeld, das sie sich zur Kultur erkohren,

Vor lauter tiefer Spekulation

Den Faden, der in unsrer Erdenregion

Die Menschen sicher führt, aus dem Gesicht verlohren,

Und dann im dezisiven Wissers-Ton

Von aller menschlichen Vernunft erklärte:

»Sie wisse nichts!« – Von aller Konsequenz beraubt,

Glaubt diese Sekte nicht was sie auch glaubt.

Und ob sich gleich ihr Geist mit puren Zweifeln nährte,[52]

Und ihr System ein blosser Zweifel ist,

So lebt sie doch, als wenn sie alles wüsst'.

Sie hätt' daher nur immer weben mögen,

Wenn ihre Zweifel nicht auf Sittlichkeit

Und auf Religion, wie gift'ge Pfeile flögen,

Und nicht im Bund mit der Verwegenheit

Der Epikurer gegen Sie zu Felde zögen.

Allein der Zweifel wird ein böses Gift,

Wenn er den edeln Faden trifft,

Der Menschen mit dem Uebersinnlichen verbindet.

Denn ach! der Faden ist so zart, so leiss, so fein,

Und die bloss thierische Begierde findet:

Sie könne besser ohne jenen Faden seyn,

Weshalb das unsichtbare Fädelein

Oft vor des schwächsten Zweifels Hauch verschwindet.


Auch war die göttliche Religion

Durch manches Raupennest entzieret,

Und schlechte Priester machten Sie zum Tron,

Auf dem ihr Eigennutz regieret.

Dies konnt der Witzwuth, die, wie ein Spion

Mit Argusaugen, nur um Fehler zu erspähen,

Auf alles Gute lauscht, nicht wohl entgehen,[53]

Und sieh'! das Ungeheuer spie

In Namen der Philosophie

Ein zahllos Heer der giftigsten Broschüren

Auf das schuldlose Christenthum,

Und seines Dienst's Synedrium.

Zur Mode ward's, das Geistliche zu pasquilliren! –

Nun zeigt sich in der menschlichen Natur

Das Phänomen: durch beissende Satyren.

Wird jener, den sie spiessen, nur

Erbittert, nie gebessert, selten recht beschämet,

Und in dem Publikum wird das Gefühl

Von Achtung und Vertrau'n zur Sache selbst gelähmet.

Denn hätten gleich die Schützen diese nicht zum Ziel

Gehabt, Das Volk pflegt doch, es darauf auszudehnen.

So gieng's auch hier. Den Dienern des Altars,

Die sich und ihr Gemächt unfehlbar wähnnen,

Stieg Zornwuth in den Kamm. Sie spannten alle Sehnen,

Um nur die Flecken des Talars,

Worinn sie die Religion verschleyert hielten,[54]

Als Edelsteine zu vertheidigen.

Doch, während beyde Theile sich beschielten,

In Gall getränkte Pfeile schmiedeten,

Und ihren Groll mit wilden Schmähungen

In fliegenden Pampflets abkühlten,

Sank tief des Volkes Furcht vor Gott,

Und untergieng im Zweifel und im Spott

Die feste Glaubens-Säul des hehren Christenmuthes;

Und, wie in jedem Krieg', so musst' auch hier viel Gutes

Das unter der Erbittrung Hagel nicht

Aufblühen kann, vielleicht für immer! unterbleiben,

Und mancher Christ versäumte seine Pflicht,

Um an den Meynungen des Bruders sich zu reiben.

Oft stritt man wegen den gemahlten Scheiben

Am Tempelthurm, und rüttelte des Tempels-Grund

Dabey so sehr, dass er zum Sturz sich neigte.

Auch gab es Priester, die der Spötterbund

Durch Schaam zu solcher Schwachheit niederbeugte,

Dass sie ihr eigner Läster-Mund

Als Hochverräther ihrer Sache zeigte.[55]

Aus Furcht, der Philosophen Fackelschein

Möcht das Iohanniswürmchen ihres Ruhms verdunkeln,

Fiel's diesen eiteln Köpfchen ein;

Es sey noch besser, mit erborgtem Schein

Der Philosophen, als Planet zu funkeln.

Allein, indem sie ihrer Eitelkeit

Durch diese Travestirung fröhnten,

Und wie es Apostaten ziemet – ungescheut

In bitterm Ton auf hierarch'sche Herrlichkeit

Und Pfaffendienst und Aberglauben höhnten,

Und sich mit Trümmern der Kollegen krönten,

Verlohr die ganze Priesterschaft,

Mit ihr die Kirch', mit dieser selbst die heil'ge Lehre

Des Christenthums an Achtung und an Ehre

Und damit auch an Wirkungskraft.

Und ach! die Sittlichkeit des Volks gieng täglich schiefer,

Und tiefer und tiefer und tiefer

Ward Sie in den Wirbel hinuntergerafft. ––


So tief jedoch hätt' nie der Schierlingsbecher[56]

Des Luftsystems das Mark der Sittlichkeit zernagt,

Und nie so schnell sich bis in die Gemächer

Des stillen, simpeln Tugendsinns gewagt,

Hätt ihn der Chor der schönen Pierinnen

Die dir, o Tugend! sonst so manches Herz gewinnen,

Mit ihres Zaubers Blüthe nicht geschmückt,

Und nicht den Traubensaft, der, auf des Pindus Zinuen

Gereift, des Menschen Geist entzückt,

Mit zarter Hand darein gedrückt.

Deswegen buhlten des Systems Verbreiter

Sehr früh um jenes Chors wirksame Gunst,

Um sie, vom Hof ins Schloss, in's Bürgerhaus und weiter

Als allgemein beliebte Blumenleiter

Des Gifts zu brauchen, und mit schönem Dunst

Der Unschuld den Verführungsstachel zu verhüllen.

Auch konnt die Gunst der Göttinnen

Des Pindus unsern Lustaposteln nicht entgeh'n.

Denn Sie sind gern der Lust Gefährtinnen:

Sie lieben den Becher der Freude mit Zauber zu füllen,[57]

Und schenken mit nur zu gefälliger Hand

Der lieblichsten Reize Gewand,

Wie Bräute, folgsam ihres Lieblings Willen

Dem edeln, wie dem schlechten Gegenstand.

Verschönrung nur ist das Geschäft der Musen,

Den Gegenstand bestimmt des Künstlers Genius.

Wählt dieser gut; so wärmet sich an ihrem Busen

Die Tugend; wählt er thierischen Genuss;

So wandeln sie sich in Medusen,

Die, ohne Schlangenhaar, jedoch mit Feuerblick

Den Menschen – nicht zum Stein, jedoch zum Thier umstalten

Der Teutschen Kunstgenie, treulos dem Satz der Alten.

»Dass Der die Bardenkunst entehrt,

Der im Gesang die Wollust lehrt«1

Liess über sich der Modeweisheit Dämon walten.[58]

Und ach! es strahlte nicht vom Lied der Sonnenblick

Der Tugend mehr in's Herz zurück.

Doch, ganz zu Eis die Tugendliebe erkalten,

War listig von der Unschuld und der Tugend Glück,

So wenig diese den Giftmischern galten,

Im thierischen Pokal viel Wortgepräng enthalten.

Denn so ward der Begriff von Tugend selbst verwirrt,

Und sorglos sah nun, wie vom Schlag gerührt,

Der Vater seinen Sohn den Pfad des Lasters wallen,

Vom Wahn' getäuscht, er führe zu den Hallen

Des Glückes, das die Tugend nur gebiert.

Zu spät ward er des Irrthums überführt.

Denn ach! den Jüngling hielten schon des Lasters Krallen.

Und Mütter durften, von der Unschuld Schein berauscht

Den sie jezt sah'n dem Blumenstrauss anthauen,

In dessen Herz der Basiliske lauscht,

Ihn selbst der Töchter Busen anvertrauen.

An's Laster ward der Tugend Schmuck vertauscht,[59]

Sie musste selbst dem Laster Schutz und und Waffen biethen.


