V. Leben und Studien in Rom, 1837–1839.

[110] Tags darauf fuhr ich mit der Diligence nach Mantua, wo ich zwei Stunden Zeit hatte, den Palazzo del Te zu besichtigen und die Fresken, besonders die Bilder der Psyche, zu bewundern, welche Giulio Romano für die Gonzaga gemalt hat. Denselben Abend reiste ich über Modena nach Bologna. Ich saß im Wagen tief in Gedanken versunken, und wenn ich die Augen schloß, träumte ich von Lina, hörte ihre weiche Stimme und sah ihre großen, sanften Augen vor mir. Jene Wochen in Bozen waren für mich ein wonnevoller Traum, den ich noch länger fortträumte.

In Bologna war durch fünf Tage mein Cicerone ein Herr, an den mich Professor Lipparini empfohlen hatte und der die Kunstgeschichte der Stadt genau kannte. Er führte mich nicht nur in die Galerie und die Kirchen, sondern auch zu Privaten und zu den zwei tüchtigsten Professoren der Akademie. In der Galerie standen wir lange vor der h. Cäcilia Raphael's und mein Begleiter sprach mit Begeisterung, aber zumeist von der Technik und den Nebensachen des Bildes, während ich in stille Bewunderung des geistigen Theiles dieser Gestalten versunken war und nur wenig von seinen[110] Reden hörte. In den nächsten Tagen lernte ich Annibale Caracci, Guido Reni und Guercino kennen, die hier am Besten vertreten sind. Annibale war unter den drei Caracci gewiß der Tüchtigste, obwohl er mehr Talent als Genie hatte. Ganz besonders gefiel mir ein Bild von ihm: eine Madonna, die mit dem Kinde in einer Glorie steht, unten sind einige Heilige. Die Gestalten haben etwas Originelles, und doch erinnerte mich das Bild selbst in der Malweise an Paul Veronese. Die anmuthige Gestalt, das naive Schauen der schönen Augen fesselte mich und meine verliebte Phantasie erkannte in ihr eine große Aehnlichkeit mit dem Wesen meiner Lina. Ich skizzirte die Gestalt in mein Buch. Annibale ist aber als Eklektiker am Besten durch seine Fresken im Palazzo Farnese in Rom vertreten. Guido Reni, sein großer Schüler, gefiel mir wegen seines lebendigen Schönheitssinnes noch mehr. Er ist hier in seinen ersten Manieren durch große Bilder vertreten: eine Pietà, den Kindermord von Betlehem, sowie einen heiligen Bischof; einzelne Figuren blieben mir unvergeßlich. Guido, Guercino und besonders der Letztere sind in den Kirchen Bologna's als Freskenmaler groß. Ich bewunderte das herrliche Colorit des Letzteren, das in seinen Oelgemälden wegen der schwarzen Schatten nicht so leicht zu erkennen ist. Besonders bezauberten mich in seinen Fresken die schönen Engelsköpfe.

Bei aller Bewunderung dieser Maler fühlte ich doch den Unterschied mit der venetianischen Schule. Der warme Farbenschimmer der Venetianer fehlt, die schwarzen Schatten, das unharmonische Colorit, die affectirten Bewegungen fielen mir auf. Nur Tintoretto und die späteren sind mit den Bolognesen verwandt; ja in den letzten Bildern des Tintoretto[111] steht keine Figur mehr gerade, sie scheinen alle betrunken zu sein, wie man in der Scuola die S. Rocco und im Dogenpalast sehen kann. Nachdem ich mir noch den Kopf der h. Cäcilia gezeichnet und mich bei meinem Führer verabschiedet hatte, reiste ich mit einem Vetturin nach Florenz. Außer meinen Gedanken an Lina und der Bewunderung der schönen Landschaften in den Apenninen habe ich von der Fahrt nichts zu bemerken, als daß ein Kaufmann im Wagen sehr unterhaltend von seinen Reisen erzählte.

In Florenz logirte ich im Hôtel di Londra. Vor allem besuchte ich die zwei Hauptgalerien in den Uffizien und im Palazzo Pitti und wurde müde vor Bewunderung und Schauen. Einige Bilder machten mir einen unvergeßlichen Eindruck. Das überirdisch Schöne oder Ideale, das mich in den Madonnen Raphael's della Sedia und del Granduca bezauberte, ließ mich alle Naturwahrheit vergessen; wenn ich aber zu Tizian kam, fühlte ich mich wieder als Mensch mit Fleisch und Blut, wie er seine Menschen darstellt. Wer ist der Größere? Wenn ich bei Raphael stand, war er der Erste, kam ich zur Venus des Tizian zurück, so war er der Größere und in seiner Art Unerreichbare. Dann entzückte mich wieder die schöne Fornarina von Raphael, welche den Bildern des Tizian und Giorgione gleicht, und ich dachte: Raphael kann auch so malen, wenn er will. Einen großen Eindruck machte mir wegen des Seelenausdrucks die »Grablegung Christi« von Pietro Perugino.

