VII. Liebe und Heirat, 1840–1842.

[152] Als ich nach Rom zurückkam, erfuhr ich durch Kriesmayer, der bereits vor mir eingetroffen war, daß Maler Flatz, dessen Frau in Frascati gestorben war, wieder in Rom sei. Flatz war in Innsbruck sehr gütig für mich gewesen, und ich freute mich ihn wiederzusehen; aber er war sehr verändert und erschien in seinen Ansichten wie in seinen Kleidern wie ein weltlicher Jesuit. Er ging auch viel mit Jesuiten um, schrieb für religiöse Zeitungen und versuchte auch mich im Glauben wieder aufzufrischen, da ich durch meine Reise nach Neapel durch die Schönheit der Natur und antiken Kunst etwas lauer geworden war. Durch Flatz und P. Sartori lernten wir den Baron B. kennen, der früher in Hannover Offizier, dann Kämmerer beim Herzog von Lucca war, und jetzt eine bescheidene Lehrerstelle beim Grafen Buttürlin versah. Er galt schon damals als ein Abenteurer, lebte bald reich, bald arm, verschwand aus Rom und soll in einem Karthäuser-Kloster gestorben sein. In Rom war er für mich und Kriesmayer sehr gefällig. Als dieser bedenklich krank wurde, empfahl ihn Baron B. einem englischen Arzt, Dr. Millingen in Albano, wo Kriesmayer in der That Wohnung und Pflege erhielt.[152]

Da ich mit Dr. Millingen später befreundet und verwandt wurde, will ich einiges von ihm mittheilen. Er war ein Sohn des berühmten englischen Numismatikers Millingen, der im Orient archäologische numismatische Schätze gesammelt, das britische Museum mit Münzen und griechischen Vasen bereichert hat, und erst 1846 in Florenz gestorben ist. August Millingen war in Paris geboren, studirte in Rom, Edinburg und vollendete seine medizinischen Studien in Paris. Da seine Mutter Hofdame in Lucca war, brachte er einige Jahre an diesem kleinen italienischen Hofe zu, ging dann als englischer Militärarzt nach Ostindien, mußte jedoch wegen einer Krankheit nach drei Jahren den Dienst verlassen und nach Europa zurückkehren. Als er in Rom wieder erkrankte, empfahl man ihm Albano als Landaufenthalt, wo er bei einer Witwe die sorgsamste Pflege fand. Nachdem er genesen, heiratete er sie und gab ihrer Tochter aus erster Ehe eine sorgfältige Erziehung.

Ich fuhr eines Tages anfangs Mai nach Albano, um meinen kranken Freund Kriesmayer zu besuchen. Beim Hause Millingen angelangt, öffnete mir eine herrliche Jungfrau den Eingang in die Wohnung. Es war Agnesina, die Tochter der Frau Millingen, eine Juno von Gestalt und voll Anmuth und Schönheit. »Verwandte Seelen knüpft der Augenblick des ersten Sehens mit diamantenen Banden«, sagt Shakespeare. Niemals hat ein Mädchen im ersten Augenblicke so einen bezaubernden Eindruck auf mich gemacht, nie hat mich eine so lieblich klingende Stimme angesprochen. Ich war verlegen und kaum in der Fassung, mich nach meinem Freunde zu erkundigen. »Sie sind Herr Flatz?« fragte sie mir in die Augen schauend und etwas zaghaft forschend.[153] »Nein, ich bin Blaas.« »Aber Sie haben ja einen Flor am Hute, daher glaubte ich den Witwer Flatz zu sehen, den Herr Kriesmayer erwartet.« Wohl trug ich Trauer und zwar um meinen in jenem Jahre 1840 verstorbenen Onkel von Eschenburg. Ich begrüßte dann Dr. Millingen, den ich schon von Rom aus kannte und machte die Bekanntschaft der Frau Signora Giacomina, einer Frau von 38 Jahren, aber von so edler Gestalt und schönem Gesicht, daß sie als die ältere Schwester ihrer Tochter hätte gelten können. Sie war einst das schönste Mädchen in Albano, wo bekanntlich die Frauen wegen ihrer Schönheit berühmt sind. Dr. Millingen schilderte mir die Krankheit des armen Kriesmayer als sehr bedenklich, obwohl sich dieser besser zu befinden glaubte; er konnte mir nicht genug von der Pflege und Herzensgüte der zwei Frauen erzählen. »Wenn Agnesina mir ein Süppchen bringt«, fügte er hinzu »glaube ich einen Engel vor mir zu sehen.«