Von der Aegid' des Tugendscheins geschützt,

Konnt' das System des Lasters nun mit Frechheit wüthen;

Wie, einem zur ergrimmten Höll geglühten

Wilddonnernden Vulkan entblitzt,

Ein Feuerstrohm Berg, Thal und Flur und Wald durchbrüllet,

Izt Städte tilgt, und Paradiesse izt,

Und eine schöne Welt mit grausen Trümmern füllet,

So riss auch der Verderbniss Strohm

Der vaterländ'schen Sitten schönen Dohm:

Die Biederkeit, den Edelmuth und den die Glieder

Des Reichs durch des Gefühles Zauberschnur

Vereinigenden Herzensbund danieder.

Auf stolzem Siegeswagen fuhr

Darüber hin des Egoismus wilde Hyder.

Doch prahlte sie, sie stürze das Gebäude nur,

Um dem Systeme der Natur –

Der Einzigen Philosophie – den Weg zu bahnen.

[60] Treulosigkeit, Verrath und Weichlichkeit;

Und Härte dienten unter ihren Fahnen,

Und wandelten den Geist der Unterthanen

In Sklavensinn und Hang nach Ungebundenheit,

Den Geist der Fürsten in despotisches Bestreben

Nach Allgewalt, des Adels einst so edeln Geist

In trägen Hang, im Ueberfluss zu leben'

Und in die faile Sucht, im Hofluft blind zu schweben,

Die seine Hundsdemuth mit eitelm Rauche speist,

Und ihn dafür zum Volksverrath sich schmiegen heisst

In Scherben fielen alle Scheidewände,

Durch die einst schlichter Sinn den Unterschied der Stände

Gegründet hatte. Jeder Stand verlohr dabey

Die Tugenden, die einst, noch Mischungsfrey,

Sein Geist zu höherm Flor' gepflogen,

Und ward mit aller Stände Barbarey

Und Thorheiten und Lastern überzogen.

Der Freundschaft reiner Seelenbund,

Wohltbätigkeit, kaum ihrer Quelle kund,

Und Dankbarkeit im Herzen, nicht – im Mund, –[61]

Der Seele zärtre Blüth, die war jezt nur erlogen.

Die Liebe, sonst der Tugend Genius,

Sank tief herab zu thierischem Genuss,

Und flatterte, wie Wollusttriebe flattern

Von Blum' zu Blum', bis sie der Ueberdruss

Und Impotenz ereilten, die wie gift'ge Nattern

Die Lust und Kraft zum Thiergenuss ertattern.

Auch war nicht mehr die Liebe – Hymens Ziel;

Sein Band ward nur als Possenspiel

Der Ettiquett', als Güter Angel und als Schleyer,

Um in bequemerm Cölibat das Fener,

Verbotner Lust, war das des Ehebetts verraucht,

Zu nähren, noch gebraucht. –

Als Traum, den, hat der Tod ihn untertaucht,

Kein Tag aufnimmt, ward jezt die Lebensreis' betrachtet.

Das Alter rang daher, das Haupt schon weiss geschneyt

Nach Jugendfreuden noch mit Jünglingslüsternheit,[62]

Und ward, als Tantalus, der ach! vergebens schmachtet,

Unwürdig jener Ehrerbiethigkeit,

Womit die junge Welt es vormals hochgeachtet,

Gerührt von seiner Tugend Gravität, –

Jezt aber aller Majestät

Entziert, – gescheut, belacht, verstossen und verachtet,

Unkräftig ward des Eides Kraft.

Mit Kunst die schönste Münz des Vorwands in dem Munde,

Zu hintergehen, wo es Vortheil schafft,

Hielt man nunmehr für feine Lebenskunde.

Als glückliche Galanterie

Galt es, die Unschuld listig in sein Netz zu führen.

Und ach! – wie kann sich doch der Menschensinn verlieren,

Wenn ein System ihm seine Brille lieh! –

Zum Hohn der Weisheit, als Philosophie

Sah man die Phryne der Verderbniss paradieren.


Von diesem Elend tief bewegt,

Hob eine Klasse Warmer Menschenfreunde[63]

Sich zum Gedanken: wie der Mensheit argem Feinde,

Der, von der Zeiten Unvernunft gehegt,

Der Menscheit Herz ins Joch des Lasters drückte, –

Der Eigensucht – des Scepters Tyranney

Für immer zu entwinden sey?

Nun fand ihr Geist, da er das Menschenherz durchblickte,

Ein zartes, mildes, göttliches Gefühl,

Das, wie ein sanftgestimmtes Saytenspiel,

Bey frohen Menschen frohen Klangs sich hebet,

Vor ihres Unglücks Bild mitleidig bebet,

Und, wie des Nebenbruders Herz erklingt,

Des Tones Wechseln folgt, jezt hoch zum Himmel schwebet,

Jetzt tief bis zur Verzweiflung niedersinkt.

O Sympathie! o allgemeine Menschenliebe!

Rief dann ihr Herz, sey uns gegrüsst!

Den Sitten-Strohm, der so getrübt jezt fliesst,

Kannst du nur hellen, und durch bessre Triebe

Vermagst nur du, der Selbstsucht schwarzem Antichrist

Die usurpirte Herrschaft zu entreissen.[64]

Dämpft deine Macht nicht der Verderbniss Wuth,

Dann tilget auch der Wind nicht die geschwellte Fluth,

Dann schmelzt auch nicht die stärkste Glut das Eisen. –

O Menschenliebe! du nur bist der Stein der Weisen, –

Der Menschheit höchstes Gut!..

Durch und für Andre nur sind wir gebohren.

Der Mensch wird Mensch durch die Gesellschaft nur,

Und ohne Sie wär' er an Leib und Geist verlohren.

Ihr dankt er Leben, Wohlseyn und Kultur;

Und, dass er zur Geselligkeit erkohren,

Dies zeichnet deutlich die Natur

Im ganzen Bau des Körpers und der Seele,

Der Menschenliebe herrliche Juwele

Ist Gottes Bild und Unterpfand,

Wodurch er uns mit Sich, und bis an's End' der Erde

Mit allen Menschen brüderlich verband.

Nur Sie entsondert ihn der Heerde[65]

Des blossen Thiers mit Sinnen und Verstand2

Die allgemeine Menschenliebe werde

Demnach – dies ist der Grundsatz der Philantropin'

Der Menschen Kompass und Beherrscherinn.!..


(So stösst des Menschen Geist, sucht er Systeme

Zu gründen, unwillkührlich auf Extreme,

Noch glücklich, weisst Erfahrung ihn

Früh oder spät zur Mittelstrasse hin!)


Ein Herz, von Menschenliebe hochgeschwellet

Und über Menschenelend tief betrübt,

Gleicht einem überreichen Wasserborn. Es liebt

Sich zu ergiessen, und, je mehr es von sich giebt,

Um desto stärker wird die Fluth, die ihm entquellet.

Daher ergoss sich die Philantropin',[66]

Der Absicht voll, der Menschenliebe Reich zu stiften

In einem Wolkenbruch der weichsten Schriften

Auf Teutschlands unerweichte Herzen hin.

Die harten Herzen hatten nun zwar keinen Sinn

Für dies Geschenk, und wenige nur prüften

Das neue Meteor; die allermeisten schifften,

Fern von des Menscheitswohls gemeinem Port,

Nach dem gewohnten Wind des Egoismus fort.

Dagegen die für jeglichen Akkord

Noch reingestimmten, zarten Jugendherzen

Verschwemmte jene Fluth zu einem Brey

Von Sympathie in Freuden und in Schmerzen,

Genannt: Empfindeley,

Und dieser gohr zur höchsten Schwärmerey;

Und Schwärmerey steckt an, besonders in der Jugend,

Wo jede Kraft noch brausst und stürmt; gleichviel,

Ihr Grund sey Thorheit, oder Weisheit, und ihr Ziel

Ein Laster, oder eine Tugend.[67]

Auch ist der Philantropen Ideal

Von allgemeinem Menschenwohl so herzerhebend,

Und so zum Aufschwung der Begeisterung belebend,

Dass nur ein Herz von Stahl,

Gefesselt an der Selbstsucht Rabenmahl

Und an dem Sinnenkreis der Lüste klebend,

Es ungerührt erblicken kann. Daher

Fiel jezt die junge Welt anbethend vor ihm nieder,

Und schwebte dann auf luftigem Gefieder

Hoch um der Menschheit unumschränkte Sphär'

Mit sanften Sympathien hin und wieder,

Und diese Sympathien goss sie dann,

Wenn sie den Drang, sich zu ergiessen spührte,

In des Philantropismus Bücher-Ozean,

Auf dem der Mode zauberischer Kahn

Die ganze Lesewelt zur Menschenliebe führte.