In Florenz machte ich die Bekanntschaft des Schweizer Malers Paul Deschwanden. Er war zehn Jahre älter als ich, aber kleiner und sah aus wie ein Knabe; sein Gesicht war unschön, der Mund häßlich; er besaß jedoch einen edlen[112] Charakter voll Sanftmuth und Güte, dabei ein großes Talent und unermüdeten Fleiß. Er war der Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes aus Stans im Canton Unterwalden. In seiner Familie hatten sich eine katholische Frömmigkeit und die alten guten Sitten fortgeerbt. Er hatte ein Bild gemalt, das originell in seiner Art war und gleich verkauft wurde. Der Vorwurf war aus Klopstock's Messiade, und das Bild zeigte mehrere weißgekleidete Jünglingsgestalten in Gruppen und vertieft in himmlische Betrachtung nach oben schwebend. Die Köpfe waren bezaubernd schön und hatten etwas Himmlisches, daß ich mir dachte, dieser Mensch muß eine reine Seele haben um so zu empfinden. Nach einigen Tagen fühlte ich Freundschaft und große Verehrung für ihn. Er wußte, daß er in anderer Weise von mir gewinnen könne, denn er hatte nie eine Akademie oder ordentliche Malerschule besucht und nur einen gewöhnlichen zopfigen Maler in Zürich zum Lehrer gehabt; er malte mehr aus sich heraus. In der Zeichnung und im Malen war ihm etwas Zopfiges, Flaues geblieben, aber für seine Compositionen wählte er immer verklärte himmlische Geister in edlen Jünglingsgestalten und stellte sie dar wie Engel ohne Flügel, die Madonna oder Christus anbetend oder umschwebend, und das mit so viel Schönheitssinn, daß ich ganz bezaubert wurde. Selbst in den Engeln Raphael's konnte ich den himmlischen Ausdruck nicht finden wie in den seinen. Ich besuchte die vielen schönen Kirchen und Paläste, wo ich die Kunstschätze der alten Florentiner Schule zum erstenmale sah. Durch Deschwanden lernte ich trotz der steifen kindischen Formen den streng religiösen erhabenen Sinn und Geist in den alten Fresken entdecken; ja ohne seine geistige Vorbereitung würde ich selbst die[113] frommen Bilder des Fra Angelico nicht so verstanden haben, viel weniger die des Giotto, Cimabue u.a. Die Fresken Masaccio's in ai carmini machten mir einen unvergeßlichen Eindruck. Manches zeichnete ich mir nach diesen alten Meistern. Nach zwölf Tagen verließ ich Florenz, und Deschwanden versprach mir bald nach Rom zu folgen.

In Rom stieg ich zuerst im Gasthause zur Ciacinta Cesari auf der Piazza Minerva ab, und nachdem ich gespeist, ging ich sogleich nach St. Peter. Je näher ich kam, desto größer wurde alles. Die ungeheuere Größe von Allem und Jedem drückte mich, und ich staunte lange über die Pracht. Vor dem Grabe des h. Petrus kniete ich nieder und betete zu dem Allerhöchsten, der mich in die ewige Stadt geführt, das Ziel meiner Sehnsucht, meiner Seufzer. Ich hatte auch das Glück, Papst Gregor XVI. zu sehen, indem er mit einem Cardinal durch die Kirche ging. Am andern Tage ging ich zur österreichischen Gesandtschaft im Palazzo di Venezia und stellte mich dem Grafen Lützow vor, dem ich mein Decret und einige Empfehlungsbriefe übergab, und der mich sehr freundlich empfing. Im Gesandtschaftspalais gab es Ateliers für Maler und Bildhauer, und da gerade eines unbesetzt war, so wies mir Graf Lützow ein solches an, und nachdem ich mir ein Bett und die nöthigen Möbel angeschafft hatte, zog ich ein. Die Wohnung bestand mit dem geräumigen Atelier aus vier großen Räumen im höchsten Stockwerke des großen Thurmes, der mit dem alten Palaste in Verbindung stand und mehr wie zwei hohe übereinander gebaute Paläste aussah. Außer der großen Wohnung des Botschafters, den Wohnungen der Beamten und den Kanzleien waren noch ungeheure Säle, aber alles schien wie im[114] Verfalle. Auch meine Wohnung war vernachlässigt. Ich mußte 188 hohe Stufen hinaufsteigen. Graf Lützow sagte mir: »Sie können steigen, Sie sind ein junger, starker Tiroler und an's Steigen gewohnt.« Ich war jedoch sehr froh über diese Wohnung; ich genoß reine Luft, war von der Welt abgeschieden und hatte nach allen vier Richtungen die Aussicht auf die Stadt und die nahen Berge. Die Siebenhügel-Stadt lag wie ein Panorama vor mir. Mein Atelier hatte drei große Fenster; zwei waren durch Läden geschlossen, aber das dritte ging gegen Norden, gab ein prächtiges Licht für große Bilder, und ich sah durch dasselbe auf die Piazza di Venezia, den Palazzo Torlonia, den Quirinal und ai Monti mit dem Thurm des Nero. Von dem einen Zimmer, das ich nicht benützte, konnte ich gegen Osten das Campidoglio, das Colosseum, den Friedenstempel und die Via sacra mit dem Titusbogen erblicken.

Ich besuchte das Kaffee Greco, wo die Künstler zusammen kommen, verschaffte mir Adressen und machte sogleich die Bekanntschaft eines dänischen Bildhauers, Jericho, der am selben Tage wie ich in Rom angekommen war. Wir wurden gute Freunde, und er lebt und schafft noch als ausgezeichneter Bildhauer in Kopenhagen. Durch Giovanelli hatte ich von Görres aus München einen Empfehlungsbrief an Overbeck erhalten. Ich wußte nicht, daß der Empfangstag bei ihm nur Sonntag zwischen 12 und 1 Uhr sei und ging Donnerstag zwischen zwei und drei zum Palazzo Cenci, wo Overbeck wohnte. Mein Läuten war anfangs vergebens, als ich aber das drittemal stark läutete, öffnete eine weibliche Gestalt halb die Thür und rief mir die größten Grobheiten zu, warum ich nicht Sonntag komme, nannte mich einen[115] unverschämten Zudringlichen und schlug mir die Thür vor der Nase zu. Daß diese Xantippe Overbeck's fromme Gattin war, erfuhr ich erst später. Für jetzt ging ich meine Wege, aber Sonntags kam ich wieder, fand viele Besucher die Werke Overbeck's bewundernd und hatte Gelegenheit mein Schreiben zu überreichen und die Bekanntschaft dieses ehrwürdigen Mannes zu machen.