Da es mir hier gefiel und ich eine Zeitlang bei Kriesmayer bleiben wollte, kam ich mit Dr. Millingen und seiner Frau überein mir ein Zimmer und die Kost zu geben, ließ das nothwendige Gepäck und Malergeräthe von Rom bringen und begann meinen Sommeraufenthalt. Es war Mitte Mai 1841. In der reizenden und classischen Umgebung von Albano machte ich Landschaftsstudien, und wenn ich zurückkam, leistete ich meinem Freunde Gesellschaft im Garten, später am Krankenbette. Da ich mit der Familie Millingen zusammen speiste, lernte ich diese vortrefflichen guten Menschen bald näher kennen. Der erste Mann der Signora Giacomina, Herr Faustino Auda, stammte aus Nizza, war ein vermögender angesehener Herr und Bürgermeister in Albano; aber er verschwendete und verspielte sein Vermögen, kränkelte dann[154] viele Jahre und starb in Armuth. Die Witwe wurde von den wohlhabenden Verwandten verlassen und vergessen, bis Millingen sie kennen lernte und heiratete. Durch eine Schwägerschaft war sie mit der fürstlichen Familie Gaetani verwandt und die Familie des Don Vincenzo, so wie Don Philipp von Gaetani erkannten Giacomina als Verwandte, und als ich später ihre Tochter Agnesina geheiratet hatte, wurden die gegenseitigen Besuche fortgesetzt, bis ich mit meiner Familie Rom verließ. Auch Cardinal Dipietro war ein Onkel meiner Schwiegermutter. Agnesina war bei ihrem Vater, den sie durch zehn Jahre seiner Krankheit bediente, wie eine Krankenwärterin herangewachsen, sie hatte daher wenig Freude und destomehr Kummer und Sorge erlebt. Mit ihrem guten Herzen und zartem Gemüth pflegte sie auch den armen Kriesmayer liebevoll und aufmerksam. Aus der Ehe mit Millingen stammte ein Knabe von sieben Jahren, Luigi, der Liebling des Hauses, der mir wegen seiner Schönheit, mit seinen wundervollen Augen und gelocktem Haare oft als Modell zu Engelsköpfen sitzen mußte. Da Dr. Millingen auch nicht vermögend war, und nur von einer Pension, die er aus England bezog, lebte, war die Wirthschaft ganz einfach. Mutter und Tochter versahen das Hauswesen, hatten nur eine Magd und zur Aushilfe in der Küche kam täglich ein alter Mann, Maestro Livio, der trotz seines hohen Alters und seiner Armuth immer in der besten Laune war, und seit langem beinahe zur Familie gehörte. Er wurde von uns und andern der Conte genannt; einstmal im Carneval verkleidete er sich als Conte aus der Perrückenzeit und ließ auf seinen Rücken schreiben: »Sono il conte Creppa, chi mi guarda sciatta.«

[155] Dr. Millingen und seine Familie waren in Albano sehr geachtet und beliebt. Er hatte nicht das Recht in der Stadt als Arzt eine Praxis auszuüben, aber er behandelte arme Kranke umsonst und ließ ihnen noch ein Geld zurück, daß sie sich besser nähren konnten. Täglich kamen Kranke zu ihm in's Haus und jährlich einige Engländer, die sich von ihm behandeln ließen und ihn reichlich dafür bezahlten. Er sprach englisch wie ein Engländer, französisch wie ein Franzose und ebenso italienisch. Er hatte viel erfahren und Manches in seinem Leben durchgemacht. Wenn er von seinen Reisen und fremden Menschen erzählte, hörte ich ihm gerne und aufmerksam zu. Dabei war er ein freisinniger Mann und seine Grundsätze sehr von den meinen verschieden; am Abend, wenn die Frauen sich zurückgezogen hatten und wir bei einem Glas Wein noch beisammen blieben, stritten wir oft über Religion und Glauben, aber er wurde nie hitzig und wir gingen immer in Freundschaft auseinander. Er zählte damals 41 Jahre und ich hatte das 25. vollendet. Wir machten zusammen weite Spaziergänge und da er ein Jagdfreund war, ging ich viel mit ihm auf die Jagd und wurde wieder, wie einst als Knabe, leidenschaftlich dafür eingenommen.

Durch das Zusammenleben wurde nach und nach in mir, wie in Agnesina, eine gegenseitige Liebe erweckt, die wir uns noch nicht eingestanden. Nach einiger Zeit kam es zwischen uns, obwohl wir beide zurückhaltend waren, doch zum Geständniß. Ich versäumte auch keine Gelegenheit sie auf Augenblicke allein zu sprechen. Die Anmuth ihres ganzen Wesens, die Klarheit des Verstandes, die Liebe zu den Armen, die Herzlichkeit, mit der sie den armen Freund verpflegte, ihr stiller häuslicher Sinn, alles bezauberte mich. Kaum[156] hatte ich mich in die auflodernde Liebe himmlisch hineingelebt, als ich in sehr ernste Gedanken verfiel. Ich dachte: Agnesina muß meine Frau werden, ohne sie wäre mein Leben trostlos; aber ich hatte mir als Künstler noch keinen Namen erworben, konnte kaum meinen Unterhalt bestreiten und mir nur durch ungewöhnliche Sparsamkeit für den Vater und die Geschwister etwas erübrigen. Agnesina hatte auch kein Vermögen, denn ihre Familie war aus dem Wohlstande in Armuth herabgesunken. Ueber diese Gedanken wurde ich sehr traurig und Agnesina bemerkte dieses sogleich. Als ich eines Tages im Garten unter den schattigen Weinlauben auf und nieder ging, kam sie zu mir, um mich über meinen Gemüthszustand auszuforschen, und ich gestand ihr ohne Rückhalt alles, was mein krankes Herz drücke. Sie tröstete mich in der liebevollsten Weise und sagte: »Wir wollen ausharren, mein Freund, bis Sie Bestellungen bekommen und sich eine Existenz erworben haben, was bei Ihrem Talent und Fleiß, wie ich voraussehe, spätestens in zwei Jahren geschehen kann; dann wollen wir heiraten.« Ohne sie auf die Probe stellen zu wollen, denn dafür liebte ich sie zu sehr, erwiderte ich: es sei besser für sie, wenn sich eine gute Partie in Aussicht stelle, sie möge nicht so lange und in's Ungewisse auf mich warten, denn ich könne und wolle nicht eher heiraten, bis ich im Stande sei, eine Familie zu erhalten. Das war ein Augenblick, den ich nicht schildern kann. Sie gab sich nun, wie ihr um's Herz war, und ich sah durch ihre Thränen in ihr liebenswürdiges Herz hinein. Ich blieb standhaft und erklärte ihr wieder, daß ich sie liebe, aber ihr nur dann meine Hand antragen werde, wenn sich meine Verhältnisse gebessert und sie noch frei sei; sie möge sich gedulden und[157] mir vollen Glauben schenken. Mein Entschluß, Agnesina zu heiraten, wurde auf einer Landpartie, wo ich ihre seltene Menschenliebe neuerdings kennen lernte, erst recht erweckt. Einige verwandte Herren und Frauen, Millingen, die Mutter, Agnesina und ich ritten auf Eseln durch den schönen Wald nach Nemi und speisten dort in einem Garten, wo wir eine herrliche Aussicht auf den See hatten. Der fröhliche Zug ging dann über Genzano und Ariccia nach Albano zurück. Als wir bereits in der Dämmerung durch die prachtvolle Baumallee gegen Albano ritten, vermißte ich Agnesina und ritt zurück, um sie zu suchen. Da fand ich sie, wie sie ein armes krankes Weib, das hinter dem Feldzaune Niemand von der heiteren Gesellschaft beachtet hatte, auf ihren Esel hob und fortführte. Ich konnte mich nicht enthalten, ihr zu sagen, daß sie handle wie der barmherzige Samaritaner im Evangelium; ich bewunderte nicht blos ihre Seelengüte, sondern ebenso ihre Leibeskraft, denn sie hatte das Weib auf den Esel gesetzt, als hielte sie ein Kind auf den Armen. Bei ihrer Sittsamkeit war sie stets heiteren Gemüthes und witzig, bei aller Ruhe und Sanftmuth zeigte sie, wenn es Noth that, einen wunderbaren Muth und volle Geistesgegenwart. So hatten z.B. bei Tische, als eben Gäste im Hause waren, die zwei Haushunde, ein Wolf- und ein Jagdhund, einen kleinen fremden Hund fürchterlich gepackt und zerrauft. Die Gäste standen bereits auf, aber Agnesina packte mit ihren Händen die zwei großen Hunde, hob sie in die Höhe, bis das kleine Thierchen davongelaufen war; sie setzte sich dann wieder nieder, als wenn nichts geschehen wäre. Ich hätte sie vor der ganzen Gesellschaft umarmen mögen; später ist es auch geschehen und immer fester wurde das Band der Liebe[158] zwischen uns geknüpft. »Das ist kein Modekind, kein affectirtes, verzärteltes Wesen, sagte ich mir; die oder keine soll mein Weib werden.«