In seinen Spiegelwellen konnte man

Das schauervolle Bild von all den Leiden lesen,

Womit in jeder Zon', von Mexiko

Bis nach Paris, vom Britten bis zum Iroquesen,

Von Petersburg bis Kairo', –[68]

Theils Vorurtheil und Thorheit, theils der Bösen

Betrug und Leidenschaft und Macht, im Bund

Mit des Geschickes Unheilschwangerm Schlund,

Die arme Menschheit drücken, peinigen und schinden,

Hier sah' man in der grellsten Malerey,

Die die erhitzte Bildungskraft nur mag erfinden,

Die Menschheit unter Krieg und Tyranney

Und Pest und Noth, wie ein zertretner Wurm sich winden;

Die Hab- und Herrschsucht an die Sklaverey

Des dumpfsten Aberglaubens Nazionen binden;

Intoleranz am Scheiterhaufenlicht

Der Meynung Irrigkeit dem Ketzerkopf aufklären,

Und Völker, statt durch Unterricht,

Mit Feu'r und Schwert zum Christenthum bekehren

Die Weissen jeden Schwarzen stolz, als wäre nicht

Auch Er ihr Bruder, unter's Vieh entehren;

Im kränkendsten Kontrast das Eigenthum

Die Ehr' und alles Glück, als Monopolium[69]

Von Wenigen, der Mehrheit Darbender entrisssen;

Das Laster hier in stolzer Sicherheit,

Die Unschuld dort in stinkenden Kloack geschmissen;

Verdienst und Fähigkeit mit tausend Hindernissen

Im Kampf, indess Arglist und Mittelmässigkeit

Sich alle Bahnen brechen, – alle Riegel sprengen;

Die heilige Justiz, zur Waar' entweyht,

An der Bestechung faile Waage hängen;

Den Aufflug des Genie's, gelähmt vom rohen Leist

Des Formulars; den Zunft – und Körper-Geist,

Religions- und Völker-Stolz das Herz verengen,

Und – doch genug! – War durch dergleichen Zauberey

Der Seebefahrer Herz zum weichsten Brey

Gerührt, dann schwammen philantropische Najaden,

Die stets, wenn sie nicht an den jammernden Gestaden

Die Urn' mit Tränen füllen, oder sie

Ausschütten in das Meer von Sympathie,[70]

In seiner Fluth die butterweichen Glieder baden, –

Zum Bord herbey und girrten dann im Wehmuths-Ton

Der Turteltaub' den schmachtendsten Sermon,

Geschickt die Zäserchen des Herzens aufzuregen,

Um zur Humanität die Jünger zu bewegen,

Und ihnen Wunsch und Pflicht, den ganzen Schwall

Des Menschen-Elends kühn vom Erdenball

Hinweg zu bannen, warm an's Herz zu legen.

»O Menschen riefen sie, wie wär't ihr all'

So glücklich, wenn ihr, folgsam eures Herzens Schlägen.

Stets nur der Menscheit weites Heiligthum,

Und nie das enge Individuum

In euerm Wirkungskreis vor Augen hättet!

Dann fiele jedes Band zu Staub,

Das ach! die Meisten an das Rad des Unglücks kettet.

Der Gute würd' nicht mehr des Bösen Raub!

Die ganze Menschheit wär' vom Untergang gerettet!

Geht also hin – seyd ihr nicht taub[71]

Zum Achgestöhn der Menschheit! – Stürzt durch der Belehrung

Gewalt der Vorurtheile Schandkoloss!

Hebt alle Völker zu dem Gipfel der Aufklärung!

Zersört des Pfaffentruges Räuberschloss!

Bringt gegen Geisteszwang die Geister all in Gährung!

Zermalmt der Kirchen Scheidewand!

Die Engelsburg Orthodoxie zerfalle

Wie Jericho, vor der Vernunft Posaunenschalle!

Seyd gegen Meynungen und Sitten tolerant,

Und führt, als Brüder Hand in Hand

Die Glaubens-Sekten und Partheyen Alle

In der Naturreligion gemeine Halle!

Erkennt den Erdkreis nur als Euer Vaterland!

Der Teutsch' und Hottentott sind Eines Staates Glieder.

Liebt Beyde gleich! Zerschmettert kühn die Hyder

Des Kleingeists, der – zur Schande der Vernunft!

Die Menschheit trennt in Stand und Zunft!

Kehrt zum verlassenen Naturstand wieder!

Zerreisst der Erbvorzüge schimpfliches Gespinnst,[72]

Die der Despoten Barbarey mit stolzen Hufen,

Um Sklaven zu belohnen, einst gemünzt.

Nur das Talent, die Tugend, das Verdienst

Sind Ehrenwerth! Aus Ihnen macht die Stufen,

Die einzig zu den höchsten Würden rufen.

Den Broderzielern gebt den Ersten Rang.

Und freyet sie von all' dem Sklaven-Zwang

Der rohen Zeit, – von Zehndten und von Frohnen!

Die Güter theilt in gleiche Portionen!

Bemüht euch, jedes sogenannte Recht,

Das nicht natürlich ist, als Unrecht zu verbannen!

Die Unschuld – schützt vor der Gewalt! – Zerbrecht

Der Völker Joch! entsetzet die Tyrannen!

Durch menschliche Gesetze sucht, soviel

Ihr könnt, des Despotismus Klauen einzuzirken,

Und – dies sey Euer höchstes Ziel! –

Strebt für die Ewigkeit Weltfrieden zu bewirken.«


»Gut! sagten Ein'ge, deren Mitgefühl

Noch weiter, als die Menschheit sich erstreckte, –[73]

Doch guckt die Selbstsucht hier noch dick hervor!

Ist denn der Mensch im ganzen Schöpfungs-Chor

Der Einz'ge Puls, der das in uns gelegte

Geflecht der Sympathie zu Leid und Freud' erregte?

Erkennst du nicht im Thier' den Bruder – stolzer Thor!

Der du doch, selbst ein Thier, von Thieren erst erlernest,

Wie du dein eigenes Bedürfniss stillen magst!

Und dann zum Dank! von ihnen hämisch dich entfernest,

Die Stirne trotzig über sie zum Himmel ragst,

Den sie, nach ihrer Melodie, mit dir verehren,

Und ohne Rührung sie zu morden wagst,

Um sie – o Grausamkeit! mit Lustgier aufzuzehren.

Nur Thiermord konnte Menschenmord dich lehren! –

So sehr das Thier für dich gebildet ward,

Bist du für's Thier gebildet; – jeder Art

Von Thieren ist, wie dir ein Glückstrieb eingesenket;

Und, wenn auch ihr Instinkt nicht so gekünstelt denket,[74]

Wie dein Verstand; so ist doch – Lust mit Schmerz gepaart,

Und Eigensucht durch Sympathie beschränket,

Und Wechselhülfe durch geselligen Verband

Ihr Loos und Wesen und Bedürfniss, wie das Deine!

So sprachen sie, und reichten brüderlich die Hand

Den Hunden und den Bär'n, dem Affen und dem – Schweine.

Sie weinten bitterlich, wenn eine

Wurmseele sich vor ihnen schmerzhaft wand,

Und ward ihr Fehltritt gar des Raupennests Verderben;

So sanken sie in Ohnmacht; – doch sie mussten sterben,

Kam Thierblut ihnen vors Gesicht.