Seit ich Deschwanden kennen gelernt, seit ich die alte Florentiner Schule gesehen und mich wieder an die Allerheiligen-Capelle des Heß in München erinnerte, ging in mir nach und nach eine Veränderung vor, die mich völlig irre machte. Der Kampf, wischen Realismus, dem ich bisher gefolgt war, und Idealismus war in mir aufgelodert. Und wie in der Kunst erging es mir mit meinem inneren Wesen, mit meinen religiösen Ansichten. Diese waren mir wohl im väterlichen Hause eingeprägt worden, aber in der Fremde lernte ich freier denken und streifte schon an einen leichten Indifferentismus. Diesem wurde nun der erste Druck durch das Beispiel Deschwanden's gegeben, und es wirkte in mir deswegen so mächtig, weil ich Deschwanden als wahrhaft fromm und ohne Heuchelei erkannte. Seine ideale Kunst, der himmlische Ausdruck in seinen Engelsköpfen konnten nur aus einem edlen, reinen und gläubigen Herzen entspringen und wurden wieder von meinem lenkbaren Herzen erfaßt. Anfangs sträubte sich dasselbe in der Kunst und im Glauben, der Verkehr mit Deschwanden in Florenz war zu kurz und hatte noch keine feste Wurzel gefaßt. Als ich jedoch vor den Cartons Overbeck's und vor ihm selbst stand, wurde ich von seinem Aeußeren, von seiner demüthigen schlichten Erklärung, von dem guten seelenvollen Ausdruck seines Antlitzes wie von[116] dem frommen ergreifenden Wesen seiner Gestalt ganz hingerissen. In mir erneuerte sich das mächtige Gefühl, was ich bei Deschwanden empfand, nur mit mehr Ehrfurcht gemengt, denn Overbeck's sanfte Worte legten mir wie eine höhere Macht ein gehorsames sinnendes Schweigen auf.

Bei diesem Besuche fand ich einige deutsche junge Maler aus Koblenz, Düsseldorf und aus der katholischen Rheingegend, die alle seine Anhänger im Glauben und in der Kunst waren. Auch ein Wiener Geistlicher, Pfarrer in der österreichischen Kirche dell' Anima, P. Sartori, war zugegen. Allen diesen wurde ich vorgestellt und sie boten mir ihre Freundschaft an. P. Sartori war besonders liebenswürdig mit mir, und als ich ihn bis zur Anima begleitete, mußte ich versprechen, ihn öfter zu besuchen, ich würde einige Landsleute dort finden. Am nächsten Sonntag hörte ich seine Predigt und fand da eine große fromme deutsche Schaar, meist Künstler, Overbeck in der Mitte. Sartori predigte sehr angenehm und überzeugend, wodurch ich schon eine Stufe höher gerückt wurde. Ich erhielt Bücher frommen Inhaltes, z.B. das Leben der h. Elisabeth von Montalembert, die Legende der h. Katharina von Görres und die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis.

Diese Bücher und die neuen Bekanntschaften, der wöchentliche Besuch der deutschen Predigt erweckten in mir alle Frömmigkeit, ja sie machten mich zum Schwärmer. Ich besuchte nach und nach viele Kirchen und ging vor keiner vorbei, ohne einzukehren und in einer Ecke ein reumüthiges Gebet an Gott zu richten. Abends und Früh kniete ich sogar mit ausgestreckten Armen wie Moses auf dem Berge Sinai halbe Stunden lang in zerknirschter Andacht.[117] Jeden Sonntag nach der Predigt ging ich mit fünf bis sechs solchen frommen Künstlern eine oder die andere Galerie zu besichtigen, und ich fühlte mich anfangs sehr glücklich in diesen Bund aufgenommen zu sein. Ihr Urtheil in der Kunst traf aber nicht mit meiner Ueberzeugung zusammen; sie übergingen oft die schönsten Tizian's, Velasquez, van Dyk's und schauten nur die Bilder aus dem 14. Jahrhundert an, in denen sie den echt religiösen Geist erkannten, die mir aber steif und hölzern erschienen. Nach und nach fand ich auch Gefallen daran; wenn ich aber allein die Galerien oder den Vatican besuchte, kam ich immer mit mir selbst in Hader. Allmälig klärte sich meine künstlerische Ansicht insoweit, daß ich mir dachte: man könne ja den frommen Geist mit den schönen Formen und dem Colorit vereinigen, ohne so abstract das Steife, Harte und Unbehilfliche der alten italienischen Kunst nachzuahmen, wie es meine deutschen exaltirten Freunde thaten. Meine Aeußerungen gegen die älteren Künstler wurden mit katholischer Strenge zurückgewiesen: »Die christliche Kunst soll keine Augenweide sein, sondern sie soll das Herz zur Frömmigkeit stimmen, den Geist zu Gott erheben.« Ich besuchte die Freunde in ihren Ateliers, ersah aus ihren Compositionen manches Gute, aber ebensoviel Unbeholfenheit und Steifheit, von der ich ein großer Feind war. Ich lebte in einem schrecklichen Kampfe mit mir selbst, im Glauben und in der Kunst. Damals lernte ich den altberühmten Maler Koch kennen, einen Landsmann von mir, vor dem selbst Cornelius und Thorwaldsen Ehrfurcht hatten und sagten, daß sie am Meisten von ihm in der Kunst profitirt hätten. Leider ist Koch bald nach meinem ersten Besuche erkrankt und gestorben. Die ganze[118] deutsche Künstlerschaft betrauerte ihn, er war einer der gelehrtesten, denkendsten Künstler, die je gelebt haben. So lange es eine deutsche Kunst gibt, wird sein Name fortleben.