Freund Kriesmayer war schon in Rom von den Aerzten aufgegeben; nun trat eine solche Verschlimmerung seiner Krankheit ein, daß mir der Doctor gestand, er könne kaum mehr acht Tage leben. Ich schrieb daher an Flatz und den deutschen Pfarrer P. Reichert; der letztere kam sogleich und blieb bei dem Kranken bis zu seinem Ende. Als dieser sich eines Tages besser fühlte, bat er mich, mit dem Pfarrer eine Landpartie zu machen. Millingen, P. Reichert, Agnesina und ich ritten Nachmittag dem See von Albano entlang nach dem malerisch gelegenen Kloster Palazzola. Während wir uns dort mit gutem Wein und schönen Früchten erfrischten, überfiel mich eine solche Sehnsucht nach Kriesmayer, daß ich mich von der Gesellschaft trennte und im schnellsten Trab nach Albano zurückritt. Schon vom Fenster herab rief mir die Magd zu: ich möge eilen, Herr Kriesmayer verlange nach mir und werde bald sterben. Ich trat erschrocken zu seinem Bette und bemerkte leider schon die Züge eines Sterbenden. Er hatte nur so viel Kraft mir zu sagen: »Karl, wo bleibst Du so lange?« Das waren seine letzten Worte. Er starb bald darauf in meinen Armen. Zum Leichenbegängnisse kamen auch Flatz und einige andere österreichische Künstler und Freunde des Todten.

Nach einer Zeit, Mitte Juli, nahm ich Abschied von der Familie Millingen und meiner geliebten Agnesina und reiste über Rom nach Toscana, um neue Studien zu machen. Im Postwagen saßen außer mir noch drei Jesuiten, welche die Fenster fest verschlossen hielten. Da mir zu heiß wurde,[159] öffnete ich das Fenster, schlüpfte hinaus und kletterte auf den Vordersitz des Wagens. »Per amore di Dio, dove volete andare, Signore?« »Vado a spasso, ich gehe spazieren«, erwiderte ich. Draußen saß ein schlafender Jesuitenbruder, der fürchterlich erschrak und »Ajuto, Ajuto! Hilfe, Hilfe!« schrie, bis ich ihn beruhigte. In der frischen Luft wurde mir wieder wohl und ich genoß, während der Wagen weiter rollte, im Mondscheine den herrlichsten Anblick über die Campagna. Links und rechts flimmerten die Leuchtkäfer wie Elfen umher; rechts hob sich der Monte Soracte in schönen Formen von dem Horizonte ab, links warf das Grabmal des Nero einen langen Schatten über Straße und Feld, wie sein Name in der Geschichte Schatten legt. Ich dachte wieder an die geliebte Agnesina in Albano zurück und sang, da ich nicht dichten konnte, ein neapolitanisches Liebesliedchen, welches sie oft gesungen hatte. Mein Nachbar hustete und meinte: es wäre Zeit zum Schlafen und nicht zum Singen; aber ich erwiderte ihm, es wäre besser, das classische Feld, von dem die Geschichte so viel zu erzählen wisse, zu bewundern, und bot ihm eine Cigarre. Wir plauderten, mein Nachbar hatte jedoch, wie so viele Andere, kein Verständniß für diese wüste Ebene, welche mit ihren schönen Anhöhen und Vertiefungen, mit den schönen Linien und dem vollen Reichthum der Farben den Maler entzückt. Einst war die Campagna ein blühendes Land mit Städten und Dörfern bedeckt; noch Domitian und Hadrian hatten hier ihre prachtvollen Villen, heutzutage ist es eine öde und ungesunde Wüste.