Auch wären sie aus blosser Liebespflicht

Den Nichts, als Wurzeln essenden Anachoreten

Mit pilosoph'scher Einfalt nachgetreten,

Hätt' ihr verwöhnter Magen nicht

So diktatorisch sich die Abstinenz verbethen.« –


Auch die Philantropine schloss

Das engste Bündniss mit den Musen,

Und mit erhöhter Zauberkraft ergoss[75]

Ihr Unterricht sich an der Holden weichem Busen,

Wer dieser Grazien Gesellschaft viel genoss,

Hat an Weichherzigkeit nicht selten das gewonnen,

Was er an Energie verlohr,

Dem Manne gleich, der in Cytherens Chor

Viel Reiz gesogen hat und manches Netz gesponnen.

Auch leiht sein Herz ein sehr geneigtes Ohr

Der Menschenliebe schmelzenden Akkorden.

Daher der Philantropen-Orden

Sehr weislich that, den eingeschlafnen Sinn

Für schöne Kunst vom Hof' bis zu des Kriegs-Kohorten,

Vom Putzaltar bis zur Putzmacherinn

Zur allgemeinen Herrschaft zu beleben,

Und mildernd seiner Lehr' Erhabenheit

Mit ihrem Regenbogen zu umweben.

Jedoch, um die Empfindsamkeit

Der ganzen Nazion zum höchsten Grad zu heben,

Ward der Romane grenzenloses Feld

Und der Thalia Reiz- und Täuschungsvoller Spiegel

Vorzüglich zum Ressort gewählt.

Denn hier entreisst mit ungelähmtem Flügel

Die tausendkünstlerische Phantasie[76]

Die im Erfahrungskreis zersreuten Quaalen,

Und schlichten Tugenden der Sympathie,

Gedrängt und hochgespannt zur Welt des Idealen.

Auch ist die Kost, die aus freygeb'gen Schaalen

Die romaneske Poèsie

Und der Thalia Huld auf ihren Hof ergiessen,

So leicht und süss, dass wer nur Sinne hat,

Und wär' auch die Vernunft in ihm – ein Automat,

Sie mit Geschmack und Wonne kann geniessen.


Nun lass uns seh'n, ob wirklich diese Saat

Die Früchte brachte, die die Säer hoffen liessen? –

Wär' ihr der Menschenliebe schönster Baum entblüht,

Und wär' es wahr, dass sie die Eigensucht erstickte,

Dann wär' von Philantropen-Orden jedes Glied,

Das mit der edeln Saat das Vaterland beglückte,

Der Dankesopfer, die den Göttern einst geglüht,[77]

Durch die den Menschen Zevs die Kunst des Kornbau's schickte,

Weit würdiger, als diese. Doch mein Blick,

Durchspäht er ohne Glas die neue Sitten-Karte,

Prallt unmuthsvoll mit Tränen überall zurück.

Denn ach! im Schatten der Humanitätsstandarte

Gewann der Eigennutz nur neue Kraft, und trieb

Sein Wesen, ungestraft vom Geisselhieb

Des Menschenfreunds, in schönster Maskerade,

Als der Galan der philantropischen Najade.

Die Hülle wechselte, der Dämon blieb.

Im Wolfspelz war er noch geforchten und geflohen,

In dem erlognen Schneegewand

Des Lammes – fand er keinem Widerstand.

Denn dieses barg die Klauen, die der Tugend drohen. –

Der schnelle Sprung von tiefer Selbstsucht bis zur hohen

Philantropie war gegen die Natur,

Die im Gebiet der Sitten, wie der Physick nur

Durch viele Stufen, nie durch Sprünge vorwärts schreitet.[78]

Ein Schritt in der moralischen Kultur,

Der vorwärts zielt, ward er nicht vorbereitet,

Ist nur ein Schritt zurück. Daher geschah der Sprung

Auch nur im Hirn der Philantropen; – in den Herzen

Und Sitten folgte keine Besserung. –

Ach! Lichtapostel! ihr, mit der Systeme Kerzen,

Wie könnt ihr von der Eul' den Adlerschwung

Zur Sonne fodern? Sagt! ists edel, so zu scherzen?

Auch däucht mir eine Menschenliebe, die

Wie euere Philantropie

Die ganze Menschheit, wie ein Gott umschlinget,

Ein Riesenmantel, unter dem

Sich jeder Egoismus sehr bequem

Versteckt, und seine Waffen unterbringet.

Daher schloff auch der Egoist sehr gern darein,

Und Niemand war, – sind schöne Worte nicht blos Schein, –

So warm wie Er von allgemeiner Menschenliebe

Zwar waren ihm die sympathet'schen Triebe

[79] Für Einzelne so fremd, wie kaltem Stein.

Allein für's Ganze konnt' sein Mund nicht heisser glühen,

Fürs Universum schwamm er stets in Sympathien.

Den ersten Menschenpflichten konnt' man sich entziehen,

Vor seinem Eigennutz abgöttisch knien,

Ein schlechter Vater, Gatte, Freund und Bürger seyn,

Und doch ein – Philantrop, der seines Gleichen suchte.

Und Mancher, der mit affektirtem Schein

Beym dritten Wort den Menschheitsplagern fluchte,

War selbst die ärgste Plag derjen'gen, die mit Grund

Auf seine Menschlichkeit Ansprüche machten.

Dem, der beym Glücksbau ihm im Wege stund,

Durch Ränksucht, Anekdoten-Häscher-Fund,

Und der Pasquille Lügen-Mund

Dem Götzen seiner Leidenschaft aufschlachten,

Ward vom Philantropin

Als menschliches Vergeh'n sehr leicht verzieh'n.[80]

Dagegen – nicht mit Glut nach ew'gem Frieden schmachten,

Ward als – unmenschlich ausgeschrien. –

Doch mehrten wohl durch Nichts den Haufen der Adepten

Die Ordensreize mehr, als durch das Pfauenrad,

Das sie der Eitelkeit an ihren Reifrock klebten,

Indem durch sie auf sehr selbstsücht'gem Pfad

Die Lippenopfrer ohne That

Die höchste Glorie der Menschlichkeit erschwebten.

Wo, wie im philantropischen Senat

Lässt sich so schön von allem Edeln schwätzen,

Wo so bequem durch üppigen Ideenschwung

An der Begeisterung

Von ungetrübtem Menschenwohl sich letzen.

Wo seinen Mangel an Aufopferung

So stattlich vor der Welt mit Wortgepräng ersetzen? –

Nun ist's so schwer, ein Menschenfreund zu seyn,

Und doch so kitzelnd, als ein Menschenfreund zu glänzen,[81]

Dass es begreiflich ist, wenn mit dem Schein,

Weil er sich betteln lässt durch blendende Sentenzen,

Höchst unbekümmert um das Seyn,

Die meisten ihren Egoismus kränzen.

Hieraus erklären sich all' die Inkonsequenzen

Der Philantropen von dem Dachstüblein

Bis auf den Tron. Sie kämpften für die Menschheitsrechte,

Und machten alles Recht zu ihrem Federball.

Sie warfen Blitz und Donnerknall

Auf Despotismus und Despotenknechte,

Und doch zerschmetterten sie jeden Wall

Und Zügel, der den Arm des Despotismus schwächte.

Denn so erschlichen sie fast ohne Müh'

Den Zweck, wonach ihr Eigennutz sich sehnte,

Und obendrein den Nimbus der Phitantropie; –

Und mancher dieser Menschheitshelden wähnte

Im Ernst, er sey ein Menschenfreund.

Denn, was man lange Zeit absichtlich scheint

Lügt Eitelkeit uns an, als wenn wirs wirklich wären,

Auch drechselte sehr leicht der Egoist

In sein System die philantrop'schen Lehren,[82]

Weil beyder Endzweck – Wohlbefinden ist,

Obgleich im Erstern diess sich auf das Ich beenget,

Im Letztern auf das Menschenall ergiesst.

Denn, wie gesagt, Philantropie verdränget

Die Selbstsucht nicht, und dient sogar als Schaugerüst,

Auf dem sie ihren Zweck nur leichter noch erzielet,

Weil sie ins lieblichste Gewand vermummt,

Die schöne Roll' des Menschenfreundes spielet.