Ich componirte halbe Nächte lang an religiösen Bildern, konnte mich aber nicht in den rechten Geist hineinfinden; ich machte erbärmliches schmachtendes Zeug ohne wahres Gefühl, getraute mir nicht es Jemandem zu zeigen und vertilgte es wieder. Dabei wurde ich traurig und melancholisch. Ich klagte mich selbst an als unwürdig, die hohe schriftliche Kunst zu lernen, ging oft über das Forum in's Colosseum und wurde immer trauriger. Ich dachte an Lina, der ich versprochen hatte, mich in der Kunst emporzuschwingen und bald ein Bild einzuschicken, von dem ihr Vater Rühmliches erfahren sollte. Jede Woche schrieb ich einen Brief, bereits waren fünf Wochen vergangen, und ich hatte keine Antwort erhalten, kurz, alles stimmte mich herab, daß ich hätte zum Narren werden können. Selbst im Gebete fand ich keinen Trost. Es war mein Glück, daß ich durch den Botschafter die Erlaubniß erhielt, im Vatican studiren zu dürfen. Ich zeichnete in den Stanzen, und je mehr ich Raphael begreifen lernte, desto größer wurde er mir. Dadurch fühlte ich mich wieder glücklich und doch wieder so klein, weil ich mir sagte, es liege eine Ewigkeit zwischen mir und Raphael, und ich glaubte kein Talent für die höhere Kunst zu besitzen. Wäre nicht die Pflicht gewesen, ich wäre lieber nach Venedig oder Bozen zurückgekehrt; ja ich machte mir Vorwürfe, das Anbot des Professors Lipparini, die Stelle eines Zeichenlehrers beim Prinzen von Bordeaux in Görz zu übernehmen, abgelehnt zu haben.[119]

Damals kam ein angehender Maler aus Innsbruck, Peter Ortner, nach Rom und brachte eine Empfehlung meines Bruders an mich; sein auffallendes Talent für Compositionen, sein romantisches dichterisches Wesen und die Biederkeit seines Charakters machten, daß er bald mein Freund wurde. Auch andere österreichische Künstler und Pensionäre lernte ich kennen, aber außer den Architekten van der Nüll und Siccardsburg fand ich keine hervorragenden Talente. Da sie mich für einen Anfänger hielten, was ich wohl auch war, hielten sie es nicht der Mühe werth, mich in meinem hohen Thurme zu besuchen. Der älteste unter ihnen war der Maler Tunner aus Graz, der die Pensionäre zusammenhielt und es dahin brachte, daß wir Maler und Bildhauer die langen Winterabende benützten, nach nackten Modellen zu zeichnen, alle vierzehn Tage eine Composition aus der Bibel oder einer Legende vorzulegen und gegenseitig zu corrigiren. Wo es hieß, die Zeit zum Studium zu verwenden, war ich immer dabei, und ich profitirte viel in diesem Vereine. Auch hatten wir in der Woche zweimal des Abends Lesestunden aus der Weltgeschichte. Bereits hatte ich eine eigene Compositionsarbeit: die h. Elisabeth, wie sie den Armen Brod vertheilen will und von ihrem Gemal, der von der Jagd zurückkehrt, überrascht wird, wobei die Speisen sich in Rosen verwandelten. Es war mein erstes Bild in Rom, und ich gab mir viele Mühe, den frommen Geist hineinzulegen, und wie es schien, gelang es so ziemlich. Ich schickte es nach Wien, und Fürst Metternich kaufte es für seine Galerie, wo es noch zu sehen ist. Das Bild war aber meinen frommen Freunden vom Rheine, den Anhängern Overbeck's, nicht streng genug. Mein zweites Bild in Rom[120] war eine h. Familie für den Fürstbischof von Trient nebst einer Copie der »Pietà« von Garofalo in der Galerie Borghese. Die h. Familie war schon mehr zur Zufriedenheit Overbeck's, und er kam in meinen Thurm, um sie zu besichtigen. Auch malte ich Kopfstudien nach männlichen und weiblichen Modellen.

Dieses erste Jahr lernte ich auch den Bildhauer Anton Kriesmayer kennen, der eben von Tirol wieder nach Rom zurückkam, wo er schon früher ein Jahr zugebracht hatte. Er war ein schöner Mann von 26 Jahren und wurde mein Freund wie Peter Ortner; in ihrer Gemüthlichkeit sagten sie mir viel mehr zu, als die anderen Oesterreicher und besonders als die strengen Rheinländer. Ich wurde mit diesen zwei Landsleuten so vertraut, daß ich ihnen von meiner Liebe erzählte, was ich als eine große Erleichterung meiner Sorgen und Leiden empfand. Seit fünf Monaten war ich in Rom und schmachtete vergebens nach einer Erwiderung meiner vielen Briefe an die Nanni, in welchen immer ein Einschluß an Lina beigelegt war. Die Sache schien mir schon längst verdächtig. Nun kam endlich ein Brief der Nanni, der mich nicht länger im Unklaren ließ. Sie schrieb mir, daß sie alle meine Briefe, statt sie Lina zu übergeben, verbrannt und ihr dafür gesagt habe, ich habe sie leichtsinnig vergessen; sie habe ihr auch zugeredet, jeden Gedanken an mich aufzugeben, mich ebenfalls zu vergessen und habe es erreicht, daß Lina mich nicht mehr liebe und über ihre kindische Thorheit lache. Es sei übrigens ganz recht so, und wenn ich fortfahren sollte, Lina zu lieben, so sehe sie es als ein Glück für mich an, weil ich mich dann nicht leicht in eine Römerin verlieben würde. Den Gedanken[121] aber möchte ich mir ganz aus dem Sinne schlagen, Lina einmal zur Frau zu bekommen; sie sei eine Baronin, ich von armer dunkler Herkunft und habe eine so niedere Verwandtschaft, daß eine Heirat niemals möglich sei.