In Siena machte ich Halt, besuchte Paläste und Kirchen und zumeist die akademische Galerie der alten Sienenser Schule. Besonders gefielen mir die Bilder des Ansano di[160] Pietro, des Fra Angelico von Siena; er stellte meist einzelne Heilige oder Madonnen mit dem Kinde dar, die aber volle Anmuth und Frömmigkeit ausdrücken. Ich zeichnete mir mehrere Figuren und fand besonders in den Gewändern viel Schönheitssinn. Der gothische Dom mit der Façade von Giovanni Pisano, mit dem vielfarbigen musivischen Boden und den reichen Glasmalereien ist bekannt. In der Sacristei sind Fresken von Pinturicchio, welche Scenen aus dem Leben Papst Pius II. darstellen; bei einem Bilde hat auch Raphael in seiner frühen Jugend mitgearbeitet. In der Bibliothek sah ich die Chorbücher mit den Miniaturen von Ansano die Pietro u.a. In S. Domenico ist das alte kolossale Madonnenbild von Guido da Siena, das schon sechsundzwanzig Jahre vor der Geburt des Cimabue gemalt wurde. Es ist streng byzantinisch, großartig erhaben gemalt. Auch ein altes Crucifix ist dort, vielleicht aus derselben Zeit und trotz der mangelhaften Formen wahrhaft ergreifend. In S. Agostina sind Wandgemälde von Sodoma und ein Bild von Perugino, in S. Maria degli Angeli vor der Porta Romana, ein Bild von Raphael del Florenda und Bilder von Ansano. In allen Kirchen, und es sind nicht weniger als fünfzig, sind Bilder aus der Sienenser Schule von Sodoma, Pacchiorotto, Spinello Aretino, Mattei di Siena und T. Bartoli. Die Stadt liegt auf Hügeln und der Marktplatz ist wie eine Muschel vertieft; ich sah dort einem Wettrennen zu.

In einem entlegenen Stadttheile interessirte mich die Façade eines kleinen Kirchleins, welches einer armen Familie zur Wohnung diente. Als ich eintrat, bemerkte ich bei einer abgefallenen Kalkschichte ein Stück von einem Heiligenscheine; für ein Geldstück an die arme Frau löste[161] ich noch mehrere Kalkblättchen los und deckte den Kopf einer zarten heiligen Jungfrau auf. Der Gouverneur der Stadt, dem ich von den alten verschollenen Fresken erzählte, begleitete mich Tags darauf zu dem alten Kirchlein, wo ich einen zweiten Kopf bloßlegte; und es zeigte sich, daß die ganze Capelle mit Fresken bemalt war, welche durch die zwei oder drei Kalkschichten verdeckt wurden. Der Gouverneur versprach, sie durch den Custos der Galerie Bini ganz aufdecken zu lassen, was, wie ich später hörte, geschehen ist; die Capelle wird heute noch von Fremden und Künstlern besucht.

Nach einem Aufenthalte von zwölf Tagen, in welchen ich meine ersten italienischen Liebesbriefe an Agnesina schrieb, reiste ich nach Florenz. Mehrere deutsche Künstler, die ich von Rom aus kannte, traf ich noch zu Mittag im Gasthause »Or San Michele«: Herrn Setegast aus Coblenz, einen sechs Schuh zwei Zoll langen Mann von ruhigem, edlem Gemüthe, einen sehr religiösen Maler und Anhänger Overbecks; Karl Müller, sein zweites Ich, ein kleines schmächtiges, geistreiches, etwas fanatisches Männchen; ferner Itenbach aus Düsseldorf und zwei Malteser, alle strenge Katholiken und Schüler Overbecks; dann den Bildhauer Rammelmayer mit seiner Frau aus Wien. Sie begrüßten mich mit aufrichtiger Freude und ich nahm sogleich ein Zimmer in dem Hause, wo der kleine Müller und einer der Malteser wohnten. Vormittag ging jeder seinen Studien nach, zeichnete in einer Kirche oder in einer Galerie, und Mittag ein Uhr trafen wir beim Restaurant Or San Michele zusammen, wo wir gut und billig speisten. Bei Tische wurde immer ein eifriges Kunstgespräch unterhalten und zwar nur über die alten Meister vor Raphael und Michel Angelo, denn die spätere Kunst[162] war verpönt und nur aus Gnade wurde ein Maler nach Raphael genannt. Natürlich gab es Meinungsverschiedenheiten und wir zwei Oesterreicher sprachen oft gegen die strengen Ansichten der Anderen. Da Rammelmayer und ein Anderer oft ganz drollige Sprachfehler im Italienischen machten, so gab es viel zu lachen. So sagte der eine, wenn der Kellner die Speisen nannte, statt »non lo voglio«, ich will das nicht, hartnäckig: »non cè«, es ist nicht da, worauf der Kellner immer erwiderte: »cè, signor«, es ist da. Meine Kameraden legten sich nach dem Essen nieder bis fünf Uhr, während ich meinen Kaffee nahm und in den Kirchen voll Eifer zeichnete; wenn sie dann um sechs Uhr blaß und müde daherkamen, hatte ich gewöhnlich schon mehrere Blätter gezeichnet. Sie tranken Wasser und ich Wein, was mich bei der Hitze frisch und munter erhielt. Gerne hätte ich meinen geliebten Tizian, und zwar die »Venus« copirt, aber ich hatte meinen Malerkasten nicht mitgenommen; auch war es nicht möglich, denn man muß sich in den Galerien, weil so viele arbeiten, oft auf Jahre vormerken lassen. Dafür studirte ich ernst und tief die alte Florentiner Schule und zeichnete vieles nach Giotto und seinen Schülern. Andrea Orcagna, der tüchtigste derselben, war Architekt, Bildhauer und Maler zugleich. Die Loggia de Lanzi, der Tabernakel des Hauptaltars in Or San Michele mit den reichen schönen Sculpturen geben Zeugniß von seiner Kunst als Baumeister und Bildhauer. Die Wandbilder in Pisa und das jüngste Gericht in S. Maria Novella nebst anderen Fresken und Temperamalereien beweisen seine Größe als denkender christlicher Maler. Im Kloster San Marco zeichnete ich viel nach Fra Giovanni Angelico da Fiesole, von dem auch in der[163] Akademie viele Temperabilder aus dem »Leben Jesu« sind. Seine Gemälde sind Gebete, Zeugen seiner erhabenen Frömmigkeit. Aber am meisten entzückte mich Masaccio mit seinen Fresken in S. Maria del Carmine. Ihn hat Raphael studirt, denn Masaccio war der Erste, welcher die Natur realistisch benützte, um den frommen Gestalten mehr Leben zu geben. Sein poetischer Ideenflug, die natürliche Darstellung zeigen eine Art Liebenswürdigkeit, welche vielleicht der Majestät Giotto's nicht ganz willkommen gewesen wäre. Nach ihm kommen Filippo Lippi, Benozzo Gozzoli und Ghirlandajo, der schon mehr Schwung und Kraft als die Anderen hat. Nebst dem, daß ich vieles dieser alten Meister zeichnete, besah ich mir alte Sculpturen und Malereien dieser Zeit, daß ich sie zu meiner großen Freude verstehen und schätzen lernen konnte.