Wo Menschenliebe fodert, da erstummt,

Zumal ihr Advokat nach eignen Zwecken schielet,

Sehr oft die Stimme der – Gerechtigkeit.

Und jedes Unrecht, dem das Wohl des Mensch geschlechtes

Den Stempel seiner Foderung verleyht,

Wird Recht im Aug' der Mehrheit, die des Rechtes

Unkundig, wie der Demagog' gebeut,

Jezt Fluch dem Recht, und jetzt dem Unrecht Beyfall schreyt.

Daher die Selbstsucht nie das Unrecht auszuüben[83]

Sich unterstund, da sie noch in Natura gieng,

Das sie im Namen der Humanität getrieben,

Seit sie die Larv' der Menschenliebe vor sich hieng.

Auch stäubet keine Sekte der Philosophie

So viele schöne, sanfte Worte,

Von Duldung, als die Sekte der Philantropie;

Und keine Geist verfinsternde Kohorte

Ist so intolerant, als eben sie.

Denn über alles, was nach ihrer Brille

Dem Wohl der Menschheit nicht entspricht,

Und ströhmte gleich aus ihm die reichste Fülle

Von Segnungen und Trost und Licht,

Und hieng' an ihm der allgemeine Wille,

Und wär' der Misbrauch leicht vermeidlich – bricht

Sie der Verdammung Stab – Es muss in Scherben springen!

Weshalb bey all' der üppigen Geschäftigkeit

Ihr überm Riesenwerk des Niederreissens – Zeit

Und Kraft zum Bauen und Verbessern ganz entgiengen. –

Kein Einzig Institut, so weit

Die Erde reicht, ist für die Menschheit kalkuliret,

Und Keines für den Zustand der Natur.[84]

Denn Menschheit und Naturstand sind erphantasieret.

Uns zeigt die Wirklichkeit beschränkte Wesen nur

Und kaum erspäht ein philosophisch Aug' die Spur

Des Urstands noch – So ferne sind wir divergiret.

Daher kein Werk, durch welches der Instinkt,

Der festen Trittes geht, wenn das System nur hinkt,

Die Sterblichen nach ihrer nicht erträumten Lage

In Zeit und Ort, zwar nicht zum reinsten Glücke schwingt,

Doch hindert, dass ihr Wohl nicht tiefer sinkt,

Und sicher stellt vor grössrer Plage, –

Vor dem erhabnen Richtersitz

Der Philantropen, wo die Menschheit selbst die Klage

Zu führen schien, Erbarmen fand. Ihr Rächerblitz

Schlug all' dies, weil es ihr humaner Witz

Als Barbarey gestempelt hatte, – zum Gewimmer

Von Nazionen taub, – in Trümmer. –[85]

Die Folge war, dass jedes innige Gefühl,

Das der Beschränktheit seiner Sphär, die Kraft verdanket,

Durch die es vom gesteckten Ziel

Nicht nach der Mode Wind wegschwanket,

Und fest des Menschen Herz an Menschenherzen ranket,

Im philantropischen Gewühl

Verflog. Man schämte sich ein Patriote,

Ein Zunft- ein Adels-Glied, ein Geistlicher zu seyn,

Und war – Kosmopolit. So nennt sich jenes todte

Gefühl, das, wie ein schimmerreicher Leichenstein

Das ganze Herz lebendiger Gefühle decket.

Verachtet wurde jede Lieb als zu gemein

Und flach, die auf der Menschheit All sich nicht erstrecket.

Selbst du, o Freundschaft! schrumpftest ein,

Wie ein Vergiss mein nicht, das man vom Sonnen-Schein

In Luft entpumpten Raum versetzte.

Und deinen Himmelsbund, o Hymen! schätzte

Man nur als egoistischen Verein,

Weil sich zwey Herzen nur durch ihn einander weyhen.[86]

Unzählig ward daher der Schwarm der – Ueberall

Und Nirgends, die wie richtungsloser Schall

Sich in die weite Welt zerstreuen.


Die Musen, Statt des Volkes Kräfte zu erneuen,

Beförderten nur mächtig ihren Fall.

In der empfindelnden Romane Fluth verglimmte

Das letzte Fünkchen von Vernunft; in ihr ersoff

Des Herzens ganze Energie, und – an dem Hof

Thaliens, die den Ton zum Idealen stimmte,

Ward jede Seelenkraft geschraubt und aufspannt,

Bis sie zerbrach. – So wurden Geist und Herz entmannt.

Zu jedem ernstlichen, anstrengenden Geschäffte

Verlohr sich alle Lust und Fähigkeit,

Und seines Adels war der schwache Mensch entweyht

Denn ächte Tugend heischet Thätigkeit,[87]

Verläugung, Kampf, und diese fodern Muth und Kräfte.

Die Tugend blieb daher im Munde steh'n.

Und auch im Munde noch ward sie verdrehet;

So wie die Schönheit einer herrlichen

Tonsetzung auf verstimmtem Spiel verlohren gehet.

Man tändelte sogar

Mit sittlichen Gefühlen, wie mit Tand der Mode,

Und gab hiedurch den sichersten Beweis vom Tode

Des Tugendsinns. So, Tugend! wurde dein Altar –

Das Herz – in dein Begräbniss umgestaltet! –

Wer Meynungen, die er nicht hegt, entfaltet,

Ist Heuchler, dem das: Trau nicht! an der Stirne flammt,

Dagegen wer Gefühle lügt, der ist ein – Teufel!

Denn von Gefühlen kömmt nicht leicht ein Zweifel,

Sie seyen nicht vom Herzen hergestammt.

Die Lüge der Empfindsamkeit verführte[88]

Daher die Unschuld weit unwiderstehlicher,

Seitdem Philantropie regierte,

Als aller Reiz, womit ein Epikurischer

Verführer seine Schlinge zierte.

Deshalb bewarb sich jeder Unhold, der

Zum Unschuldsmord ein Privileg' ambirte

Vor allem um den philantrop'schen Ordensstern.

Auch spielten Wollusttriebe nur zu gern

Im Drama der Empfindeley die erste Rolle;

Denn Sie gleicht einer Schale sonder Kern,

Die erst durch eine nahrungsvolle

Empfindung, wie die thierische, Geschmack gewinnt,

Und weiche Seelen sind für sich schon Sinn – genüssen

Sehr hold, und viel zu schwach und leicht gesinnt,

Um Widerstand zu leisten ihren süssen

Anreizungen, zumal, wenn sie mit Zaubergüssen

Von Menschenliebe trügerisch verschönert sind.

Daher gefiel auch kein Roman, und keine Szene

Auf dem Theater mehr, worinn nicht die Syrene

Der Wollust ihr Gewebe spinnt.[89]

Die Hofpoeten der Philantropie entlehnten,

Weil sie nur Blätterrausch des Pöbellobs ersehnten,

Und nicht der Sitten Besserung,

Von ihren Brüdern in des Epikurus Garten

Den Becher Wohllust athmender Begeisterung

Und zeugten – Kopf und Herz verderbende Bastarden.


Selbst die Erziehung der Philantropin'

Trug sehr viel bey, den Edelsinn

Des teutschen Karakters zum Leichtsinn zu entarten.

Durch frühe Weckung der Empfindeley

Ward früh' die Duldungskraft verschwemmet,

Die das Gemüth in tausend Misgeschicken stemmet,

Dass es nicht sink' in der Verzweiflung Raserey.

Und durch des Unterrichtes Spielerey

Ward zu der Frohnarbeit, der trocknen, wie am Karren

Des Amtes einst des Mann's so viele harren,

Im jungen Zögling Muth und Kraft

Mit künstlichem Bemüh'n – im Keim' erschlaft.

Für jenen Zustand der Natur erzogen,[90]

Den nur der Philantrop' erphantasirt,

Fand sich des Jünglings Herz, wenn er, der Schul entflogen,

Die Welt betrat, wie sie nun niemal existirt,

Und wegen der Idee, die man ihm infundirt,

Nicht besser ward, bey jedem Schritt und Blick betrogen.