Mein Herz war wie von Messern zerschnitten. Wer jemals geliebt hat, kann sich einen Begriff von meinen Leiden machen. Es vergingen einige Tage, welche zu den traurigsten und untröstlichsten meines Lebens gehörten. Da selten ein Leid allein kommt, so erhielt ich einen Brief von meinem Bruder Franz, daß er ganz verunglückt und mit seiner Familie an den Bettelstab gekommen sei. Durch Freund Ortner ließ ich meinem Bruder 600 Gulden auszahlen, die ich in monatlichen Raten wieder abzahlte; aber mein Bruder, dem nichts gelingen wollte, nahm noch öfter zu mir seine Zuflucht. Meinen alten Vater hatte ich schon seit einigen Jahren unterstützt; nun gab ich beinahe die ganze Pension für Vater und Bruder hin und mußte wieder trachten Geld zu verdienen. Dabei lebte ich sehr sparsam, die langen Winterabende vertrauerte ich in meinem einsamen Thurme und kam nur öfter in die Gesellschaft junger Künstler, wo wir dann fleißig nach Modellen zeichneten. In meiner Grübelei und in meinem Liebesschmerze lebte ich am liebsten ganz zurückgezogen, ja die religiöse Schwärmerei, welche jeden Sonntag durch die Predigt neu aufgefrischt wurde und mir doch keinen Trost gewährte, machte mich völlig trübsinnig. Auch in der Kunst glaubte ich noch auf der niedersten Stufe zu stehen und fühlte meine Schwingen wie gelähmt. Ortner und Kriesmayer liebten mich und gaben sich viele Mühe, mir meine Gewissensscrupel zu nehmen und mich heiter zu stimmen. Sie besuchten mich[122] oft, ermunterten mich mit ihnen zu gehen, und ich befand mich in ihrer heiteren gemüthlichen Gesellschaft, recht wohl. Kriesmayer kam oft zu P. Sartori, aber mehr um seine liebenswürdige noch junge Schwester zu sehen, die sich in ihn verliebt hatte. Ortner war eine sehr poetische Natur, aber kein Pietist, im Gegentheil, sein Glaube war der des Faust von Göthe, den er ganz auswendig declamiren konnte. Er dichtete mehr, als er malte und zeichnete, hatte in seinen Gedichten viel Humor und wieder sehr gefühlvolle erhabene Gedanken. Er schrieb ein Heldengedicht im Stile des Nibelungenliedes: »Der Tiroler Landsturm 1800.« Er las mir viel vor, und obwohl wir über Religion viel zu streiten hatten, hatte ich ihn doch sehr lieb, denn er sagte mir durch sein offenes lebendiges Benehmen mehr zu, als der ruhige Kriesmayer, nur hatte er die unglückselige Gewohnheit, bei Nacht zu schwärmen und bei Tag bis zwölf oder ein Uhr zu schlafen. Dann ging er zum Essen und mit seinem Skizzenbuch in die Ruinen Roms spazieren, aber mehr um zu dichten als zu zeichnen. Durch sein unregelmäßiges Leben wurde seine starke Natur geschwächt, er mußte Rom verlassen und starb schon nach einem Jahre in Innsbruck. Seine Gedichte, die er unter dem Titel: »Gedichte eines Alpensohnes« herausgeben wollte, sind meines Wissens nie gedruckt worden, da sie von seinen Verwandten, die ihn für einen Wüstling und Taugenichts hielten, nicht beachtet wurden und vielleicht verschollen sind. Er hatte auch sehr geistreiche Zeichnungen zum Tiroler Landsturme gemacht; nur hatte er einen schlechten Vortrag, da er die Kunst des Zeichnens und Malens vernachlässigte.[123]