Nach ungefähr sechs Wochen reisten Karl Müller, Setegast, die zwei Malteser und ich nach Prato, Pistoja und Pisa. Im Dom zu Prato zeichneten wir einiges nach den Fresken von Angiolo Gaddi und Filippo Lippi, im Dome zu Pistoja einiges nach den »Werken der Barmherzigkeit« von Lucca della Robbia. Pisa ist mit seinen Bauten und Kunstschätzen zu bekannt, als daß ich davon schreiben sollte. Da ich in Florenz Dante's divina Comedia gelesen, wollte ich in Pisa den Thurm aufsuchen, wo die Pisaner den Guelfen Ugolino mit seinen Söhnen verhungern ließen, aber Niemand konnte mir darüber eine Auskunft geben. Ich zeichnete vieles aus den Wandbildern des Benozzo Gozzoli in Campo Santo. Seinen Werken fehlt das Majestätische des alten Kirchenstils, aber er ist dafür Historienmaler, wie Carpaccio in Venedig. Er ist Realist und mit Vergnügen[164] verweilt man bei den Gebilden seiner lebenslustigen Welt. So und nicht anders als wie in diesen figurenreichen Scenen muß das toscanische Publicum jener Zeit ausgesehen haben. Die Köpfe scheinen alle Porträts zu sein; nur die Hauptpersonen wie Noah, Abraham und Moses sind idealisirt. Im höchsten Grade ergreifend und erschütternd sind die Darstellungen des Andrea Orcagna, das jüngste Gericht und der Triumph des Todes. Eine für mich unvergeßliche Figur in ersterem ist ein Engel, der vor dem verdammenden Worte Gottes erschrickt und niederkauert. Christus ist voll Majestät und strenger Würde, die Apostel und Seligen voll Erhabenheit, ja bei dem seelischen Ausdruck der Gestalten vergißt man die primitive künstlerische Ausführung. Die Hölle ist nach Dante gemalt, furchtbar, aber bizarr und abgeschmackt. Die Teufel sind lächerliche Affengestalten. Im »Triumph des Todes« sind besonders charakteristisch die Gruppe verstümmelter Bettler und die Gruppe der Mediceer bei dem Eremiten, der ihnen die verweste Leiche zeigt. Wir besuchten in der Umgebung von Pisa das große Kloster die Certosa di Calci, die Ueberreste des römischen Hafens, die römischen Thermen und das römische Landgut S. Rossori. Ein Gestüt von Kameelen daselbst liefert alle die Kameele, welche die Treiber mit Affen u.a. in ganz Europa herumführen. Ich zeichnete mir einige dieser biblischen Thiere und merkte im Freien auf ihren Gang und ihre Bewegungen. Eines Sonntags machten wir auch einen Ausflug nach Livorno um den Hafen zu sehen und ein Seebad zu nehmen.

Nachdem ich meine Studien vollendet, schiffte ich mich in Livorno nach Civitavecchia ein und fuhr von dort mit der Diligence nach Rom. Hier wehte ein schwüler Scirocco,[165] ich hatte keine Luft zu einer neuen Arbeit und fuhr von Liebe und Sehnsucht getrieben nach Albano. Bei der sogenannten Fratocchia, wo die Straße zu steigen beginnt, stieg ich aus, ging die Anhöhe rasch hinauf und erblickte in der Ferne Agnesina mit ihrer Mutter und Tante, welche mir entgegenkamen. Welch' ein Wiedersehen! Es war wieder ein Augenblick der Freude in meinem Leben. Ich und Agnesina gingen voraus, plauderten nach Herzenslust, während die zwei alten Damen nachfolgten.

Drei Wochen vergingen mir in Albano wie drei Tage. Ich zeichnete einige Compositionen, malte Landschaftsstudien und die Porträts der Familie, so daß ich nicht ganz unthätig blieb. Aber in den ersten kälteren Octobertagen, wo sich die Lerchen in großen Schwärmen auf die Campagna lagern, gingen Millingen und ich mehrmals Lerchen schießen. Dabei wurde eine kleine Eule (Civetta) auf eine Stange gesetzt, um das Piedestal von Kork waren kleine Spiegel angebracht, und wenn die Lerchen, dadurch angelockt, sie umflatterten, konnten wir mit Vogeldunst in den Schwarm schießen, daß bis Mittag öfters 150 bis 160 Lerchen zur Erde fielen. Das Vergnügen bestand je doch dabei nicht allein im Schießen, denn Nachmittags kamen Agnesina, die Mutter und oft fünf bis acht Personen in die Campagna. Dann wurden Wein und Früchte ausgepackt, zwischen zusammengelegten Steinen Feuer angemacht, und während Agnesina gute Kräuter zum Salat suchte, die Lerchen an den Spieß gesteckt und gebraten. Mit Maccaroni wurde das Mahl begonnen, mit Lerchen beendet. Dabei lagerten wir im Freien und ließen es uns bei heiterem Geplauder, Scherz und Gesang wohl behagen. Gegen vier Uhr bestiegen wir[166] die Esel und ritten nach Hause. Diese Partien wurden in späteren Jahren, als ich, bereits mit Agnesina verheiratet, den Sommer und October in Albano zubrachte, öfters wiederholt und gehören zu den angenehmsten und freudigsten Erinnerungen meines Lebens. Damals mußte ich bald wieder scheiden. Agnesina vergoß Thränen und ich konnte die meinen kaum zurückhalten. Noch einmal sagte ich ihr, daß ich ihr erst meine Hand antragen werde, wenn ich eine Aussicht auf eine sichere Existenz gewinnen könne; aber ich hoffe darauf, weil ich nun nach meinen Studien in Toscana bald ein Bild malen und ausstellen würde.