Hierans entstand – Unbrauchbarkeit

Des armen Jünglings, dessen Thätigkeit

Da, wo sie gehen sollt', in hohen Lüften schwebte,

Und wenn sie wirken sollt', Ideen webte, –

Und dann die Pein der höchsten Unzufriedenheit

Mit der von seinem Ideal so weit

Entfernten Welt, in der er leider! wirklich lebte.

Daher wuchs täglich die Epidemie,

Sich durch Antochirie

Der Welt, die uns, und der man Last ist, zu entziehen.


So sehr indess die Jünger der Philantropie

Mit Ingrimm gegen Zunft und Orden glühen;

So fanden sie doch selbst, um Innigkeit[91]

Und Einfluss ihrer Theorie zu geben,

Nichts bessers, als die Kräfte, die zerstreut

Nichts richteten, mit Zunft-Geist zu beleben,

Und durch hierarchischen Verband

Den Einzelgeist ins Joch des Körpergeists zu beugen,

Allein – doch halt! – von diesem Orden muss ich schweigen!

Denn ach! man sagt, sein Geist sey so erztolerant

Dass er den Bürger ohne Ordensband,

Der sich vor ihm nicht will in Demuth neigen,

Und mehr noch Den, der's wagt, den Unverstand,

Die Thorheit und den Trug – des Ordens anzuzeigen,

Mit Anathemen aus der – Menscheit bannt. –

Genug! die Menschenliebe blieb zur Magd erniedrigt,

Und Eigennutz behielt die Herrschaft nach wie vor.


Am wenigsten ward durch dies Meteor

Von Menschenliebe, das in Selbstsucht sich verlohr,

Die syllogistische Vernunft der Schul' befriedigt.[92]

Denn für die philantropische Moral

Spricht nur Gefühl; für Syllogismus-Schärfe

Ist sie zu einfach, und im goth'schen Saal

Des Schulzanks ist doch allemahl

Der Syllogismus noch der Einz'ge Nerve,

Der Wahrheit gegen Irrthum fest erhält,

Sie stieg daher nur wenig auf's Katheder.

Und, wo sie es bestieg, da wurden gleich die Räder

Der Syllogistick, trotz der Schulpedanten Zeter

Ins Antiquarium gestellt,

Und das vielseitige, sehr angenehme

Gewinde der Sokratik ward zur Form erwählt.

Dagegen die berühmtesten Philosopheme

Der hohen Schule waren für den Menschensinn

Und das gemeine Leben, was fürs Blüh'n der Pflanzen

Ein Sonnen-Bild. – Man sah sich Eins das Andre flieh'n,

Sich jedes vor den Uebrigen verschanzen,

Und Alle mit endlosem Krieg' sich überzieh'n.

Die Sitten aber lenkten sich nach Keinem hin.

Jedoch, sowohl um der Systeme Dissonanzen

Zu lösen, und die Schulphilosophie[93]

Mit dem gesunden Menschensinne zu gemeinden,

Als zur Versöhnung der an sich vereinten,

Und erst durch die Philantropie,

Und den Epikuris'm in Tod-Disharmonie

Gezwungenen – gleichmächtigen Naturgetriebe –

Des Eigennutzes und der Menschenliebe,

Erschien urplötzlich, wie ein mächt'ger Blitz,

Der eine Wetternacht durchkreuzet,

Ein neu System, das Alle Vorigen vom Sitz

Minervens stürzen will, und nach All-Herrschaft geizet.

Auch ward's das Allzermalmende genannt!

Und in der That zerriss es manches Hirngewebe

Skolast'scher Unvernunft, und grenzte den Verstand

Zur Nüchternheit, damit er in dem Land

Der Möglichkeit nicht zu phantastisch schwebe.

Allein der Lügner in der Brust, – die Eitelkeit,

Den dies System so wenig, als ein frühers tödtet,

Benahm ihm selber die Bescheidenheit,

zu welcher es die älteren Systeme nöthet.[94]

Es warf den Fluch'der Nichtigkeit

Sogar auf alle Trümmer der gestürzten Schlösser,

Da doch der Fehler nur im Kunstgebrauche liegt,

Nicht in den Theilen selbst, die, würden sie nur besser,

Durch ordnenden Verstand in Eins gefügt,

Der Wahrheit selbst zum edeln Tempel würden; –

Und in den sonderbarsten Traum gewiegt,

Gab es den mit dem neusten Stoff geführten

Gedankenbau für ein unsterblich Haus,

Und das: Nicht weiter! aller Forschung aus.

Es prophezeyhte goldne Zeiten

Von seiner Lehren Wunderkraft,

Und es gebot daher der Lehren Wissenschaft

Durch alle Völker, Ständ' und Klassen zu verbreiten,

Und alle sie an ihrer Zauberschnur

In ein Arkadien der Sittlichkeit zu leiten.

Aus dieser stolzen, unbescheidenen Natur

Enträzeln sich: das schwärmerische Glühen

Für das System (der Sekten allgemeine Pest!),

Der Adelstolz, der die Philosophien

Der Vorzeit all', wie ein zertretnes Raupennest[95]

Verhöhnt, und das fanatische Bemühen,

Die ganze Welt zu dem Zerstöhrungsfest

Des alten Babelthurms, und zum Empor sich schwingen

Ins Eldorados3 der Moralität

Im Luftballon der neuen Schulmoral zu zwingen.

Denn dieses sind die Züge zum Portrait

Der meisten Helden aus der neuen Sekte,

Die nun zu ihrer Gunst die Leidenschaften weckte,

Und, wie der Frosch der Fabel aufgebläht,

In ihren Blähungen viel Kontreband versteckte.

Nicht wenige behaupteten sogar,

Dass alles, was bisher als Tugend geltend war,

Und was der Beste stets als aechte Tugend übte,

Nur pharisä'sche Gleisnerey

Und übertünchter Moder sey,

Weil ihm das von der neuen Formen-Giesserey

Der kritischen Philosophie beliebte

Gepräge noch nicht aufgestempelt ward. –[96]

Auch ist die neue Sittenlehr' so rein und zart,

Dass sie zur Atmosphär' dem Engel dienen möchte,

Dem Menschen aber, der mit Geist auch Sinne paart,

Im Klimmen zu der Tugend um den Othem brächte.

Nun aber taugt der herrlichste Brillant

Zu Nichts, als um den Pfau der Eitelkeit zu schmücken;

Und, wenn von hohem Thurm ins niedre Land

Ein Zwerkchen schaut, hält es die Riesen zwar für Mücken,

Das Zwerkchen aber bleibt – ein Zwerkchen doch.

Hiezu kam endlich noch,

Dass zur Bezeichnung der im Ozeane

Der Spekulazion von dem Genie

Des Stifters, und der Jünger unter seiner Fahne

Entdeckten Inseln, – die Philosophie

Sehr mystisch eingehüllet ward vom Talismane

Der unbekannt'sten Terminologie,

Und dass den Weg zu ihrem Heiligthum von Vornen[97]

Und Hinten4 dichtes Dunkel, und ein Wald von Dornen

Sehr mühsam machten, weshalb auch

Die Meisten ohne Prüfung über Unsinn klagten,

Indess nur wen'ge Zeit und Kraft zur Reise wagten.

Nun ist das Vorurtheil sehr im Gebrauch:

Dass Dunkelheit den Stein der Weisheit hülle,

Und Wer sich viele Mühe kosten liess,

Wär's zur Erobrung auch nur einer Grille,

Die irgend ein Genie in's Schulgebäude bliess,

Der sieht sich gross durch seines Herzens Brille;

Und zwar um desto grösser sieht er sich,

Je wenigere sich die gleiche Mühe geben.

Allein dieselben Gründe, die als Sporenstich

Der Eitelkeit, in denen, die Systeme weben,

Das neue Schulsystem zum Enthusiasmus heben,

Der ihm der Schule Huldigung erschlich,

Entrissen, ihm den Einfluss aufs gemeine Leben.

Weil es das Siegel der Scholastik trug;

So konnte Niemand seinen Sinn mit Fug[98]

Entziffern, als mit Gläsern in der Schul' geschliffen,

Und weil es selbst der Schulen Sprachgebrauch

Ganz umgeschmolzen hatte, blieb es auch

Für Manchen, der im Dunst und Rauch

Der Schul ergrauet war, ein Werk von Hieroglyphen.