Als dann Freund Deschwanden nach Rom kam, bot ich ihm mit Erlaubniß des Botschafters meine Thurmwohnung an. Er verschaffte sich ein Bett und einen Kasten und zog gleich aus dem Gasthause zu mir. Zwei Stockwerke unter mir wohnte eine Steinmetzfamilie, die mich bediente, später hatte ich einen deutschen Schneidergesellen, der mir das Frühstück brachte und die Kleider reinigte. Durch das fromme Beispiel Deschwanden's wurde mein Hang zur Frömmigkeit wieder lebendiger und der Einfluß Ortner's und Kriesmayer's wieder etwas geschwächt. Deschwanden schien mir wie ein Muster in Fleiß und in jeder Tugend. Nur war er mir zu wenig Mann. Wir arbeiteten zusammen bald im Vatican nach den Fresken der Stanzen oder in meinem Atelier, wir schliefen in einem Zimmer und waren in Gesellschaft, beim Essen, wie in der Kirche und bei der Beichte zusammen. Er profitirte von meiner Erfahrung in der Kunst, und ich lernte wieder Vieles von ihm; er war mein geistiger Leiter. Mein Wesen war dem seinigen ganz entgegengesetzt; ich betrachtete auf der Gasse jedes schöne Mädchengesicht, er schaute dafür schöne Knaben und Jünglinge an. Das fiel mir oft auf und ich fragte ihn, warum er denn nie ein Mädchen ansehe und dafür an Knaben so viel Gefallen finde. Es bedurfte all meiner Zudringlichkeit, um ihn zum Sprechen zu bringen. »Du wirst freilich staunen«, begann er, »aber Dir will ich mich anvertrauen, da ich Dich als einen wahren Freund erkenne; die menschlichen Gefühle und Leidenschaften sind sehr verschieden, so die meinen und die Deinen, und ich wäre glücklich, wenn ich mich umwandeln könnte. Meine Leidenschaft, mich zu einem schönen Jüngling hingezogen zu fühlen, findet an meinem[124] Verstande und an meinen religiösen Grundsätzen, Gott sei Dank, immer Widerstand; durch mein inbrünstiges Gebet habe ich mich vor Neigung und Sünde gerettet.« »Wie ist es möglich«, rief ich, »hast Du wirklich kein Wohlgefallen, ein schönes Weib zu sehen? Hast Du auch Träume von Knaben und Jünglingen?« »Ja«, sagte er, »aber selten, schrecklich ist dann mein Erwachen, und nur im Gebet finde ich Trost.« Ich war anfangs sprachlos, ein Gefühl der Verachtung entstand in mir, dann verehrte ich ihn wieder, denn ich kannte ihn als vollkommen wahr und tugendhaft, und er kämpfte wie ein Held gegen seine Unnatur. Nun wurde mir klar, daß er gerne schöne Knaben und Jünglinge malte und auch in die Köpfe einen so rein himmlischen Ausdruck hineinzuzaubern wußte. Er war nicht nur im Malen, sondern auch im Dichten und in der Musik sehr begabt. Er hatte schwärmerische religiöse Gedichte gemacht und spielte das Piano, ohne die Noten zu kennen; er konnte phantasiren und alles, was er einmal gehört hatte, mit viel Gefühl nachspielen. Kurz, ich bewunderte ihn und hatte Grund, ihn zu lieben, da er bei all seinen anderen guten Eigenschaften auch der friedlichste sanfteste Mensch war. Nur Eines war mir widrig, er war von Haus aus wohlhabend und sparte mehr als ich, der aus Noth sparsam sein mußte und die Verwandten unterstützte. Wenn früh Morgens zur Messe geläutet wurde, ging er hinunter in die Marcuskirche. Auch ich folgte seinem Beispiele, aber nicht immer, denn ich legte mich noch oft auf die andere Seite um fortzuschlummern. Meine deutschen Freunde würden mir strenge Vorwürfe gemacht haben, aber der sanfte Deschwanden beruhigte mich, wenn er von der Messe zurückkam und sagte: »Du bist viel[125] jünger als ich, Du hast mehr Bedürfniß nach Schlaf, auch ist mir das Gebet mehr Bedürfniß als Dir.« In der Zeit, als ich mit Deschwanden in frommer Eintracht zusammen lebte, malte ich mein drittes Bild, das jetzt in der Belvedere-Galerie zu Wien ist: »Jacob's Reise durch die Wüste mit seinen zwölf Söhnen, vier Frauen, Knechten und Mägden, wie er Laban verläßt um zu Esau zurückzukehren und mit ihm Frieden zu stiften.« Die österreichischen Maler und Pensionäre, mit denen ich alle vierzehn Tage zusammenkam, hatten meine Composition als die beste erklärt und mich aufgefordert, dieselbe als Bild auszuführen. Während ich daran malte, erkrankte mein lieber Freund an einem leichten Typhus, doch wurde er von Doctor Mucchielli wohl behandelt und genas. Manche mondhelle Nacht habe ich bei ihm gewacht und ihn gepflegt, während der Gesang eines Improvisators in lang gezogenen Tönen in unseren Thurm heraufklang.

Die Abende brachte ich mit meinen Freunden in einem Gasthause zu, und zuweilen besuchte ich auch die Bälle bei unserem Botschafter Grafen Lützow, aber nur höchst selten, weil diese Bälle von der hohen Aristokratie Roms und vornehmen Fremden besucht wurden und ich mich als ein armer junger Maler fremd und einsam fühlte. Ich war kein Tänzer und hatte auch nicht den Muth, mich den hohen Damen vorzustellen. Eines Abends, als ich an einem solchen Ballabende meinen Namen dem Diener ansagte, rief dieser laut in den Saal hinein: »Il conte di Blaas!« Graf Lützow kam mir lächelnd entgegen und sagte: »Nun, es geht ja vortrefflich, Sie sind schon hoch im Range gestiegen.« Der Ball war von der großen römischen Aristokratie und vielen[126] hohen Fremden besucht, auch die Kronprinzen Alexander von Rußland und Max von Baiern waren gegenwärtig. Freiherr von Ottenfels, damals Attaché der österreichischen Gesandtschaft und Legationsrath von Ohms nannten mir einige der Damen, welche durch Schönheit, Rang und Pracht hervorleuchteten. Vor Allen glänzte die Fürstin Torlonia, eine geborne Fürstin Colonna, durch Schönheit, Jugend, Anmuth und den reichsten Schmuck; leider wurde sie nach dem ersten Kinde irrsinnig und der reiche Torlonia dadurch ein armer betrübter Mann. Ebenso ragten durch Schönheit und Pracht die zwei Schwestern, Töchter des Lords Shrewsbury, hervor: die Fürstin Borghese und Fürstin Doria. In späteren Jahren hatte ich das Glück, auf vielen Bällen der Vornehmen und des Hofes in Wien zu sein, aber schönere und reicher geschmückte Damen als in Rom habe ich nie wieder gesehen.