In Rom las ich in der Uebersetzung die Geschichte der heiligen Katharina von Montalembert. Nach der Legende sollen, nachdem die h. Katharina den Märtyrertod erlitten hatte, Engel gekommen sein und den Körper der schönen Jungfrau über das Meer auf den Berg Sinai getragen haben, und diese Legende gab mir den Stoff zu einem Bilde. Ich entwarf eine Zeichnung und zeigte sie den deutschen Künstlern im Club, welche ihr Lob darüber aussprachen und Overbeck munterte mich besonders auf, das Bild zu malen. Während ich in den Wintermonaten daran malte, war ich wieder von meinen Freunden umgeben und Flatz und ein anderer Maler, ein Convertit, der ein Jahr darauf Kapuziner wurde, redeten mir zu, die heiligen Exercitien bei den Jesuiten durchzumachen. Es kostete mir viele Ueberwindung, aber mein Gemüth war lenkbar und ich ging darauf ein. Wir fuhren im Fiaker in das abgelegene Filialkloster bei dem Lateran, wo man jeden von uns dreien in eine besondere Zelle sperrte. Darin war nichts als ein Bett, Tisch und zwei Sessel; auf dem Tische stand ein Schreibzeug und[167] daneben lag die geschriebene Tagesordnung. Ich erinnere mich nicht mehr genau an diese Tagesordnung, nur das weiß ich, daß ich von fünf Uhr Früh bis 10 Uhr Abends nicht zu mir selbst kam; Gebet, Predigt, Meditation, Beichte, Essen, ein Spaziergang im Garten und wieder Gebet, Litanei, Vesper u.s.w. wechselten so lange, bis ich todtmüde wurde, die Nacht ausruhte, um am nächsten Tage von Anfang an das Gleiche zu thun. Ich durfte mit Niemand als mit dem Beichtvater sprechen; nicht beim Essen im Refectorium, wo ein junger Jesuit Heiligenlegenden vorlas, nicht einmal im Garten, wo uns eine halbe Stunde Erholung gegönnt war; nur der Gruß »gelobt sei Jesus Christus« durfte bei der Begegnung ausgesprochen werden. Eines Tages fand ich in meiner Zelle auch eine Geißel, um mich selber zu geißeln. Am zweiten Tage mußte ich eine Generalbeichte ablegen, in der mich der Pater zwei Stunden lang über mein Leben ausforschte. Ich war ganz aufrichtig und sagte ihm, daß ich verliebt sei und heiraten wolle; er absolvirte mich, fügte aber hinzu, daß er mir wegen der Heirat übermorgen einen christlichen Rath ertheilen wolle. Sein übertrieben frommes Wesen machte mich etwas stutzig, aber ich war gläubig und wollte abwarten, was da kommen würde. Am Freitag, wo wir strenge fasteten und ich vom vielen Beten an den Knieen schon wund war, kam der Pater wieder zu mir und sagte salbungsvoll: der heilige Geist habe ihm nach seinem Gebete geoffenbart, daß ich nicht heiraten dürfe, am wenigsten dieses Mädchen. Mir blieb anfangs gar keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sogleich läutete die Glocke zu einer neuen frommen Uebung und zur Predigt. Der Pater predigte über die Hölle und[168] schilderte die Qualen und Martern so fürchterlich, daß die frommen Zuhörer, etwa vierzig bis fünfzig an der Zahl, erschüttert waren und mehrere niederknieten und weinten. Aber in mir brachte die Predigt die entgegengesetzte Wirkung hervor; ich kam wieder zum Bewußtsein und die Vernunft behauptete ihr Recht. Nach der Predigt war eine halbe Stunde Meditation für jeden in seiner Zelle und ich meditirte, daß der heilige Geist, der dem Pater von meiner Heirat erzählte, Niemand anderer als Freund Flatz gewesen sein könne, der mein Verhältniß und die Familie Millingen kannte und wahrscheinlich fürchtete, daß ich von meinem frommen Leben abwendig gemacht werden könne. Vielleicht wollten mich die Jesuiten gewinnen, wie meinen Landsmann Franz Stecher aus Nauders. Er ging bei einem solchen Exercitium in die Falle, wurde Jesuit, d.h. Laienbruder, und mußte dann lauter Bilder aus heiligem Gehorsam malen, deren die Jesuiten immer für ihre vielen Kirchen brauchen. Stecher mußte sogar nach Amerika und dort für ihre Kirchen malen, bis er des Lebens überdrüßig nach Tirol zurück kam und bald starb. In Wien hatte er an der Akademie durch ein Bild den Kaiserpreis erhalten, und er war auch ein talentvoller Maler, aber bei den Jesuiten ging er als Künstler ganz zu Grunde. Nach der Höllenpredigt schonte ich meine Knie; mein Eifer in den frommen Uebungen ließ nach, ich wollte entfliehen, hielt aber doch bis zum Ende aus. Wie froh war ich, als ich wieder in meine Thurmwohnung zurückkehren konnte. Von dieser Zeit behielt ich einen völligen Abscheu vor aller übertriebenen Frömmelei, obwohl ich von meinen geistigen Fesseln noch lange nicht befreit war.[169]