Nun aber wird der Hieroglyphen Zauberkreis

Weit mehr, als das Verständlichste den Geyergriffen

Der neidischen Verläumdung preis,

Die mit des Truges feinsten Künsten weiss

Die öffentliche Meynung irr' zu leiten,

Und giebt der Phantasie der Ungeweyhten

Den freysten Raum, mit ihrer Taschenspielerey

Ein Chaos märchenhafter Schilderey

Zu hegen, und von Mund zu Mund' es zu verbreiten.

Daher ward das System sehr bald

In einen schlimmern Ruf, als es verdient, gesetzet.

Den Weisern aber, der so wenig prahlt,

Als schimpfet, und den Baum nach seinen Früchten schätzet,[99]

Liess das System mit all' der sittlichen Gestalt,

Worinn es paradiret – kalt.

Denn seiner Freunde Stolz und arrogantes Wesen,

Und ihrer Eitelkeit Geräusche liess im Grund

Der Herzen nur zu deutlich lesen:

Die Sittenbesserung sey nur im Mund –

Ein Tugendhymnus in dem tiefen Schlund

Des sittlichen Verderbnisses gesungen, –

Und die Moral sey nicht vom Hirn ins Herz gedrungen.

Wie konnt' es wohl auch anders seyn?

Statt Eigennutz und Menschenliebe zu versöhnen,

Will das System, dass sich, von Beyden Trieben rein,

Die Menschen mit dem Diadem des Seraphs krönen.

Es fodert, dass sie, von Vernunft allein

Getrieben, ohne Zweck, und kalt wie Stein

Dem Genius der Tugend fröhnen,

Den es zum reizlosen Gespenst entstellt.

Und jede That, in Hinsicht eines Zwecks gewirket.

Wär' auch der Zweck der edelste der Welt,[100]

Und jede, deren Güte nur Gefühl verbürget,

Erklärt die kritische Moral für falsches Geld,

Und dennoch kömmt der Mensch, wär' er der grösste Held

Der Tugend selbst, unmöglich je zum Ziele,

Blickt er nicht auf das Ziel, und merkt er nicht

Mit zartem Ohr die leisern Pulse der Gefühle.

So stockt die Wanduhr ohne ziehendes Gewicht,

Und ohne Rad und Wasser stockt die Mühle.

Macht man Unmöglichkeit zur Pflicht;

So wird das Mögliche versäumet.

Nicht wer vom Ideal der Tugend träumet,

Ist gut, nur Der ist es, der Gutes thut,

So viel er kann, wenn gleich der Lüste Fluth,

Und wie ein Ross, sich Leidenschaft entgegenbäumet.

Hier ist die Gränze, welche die Moral

Nicht überfliegen darf, soll sie zum Ideal

Der Sittlichkeit den Menschen stufenweis erheben,[101]

Sonst lässt ihr Pflichtgebot zu namenloser Quaal

Den Menschen zwischen Erd und Himmel schweben. –

Doch die Unbrauchbarkeit der neuen Theorie

Ist nicht ihr einziges Gebrechen.

Sie sprüht auch Gift, so wenig sie

Vielleicht es ahnt. Denn ihre Lehren schwächen,

Wie Epikur's System und wie Philantropie,

Die heiligsten der Menschheitsstüzen, und bestechen

Hiedurch die Gegner zum Verein.

Sie geht vom Grundsatz aus: »Nichts könne weisse,

Gerecht und Gut und edel seyn,

Was nicht des Geisterreiches Münzwardein –

Die kritische Vernunft auf ihrem Wolkensteisse,

Die Augen ungetrübt von dem Erfahrungskreisse

Der Zeit- und Ortsumstände, prüft und wägt,

Und als gerecht und gut und weiss und edel prägt, –

Und stürzet dann mit des Orkans erzürntem Flügel[102]

Auf Alles unerbittlich nieder, was das Siegel

Der abgezogensten Vernunft nicht trägt.«

Sie reibt daher des Pöbels besten Zügel –

Den Kirchendienst in Staub; erklärt

Der Offenbarung Licht für eine Blendlaterne,

Die von der Wahrheit um so mehr entferne,

Je weniger sich alles, was sie lehrt,

Als Widerschein des Lämpchens: Schulvernunft bewährt;

Verdammt äls widerrechtlich alle Rechte,

Die im Naturstand nicht gegründet sind,

Erkennet kein Gesetz, als legitimes Kind,

Das nicht des Herrschers Geist nach jenem Leisten flechte,

Nach dem sie ihr Vernunftgewebe spinnt;

Prägt jede Staatsform mit dem Stempel

Der Barbarey, die nicht nach ihres Traums Exempel

Errichtet ward, und endlich promulgirt

Sie gar die Pflicht: dies alles nur zu toleriren,

So lang' die Noth es imperirt,

Jedoch auf seinen Sturz beständig zu visiren,

Um dann beym nächsten Anlass, der sich präsentirt,

Mit glücklichem Erfolg den letzten Streich zu führen.

Doch selbst der Tempel der Naturreligion[103]

Ward durch das allzermalmende System erschüttert.

Denn, während unter seinem fulminanten Tron

Die Evidenz der Demonstrazion verwittert,

Und nun des Unsichtbaren Glaube, lange schon

Durch Spott gelähmt, am Faden des gesunden Sinnes zittert,

Jagt es auch den gesunden Sinn aus dem Gericht

Der Wahrheit fort, und knüpft des Unsichtbaren Glauben

An des Gewissens zartsten Laut, der nicht

Im Hundertesten rein und deutlich spricht,

Weil Selbstsucht ihn und Laster schweigen und verschrauben,

Und der sich meist an jenes Glaubens Hand

Erst zur Entwickelung und Reinheit kann erheben.

Der Gott in uns ist Wen'gen nur bekannt,

Und diese würden sittlich leben,

Wär ihnen an des Weltalls Gott, und an ein Land

Des Tugendlohnes gleich der Glaube nicht gegeben.5[104]

Auch machen Einige die kritische Moral

Zum Postament der Irreligion, und sehen

Im Schoose der Religion – ihr Ideal

Der Sittlichkeit, wie einen Irrwisch untergehen,

Weil durch den Blick auf Gott und Ewigkeit

Die Reinheit sittlicher Maximen trübe werde.

Und selbst den Keim der Sittlichkeit –

Den Othem Gottes im Gebild der Erde –

Entschwingt die neue Lehre nicht dem Streit

Der Spekulanten, die in ihren Ersten Gründen

Mit gleicher Bündigkeit

Die Freyheit und den Fatalismus finden.

Sie schürzet über jeden Gegenstand

Des Zweifels Knoten mit geschickter Hand,

Kann ihn oft aber selbst nicht auseinander winden.

Mit solchen Zaubereyen ward durch sie

Die Heiligkeit des Eigenthums und der Verträge –

Der Pfeiler aller Rechtsphilosophie! –

Ein schwankend Zwitterding, das, vom Gepräge

Der Zuversicht beraubt, die Eigensucht

Bald als des Vorurtheils barbar'sche Frucht

Verweisset, bald in seiner Würde postulieret –[105]

Nur nach den Launen der Konvenienz. –

Auch fehlt es ihr nicht an Inkonsequenz.

Ihr Schwerdt bestraft die Insolenz

Des Dogmatismus, und sie selbst – dogmatisiret

In Einem fort, wenn sie nicht – deliriret.

Die Grundideen von Unendlichkeit,

Zu welchen Alles, was im Weltall lebt und webet,

So unwillkürlich die Vernunft erhebet,

Erkläret sie für eitels Luftgebäud,

Weil solche sich den Schranken – Raum und Zeit

Entschwingen, während sie doch selbst den Idealen,

Durch sittliches Gefühl elektrisirt,

Und von der Phantasie glutvollem Pinsel ausgemahlen,

Reale Gegenstände postulirt.