Es gab in Rom unter den deutschen Künstlern oft Abendunterhaltungen, aber das Zechen war meiner Gesundheit und Börse nicht zuträglich, und ich benützte dafür die Zeit zur Lectüre, oder brachte die Abende gemüthlich mit Deschwanden oder mit Ortner und Kriesmayer zu. Bei der deutschen Künstlergesellschaft im Gasthause »al Fiano« wurde ein humoristisches Fest, das Pontemolle-Fest oft wiederholt. Wer in diese Gesellschaft aufgenommen werden wollte, mußte »Ponte molle« passiren, d.h. für den Festabend allen Wein bezahlen und vor dem Präsidenten und allen Künstlern eine humoristische Probe ablegen, worauf ihm der Präsident den Bajocch-Orden, eine Kette von Kupfermünzen (Bajocchi) umhing und eine komische Anrede hielt. Der neu Aufgenommene wurde dann von zwei Cohortenführern durch ein Spalier[127] aller gegenwärtigen Künstler, deren jeder ein brennendes Wachskerzchen in der Hand hielt, geführt, und der Chor sang: »Prinz Eugenius, der edle Ritter.« Ich und der Bildhauer Jericho ließen uns dort aufnehmen und lösten unsere Aufgabe zur Zufriedenheit Aller. Meine Aufgabe war, die Brücke Ponte molle zu zeichnen, und zwar, wie der Präsident bemerkte, im strengen Stile, weil ich mich der christlichen Kunst widme; ich zeichnete auf die Tafel eine Foglietta und umgab den Kopf der Flasche mit einem Heiligenschein. Es wurde viel gelacht, und ich hatte die Probe gut bestanden, denn der Inhalt der Foglietta, guter Frascatiner Wein, belebte ja das Pontemolle-Fest. Ich erhielt meinen Bajocch-Orden und wurde im Triumph durch das Künstlerspalier geführt.

Ebenso veranstaltete die deutsche Künstlergenossenschaft von al Fiano jährlich am ersten Mai das berühmte Cervara-Fest, d.h. einen komischen Ausritt zu Pferde oder Esel, wobei alle Theilnehmer costumirt waren. Der Präsident wählte sich seine Edelknaben und Ritter, die Generalversammlung ernannte einen Oberst der Cavallerie zu Pferde oder zu Esel, einige Cohortenführer, den obersten Küchenmeister, den Mundschenk oder Ganymed und zur Aufrechthaltung der Ordnung auch einige Carabinieri als Polizeileute. Alle waren so grotesk und humoristisch costumirt, wie es eben nur Künstler zu erfinden im Stande sind. Sie versammelten sich Früh sechs Uhr bei der Porta maggiore. Der Präsident trug einen rothen Königsmantel und den Bajocch-Orden und fuhr mit seinen Pagen in einem zweirädrigen Wagen, der mit vier Ochsen bespannt und wie ein antiker Triumphwagen aufgeputzt war, vor das Thor in die Campagna.[128] Ihm folgten die Wagen des obersten Küchenmeisters, des Mundschenks, der als Bacchus verkleidet war, die Wagen mit den Geräthschaften zu den olympischen Spielen, nebenher sprengten auf Pferden oder Eseln die Ritter und Edelknechte, alle in reiche schöne Trachten gekleidet, und hintennach folgte ein Troß von Reitenden und Fahrenden. Hier tummelte ein Kreuzritter in glänzender Rüstung sein Roß, dort sprengte ein Beduine oder ein wilder rothhäutiger Indianer heran; zwischen ihnen ritten Friedrich der Große von Preußen, Albrecht Dürer, Leonardo da Vinci u.a. Viele Zuschauer, Herren und Frauen, hatten sich in ihren Wagen dem Zuge angeschlossen. Beim Torre di Quinto, einer Thurmruine an der Straße nach Tivoli, wo man eine reizende Aussicht auf die Campagna hat, wurde Halt gemacht. Alle lagerten im Freien auf den grünen Wiesen, und es konnte nicht leicht einen schöneren, mehr malerischen Anblick geben. Es wurde gegessen, getrunken, der Präsident hielt Revue über die verschiedenen Gruppen, und der Chor sang deutsche Lieder. Das Fest war von deutschen Künstlern gegründet und geleitet. Wohl hatten sich Künstler anderer Nationen angeschlossen, aber die deutsche Sprache war die vorherrschende bei allen Reden, Gesängen und Vorträgen. Nach einer Stunde ging der Zug weiter zu den sogenannten Cervara-Grotten in der Campagna, alten Steinbrüchen und Ausgrabungen von Puzzolanerde aus der Römerzeit. Alles drängte sich, weil es heiß wurde, in die Schatten der mit Schlingpflanzen berankten Felsenabhänge oder in die trockenen geräumigen Grotten. Hier wurde getafelt. Die Steine in der Grotte waren wie zu Opfertischen zusammengelegt oder[129] bildeten die Sitze, das Tischtuch bestand aus frischem Grase und Feldblumen. Die Carabinieri machten Ordnung, und die Köche und Kellner trugen kaltes Fleisch, Schinken, Salami, Käse und Früchte im Ueberflusse auf. Zuletzt wurde der schwarze Kaffee von dem beliebten Marqueur Pietro aus dem Kaffee Greco servirt, der einzige Nichtkünstler, der als Teufel verkleidet zugelassen wurde. Das Bild in diesen Höhlen mit den wechselnden Lichtern und Schatten, mit den Gesteinen und Pflanzen, mit den Hunderten von costumirten Figuren war wirklich feenhaft. Leider hat kein Maler ein Bild davon entworfen. Der damalige Idealismus hemmte den herrlichen Natureindruck. Die sogenannten Nazarener, zu denen auch ich als Neuling gehörte, wollten nur die Religion verherrlichen, der Historienmaler fand es unter seiner Würde, und selbst dem Genremaler fiel es nicht ein, ein Bild daraus zu malen. Heutzutage, wo das Colorit und der Realismus wieder höher stehen, würde man mit Begierde darnach greifen, aber die Feste haben aufgehört, und alles ist vorüber. Während und nach dem Essen wurden Reden gehalten und Spässe aller Art getrieben. So hielt der Paduaner I. Caneva, ein alter Schulkamerad von mir, der als Beduine verkleidet war, eine Rede, anscheinend arabisch, aber er sprach alles durcheinander. Zuletzt warf er seinen Turban in die Menge, und Alles lachte, als man sein Haupt ganz glatt rasirt erblickte. Dann folgte der Zug in die hohe weite Grotte der Sibylle, von der viele dunkle Vertiefungen in das tiefere Erdreich, vielleicht bis zu den Katakomben ausgehen. Am Ende der Grotte war von Stein ein Altar errichtet. Von dem Scheine der bläulichen Flamme, welche darauf brannte, beleuchtet, hielt der Präsident eine[130] humoristische Rede über die Vergangenheit und Gegenwart der Künstlerwelt und beschwor dann die Sibylle zu erscheinen. Auf seinen wiederholten Zauberspruch erschienen zuerst Gespenster, riesige Krokodile, welche sich jedoch nach dem Fluche des Präsidenten wieder entfernten, und erst nach dem dritten Spruche erschien aus dem Dunkel der Grotte die Sibylle selbst und prophezeite die Zukunft in Reimen. Alles lachte, klatschte und rief Hurrah! Nun begannen die olympischen Spiele, und ein Bildhauer meißelte in die Wand mit Lapidarschrift die zwölfte Olympiade mit der Jahreszahl ein. Wahrscheinlich sind alle diese Inschriften noch dort zu lesen. Zum Schlusse folgte ein Wettrennen und eine feierliche Preisvertheilung, und allmälig machten sich die Fußgänger und Reiter auf den Rückweg bis zum Torre dei schiavi, wo sie nochmals den Präsidentenwagen und Reitertroß erwarteten. Beim Scheine der untergehenden Sonne zogen Alle der ewigen Stadt zu, und je näher der Zug kam, desto mehr Zuschauer standen auf der Straße. Die letzten Nachzügler kamen erst um Mitternacht nach Hause und brachten ihren Zopf heim, den ihnen der gute Wein angehängt hatte.