Weil ich mich nun selbstständig stellen wollte, verließ ich meine bisherige Wohnung im venetianischen Palaste und miethete bei dem Bildhauer Hofmann und seiner Frau, die ein größeres Quartier hatten, zwei Zimmer für Wohnung und Atelier. Hier malte ich das Bild »Die heilige Katharina von Engeln getragen«. Ich stellte es aus und verkaufte es schon am zweiten Tage nach der Eröffnung der Kunstausstellung an einen Amerikaner; später wurde es von Neuem für Philadelphia bestellt, und dieses Bild begründete meinen Künstlernamen in Rom; ich erhielt bald Besuche von Fremden und Bestellung über Bestellung. Als der junge Herr Ratisbon, ein reicher Jude aus Straßburg, dessen Bekehrungsgeschichte damals ein großes Aufsehen machte, in Paris eine Kirche baute, wurden dafür fünf Altarbilder bestellt. Das Hochaltarbild war die Erscheinung der heiligen Jungfrau, die anderen vier einzelne Heilige: der h. Andreas, der h. Bonaventura, der h. Stanislaus und der h. Ignatius als Gründer des Jesuitenordens, alle in überlebensgroßer Figur. Ein Jesuit sollte die Fortschritte dieser Arbeit überwachen und kam deshalb öfter zu mir; ja er fing an, meine Arbeit zu kritisiren, indem er auf die Fresken in den Jesuitenkirchen hinwies. Ich sagte ihm, daß ich mich nach dem barocken Kunstgeschmacke der Jesuiten nicht richten könne, sondern die besten christlichen Bilder als Vorbilder gebrauchen müsse: »Was«, rief er, »die Jesuiten haben keinen guten Geschmack in der Kunst; unter ihnen war selbst Pozzo, der berühmte Freskenmaler, der die Kirche San Ignatio ausgemalt hat; nehmen Sie zurück, was sie gesagt haben.« »Nein, von Zurücknehmen ist keine Rede«, erwiderte ich, und setzte hinzu, daß die Kirche San Ignatio[170] wie eine Fleischbank aussehe, wo die nackten Schenkel der wohlgenährten Engel in Unzahl von der Decke herunterhängen. Als er darüber in Zorn und Wuth kam, suchte ich ihn zu beruhigen und meinte: der Jesuitenorden sei ja in der Zeit des Verfalls der christlichen Kunst in die Höhe gekommen und die Herren Patres hielten daher diese Kunst für groß, obwohl sie eher zur Sinnlichkeit als Auferbauung reize; ich hätte allen Respect vor der Frömmigkeit der heiligen Männer des Ordens, aber ich bedauere, daß sie sich nicht so weit bilden, um den Werth eines Kirchenbildes zu verstehen. »Das heißt so viel als: ihr versteht nichts«, antwortete er, nahm seinen Hut und rief noch voll Zorn unter der Thüre: »Das werden Sie bereuen, was Sie über das Collegium der Jesuiten gesagt haben.«

Ich hatte diese Bilder noch nicht fertig, als ich neue Bestellungen erhielt. Lord Shrewsbury hatte eine Kirche in England erbaut und brauchte für die Gruft und Kirche Gemälde. Er bestellte bei mir eilf Engel in Medaillons auf Goldgrund, welche ein gemaltes Glasfenster umgeben sollten, ferner zwei kolossale Engel, welche das heilige Grab bewachen, ganze Figuren, und zwar auf Kupferplatten, welche der Lord aus England kommen ließ. Auch bekam ich einige Porträts zu malen, welche einträglicher waren als die Heiligenbilder. Bereits hatte ich mir einige hundert Scudi auf die Seite gelegt und dachte mir: jetzt kannst du es wagen, Agnesina das Jawort zu sagen. Die heiße Jahreszeit war da, ich verlangte nach Landluft und fuhr nach Albano. Gleich nach der Begrüßung Agnesina's nahm ich sie bei der Hand und führte sie zu Millingen und der Mutter und wir[171] verlobten uns vor ihnen. Agnesina konnte keine Worte finden, lehnte sich an meine Schulter und weinte vor Freude und ich fühlte, daß es die feierlichste, wichtigste Stunde meines Lebens war. Wir waren beide an Sparsamkeit gewöhnt und konnten es wagen. Ich war kräftig, lustig und unermüdlich bei der Arbeit, ich kannte die Grenzen meiner Kraft nicht, zweifelte auch nicht an der Zukunft und genoß die fröhliche Gegenwart. Fünf schöne Tage verlebte ich wieder in Albano und besprach mit Agnesina die Zukunft, unsere Liebe und unser Glück. Den Tag der Trauung setzte ich auf den 24. October, den Tag des heiligen Erzengels Raphael fest, wohl auch aus Liebe und Verehrung für den großen Maler Raphael.