Dergleichen Widersprüche, die an ihr mit grellen Zügen

In's Auge springen, machen es ihr schwer,

Den ältern Dogmatismus zu besiegen,

Zumahl die Pfeile mancher Skeptiker,

Die, kaum erscheint ein Satz, mit ihm im Kampfe liegen,

Jezt auf auf den neuen Bau mit neuer Schärfe fliegen.[106]

Sophystik endlich fand zu künstlichen Betrügen

In ihrer Terminologie

So gute Nahrung, dass sie, was ihr nur behagte,

Als kritische Philosophie

Zu Markte trug, und dass durch sie

Die Selbstsucht nur den Kopf noch höher ragte,

Indem sie jezt in Engelsform zernagte,

Was kurz zuvor – im Lammesfell. –

Die Musen aber schlüpften vor dem lauten Quell

Der neuen Weisheit, wie geschreckt vorüber,

Und weilten an den sanften Bächen lieber,

Wo – Wollust hier, mit Blüthen überschneyt.

Von Nichts, als Freuden träumt, zu Freuden nur erwachet,

Gesänge singet, Reihen tanzet, Kränze machet,

Pokale krönet, Küsse wechselt, Rosen streut;

Und dort Empfindsamkeit

Dem Schmerz des Wurmes Elegien weyht,

Und selbt in Felsen Mitgefühl anfachet,

Und Beyder Lippe mit schalkhafter Bitterkeit[107]

Der Neologen frostige Moral belachet.

Die Musen lachten mit, und durch sie ward der Faun

Des Leichtsinns, der dem Chor des Lachens präsidiret,

In komischen Popanz maskiret,

Sie gaben ihm den Huf des Stiers, den Schweif des Pfau'n

Den Kopf des Affen, und – des Engels Flügel

Und führten ihn in diesem Aufzug vor den Spiegel,

Und riefen spottend: »wie gefällst du dir,

O Tugendheld nach reiner Sittenlehre!« –

Nun treibt des Spottes geisselnde Megäre

Von jeher Meynungen aus ihrer Wirkungssphäre

Weit sichrer, als der klammrendste Vampir

Des Syllogismus je vermögend wäre.

Daher hat zum Exempel ein Kandid6

Mit seines Witzes flatternden Trabanten

Den edeln Optimismus mehr in Miskredit

Gebracht, als aller Gegengründe Folianten.

Durch Kontrovers gewinnt sogar[108]

Die Wahrheit einer Meynung; durch Satyren

Kann die verhöhte Wahrheit nur verlieren.

Der seichste Spott lässt sich durch eine Heldenschaar

Der strengsten Argumente nimmermehr wegschrecken;

Er sticht, und, sicher vor Gefahr,

Lässt er den Stachel in den Herzen stecken,

Mag die Vernunft dann sonnenklar

Des Spotts Ungründlichkeit beweissen –

Er zuckt und juckt lebendig doch

In jeder Nerve noch,

Und lässt sich schwerlich aus dem Herzen reissen.

Er überzeugt nicht, aber hört nicht auf zu gleissen.

Man sieht zwar seine Seichtheit ein,

Doch zwingt er selbst den Ernst zum Lachen.

Auch dringen, weil gelehrte Ziererey'n

Den Weg zu Wahrheitsgründen so beschwerlich machen,

In ihr Gemach nur Wenige hinein.

Wer aber tanzt nicht gern auf leichten Nachen[109]

Des Scherzes; und – ein Ein'zger Spötter zieht

Oft Tausende nach sich, so wie aus einer Staude

Von Disteln bald ein dichter Wald von Disteln blüht,

Indess die Kornsaat langsam wächst. Daher verbaute,

Wie üppiges Gesträuch dem Sonnenstrahl

Den Weg zur Rose, so der Spott der Sybariten

Der reinen kritischen Moral

Den Eingang in den ungelehrten Saal

Der Volks-Ideen, Meynungen und Sitten

Und, wenn aus ihrem geistigen Pokal

Auch in ein Werk der Phantasie Begriffe glitten;

So blieben sie, als Perlen bald im Mist verscharrt.

Bald wurden sie nur kalt, wie Obeliske mitten

In eines Obstwalds Reizen angestarrt,

Bald, wie die Unschuld in's Serail verführt, geschändet. –

Jemehr indess der Spott den Sklavenblick

Des Publikums der kritischen Moral entwendet,[110]

Um dessto leichter macht das Lustsystem sein Glück.

Ihr Kampf mit diesem und mit der Philantropine

Ist auch deswegen ein ungleiches Spiel,

Weil sie sich nicht auf ein Gefühl,

Wie letztre wurzelt, ja! sogar die herbe Miene,

Die edelsten Gefühle, deren Macht die kühne

Begierlichkeit so mild regiert,

Zu unterjochen stoisch affektirt.

Dies ist's warum die Eitelkeit der Schulgelehrten

Ihr bester Hebel war, und nur der Schule Hirn

Und Bücherschrank ein Plätzchen ihr gewährten, –

Indess das Lustsystem mit abgefeimter Stirn',

Und die Philantropine schmeichelnd – ihre Heerden

Am Band der Sympathie und Selbstsucht stets vermehrten.

Nicht einmal in der Schulen Region

Hat noch die neue Lehr' den Sieg errungen,

Obgleich von ihren Fechtern mancher schon[111]

Vom ew'gen Friedenschluss das Lied gesungen,

Denn in der Friedens-Ackte liegt

Der Keim, woraus ein Wald von frischem Zank entsprungen;

Und jede Seckte schreyt zugleich: »Sie hab' gesiegt!«

Doch würden sie, statt unter sich zu streiten,

Als wollt' das Faustrecht wieder aufersteh'n,

Auf eines Paris Ausspruch sich bescheiden;

So müsste dieser unbefangen eiegesteh'n:

»Es habe Keine noch die Wahrheit recht geseh'n.

Inzwischen – und, wie lang' noch mag es geh'n,

Bis dies Inzwischen wird den Schwamm des Friedens leiden? –

Inzwischen – ach! der letzte Zug des Pinsels brennt

Ins Herz! – bleibt Egoismus im Besitze,

Und macht den grösten Theil, der in der Honigpfütze

Der Lüste watet, gegen jedes End'

Des Zanks um Wahrheit höchst – indifferent.
[112]

O Freund!

In diesem Wirrwarr' von Philosophien

Heist mich mein Herz in Demuth niederknieen,

Und danken Gott, der, wie am hohen Firmament

Die Sonne, so im grossen Geisterstaate

Das Christenthum gepflanzet hat,

Das jedes Dunkel auf des Lebens Pilgerpfade

Durch Trost erhellt und durch Geboth und Rath;

Dem jedes menschliche System das Gute danket,

Was es enthält, und das – was Keines that,

Vorerst den faulen Fleck, woran die Menschheit kranket –

Die Eitelkeit – zu tödten anbefiehlt.


Wenn der Verstand mit unserm Herzen spielt,

Wenn das System im Strohm der Zweifel wanket,

Wenn es in's Grab zu seinen Vätern sinkt,

Wenn matter der Vernuft erarmtes Lämpchen blinkt,[113]

Und dann das Herz kein leitend Licht mehr findet; –

O Freund! es bräch' dies Herz, würd' es nicht orientirt

Vom Leuchtthurm, der, wenn Alles rings um ihn verschwindet

Noch leuchten wird! –

Fußnoten

1 Minst er fryd sa märdar smid

Margan tid ad Yrkia Nid.


Stephan ad Sex p. 117. S. Denis Abhandl. von der alten vaterl. Dichtkunst, §. 8.


2 Der Kunsttrieb der Thiere ist nämlich ein Analogon des Verstandes, und wird von Einigen auch Verstand genannt.


3 Eine von Voltair entdeckte Fabelwelt. S. den Candide!


4 A priori und a posteriori.


5 S. Paulus an die Römer II. 14. 15.


6 Ein bekannter Roman Voltärs gegen Leibnitzens Beste Welt.
[114]

Quelle:
[Wessenberg, Ignaz Heinrich von]: Über den Verfall der Sitten in Teutschland. [Zürich] 1799, S. 29-115.
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