Wir österreichischen Künstler und Pensionäre waren bei dem Fest alle in den österreichischen Farben erschienen, trugen weiße Kleider, Strohhüte und rothe Seidenschärpen. Da ich seit zehn Jahren auf keinem Pferde gesessen war, wollte ich mich, wie so viele Andere, mit einem Esel begnügen. Als jedoch der Maler Tunner, der älteste unter uns Oesterreichern, der einen muthigen schwarzen Hengst bestellt hatte, sich vor dem Ritt fürchtete, weil das Pferd bei seiner ersten Berührung in die Höhe stieg, überließ ich meinen[131] Esel wieder dem Stallknechte, bestieg den Rappen und sprengte im Galop den andern Reitern nach. Das Wohlbehagen, das ich auf dem Rücken dieses feurigen und doch lenkbaren Thieres empfand, kann ich nicht beschreiben; mir war, als wäre ich stets zu Pferde gewesen; das Pferd verstand auch jede leise Handbewegung und sprengte freudig und rasch über die Wiesen dahin. Ich sollte mit dem schönen Pferde noch viel Beifall erringen, denn ich gewann mit ihm den ersten Preis beim Wettrennen, obwohl viel tüchtige Reiter auf englischen Pferden dasselbe mitmachten. Die Rennbahn war eine Miglie lang, und es mußte um eine Stange, die am Ende aufgesteckt war, geritten werden; der erste der zum Präsidenten zurückkam, war der Sieger. Bei zwanzig Reiter waren aufgestellt und ritten auf das gegebene Zeichen ab. Ich befand mich so ziemlich in der Mitte, hielt jedoch beim Hinreiten nur das gerade Ziel der Stange vor Augen und ließ in der Nähe desselben mein Pferd langsamer gehen, um schnell und knapp hinter der Stange umzukehren, während die Andern beim raschen Ritt auseinander geriethen und die Stange weit im Umkreise überritten. Durch diese List bekam ich einen Vorsprung, spornte dann den Gaul und ließ mir keinen Reiter mehr nahe kommen, bis das Ziel erreicht war. Der Preis bestand in einer kleinen echt etrurischen Vase.

Es war ein fröhlicher erster Maitag, aber auf dem Heimwege überkamen mich schwermüthige Gedanken, und in der That fand ich zu Hause einen Brief mit Klagen über die Noth meines ältesten Bruders, der mit seiner Familie von Neuem abgewirthschaftet hatte. In meiner religiösen Schwärmerei[132] nahm ich den Brief wie eine Strafe Gottes, daß ich an diesem Tage so verschwenderisch und tollkühn gelebt hatte. Erst vier Jahre später, als ich das erste Jahr verheiratet war, machte ich als Adjutant des Präsidenten dieses Fest wieder mit, ritt ein gutes englisches Pferd und gewann durch dieselbe List abermals den ersten Preis im Rennen.[133]

Quelle:
Blaas, Karl: Selbstbiographie des Malers Karl Blaas 1815–1876. Wien 1876, S. 110-134.
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