Da ich mit mehreren Malern verabredet hatte, einen Ausflug nach Subiaco zu machen, reiste ich wieder ab, so schwer mir auch die Trennung war. Wir waren sechs Maler und ritten alle auf Eseln. Ein Maulthier trug unser Gepäck und den Führer. Zuerst ritten wir über Monticelli nach Tivoli, wo wir zwei Tage blieben, dann über Berg und Thal bei großer Hitze nach Subiaco. Als wir einen steilen Weg über einen Bergrücken einschlugen, wurde der Maler Chopin, ein junger, liebenswürdiger Franzose, vor Durst und Anstrengung ohnmächtig. Ich holte, da die anderen weit voraus waren, aus dem tiefen Thal frisches Wasser und labte ihn, daß er sich wieder erholte. Er war aber so schwach, daß ich neben ihm gehen und ihn stützen mußte. Erst nach drei Stunden bei finsterer Nacht kamen wir in Subiaco an. Die Stadt liegt in einem der schönsten Thäler der Sabiner Berge. Gregorovius hat es in dem[172] Buche »Wanderjahre in Italien« (II. B.) so glänzend beschrieben, daß ich darauf verweise. Wir wohnten beim Maler Flageron, der die schöne Wirthstochter geheiratet hatte, und zwar sehr gut und sehr billig. Leider war fast jeden Nachmittag ein Gewitter und wir konnten nur die Vormittage für Ausflüge und malerische Studien benützen. Dieses Subiaco ist ein Sammelplatz von Malern, denn sie finden hier Stoff für jeden Zweig der Kunst. Der streng religiöse Maler kann die Kirchenbilder in S. Scholastica und S. Benedetto, der Wiege des Benedictinerordens, studiren, der Landschaftsmaler findet die reiche schöne Natur und der Genremaler malerisch schöne Menschen, fügsam und geschmeidig für Modelle. Ich hatte nur ein Skizzenbuch bei mir und zeichnete manches aus den Kirchen und Landschaften und des Nachmittags Modelle. Nach acht Tagen ritten wir von Subiaco hinauf nach dem alten malerischen Felsenneste Cervaro, und von hier durch herrliche Kastanien- und Olivenwälder nach dem wieder hoch gelegenen Civitella, wo wir bei dem Pfarrer Unterkunft fanden. Seine Wirthschafterin setzte uns ein Hammelfleisch und eine Frittata vor, was uns in der Gesellschaft des gesprächigen und wißbegierigen Geistlichen köstlich schmeckte. Da er aber nur ein großes Bett höchstens für drei hatte, wurde das Lager verlost. Ich und der Franzose zogen das kürzere Los, legten uns auf Stroh und schliefen vortrefflich. Früh Morgens stand ich auf und betrachtete bei Sonnenaufgang von dem Abhang des Bergstädtehens die herrliche Aussicht. Auch hier fallen mir wieder die »latinischen Sommer« von Gregorovius ein, der Geschichtsschreiber, Maler und Dichter zugleich ist, und[173] dieses Land mit seiner Geschichte, mit den Sitten und Trachten der Bewohner meisterhaft beschreibt. Wir wanderten dann weiter durch idyllische Thäler und über grüne Höhen; wo man sich hinsetzt, kann man ein Bild malen; die größten Landschaftsmaler haben in dieser unvergleichlichen Natur ihre Studien gemacht, und Olevano war so voll von Malern aus allen Ländern Europas, daß wir gar kein Unterkommen fanden und noch bis Genazzano reiten mußten. Gerne wäre ich länger in diesen Gegenden verweilt. Die Gebäude tragen das Gepräge des einstigen Wohlstandes und sind jetzt im malerischen Verfalle, das Volk hat die herrlichsten Anlagen und ist so ungezwungen und elastisch in seinen Bewegungen, daß man nur zeichnen und malen möchte. Da sitzt im Schatten unter einem mittelalterlichen Thore eine Gruppe Weiber und halbnackter Kinder, dort schaut ein junges Frauengesicht mit schmachtenden großen Augen aus einem mit alten Säulen verzierten Bogenfenster, alles hat Farbe, Gebäude, Menschen und Thiere vereinigen sich harmonisch zu Bildern. Zieht man wieder in's Freie auf sonnige Höhen oder in die dunklen Falten der Gebirge, sieht man Klöster und Städte wie spielend in die Luft gehoben, und die schön gezeichneten, von dem reinsten Blau des Himmels begrenzten Linien der Berge. Kurz, alles ladet zum Zeichnen und Malen ein. »Ach, hieher muß ich wieder kommen!« rief es in mir, aber meine einmal erfaßte Richtung für die kirchliche Kunst und die Geschichte, wohl auch die späteren Schicksale ließen es nicht zu, mich dem Genrefach zu widmen, zu dem ich als geborner Naturfreund so viel Neigung hatte. Nur selten malte ich damals ein kleines Genrebild oder eine halbe Costumfigur.[174]

Wir wanderten dann weiter, bald zu Fuß, bald zu Esel, nach Palestrina, Valmontone, Velletri und näherten uns über Genazzano und Ariccia dem von mir ersehnten Albano. Meine Reisegefährten fuhren von hier nach Rom und ich ging zwischen Gärten und Mauern die einsame Gasse hinauf bis zur kleinen hinteren Gartenthür des Hauses, wo meine Verlobte wohnte. Durch das Schlüsselloch erblickte ich Agnesina, wie sie in Gedanken vertieft den Laubgang gegen die Gartenthür zuging. Leise rief ich durch das Schlüsselloch »Agnesina«. Im Nu war die Gartenthür geöffnet und wir umarmten uns im himmlischen Entzücken. Es brauchte große moralische Kraft um mich nach einigen Tagen seligen Aufenthaltes wieder zu trennen, aber meine Arbeiten riefen mich wieder nach Rom.

Im Hause Giraud, welches Millingen ganz gemiethet hatte, wohnte damals Don Miguel von Braganza, der gerne und oft in Albano verweilte, theils wegen der Herbstjagden theils weil Millingen sein Arzt war. Als Exkönig von Portugal wurde er immer Majestät titulirt, auch in Rom, wo er bei Papst Gregor XVI. eine Zuflucht gefunden und im Palaste Mencacci sehr zurückgezogen lebte. Anfangs waren nur etwa siebenzig Personen mit ihm aus Portugal gekommen, später wuchs das Gefolge auf dreihundert, die alle von ihm leben wollten. Er gab was er hatte, aber das reichte nicht aus und sie verließen ihn. Ich hatte eine gewisse Ehrfurcht vor dieser gefallenen Größe, und da ich einigemal mit Millingen an den Jagden theilnahm, lernte ich ihn näher kennen, umsomehr, als der sonst schüchterne Mann im Verkehr mit Jägern gesprächig und heiter wurde.[175] Er war ein verwegener Reiter und ein vorzüglicher Schütze. Ich sah ihn selbst, auf dem Esel reitend, im Trab eine Wachtel schießen. Sein treuer Kammerdiener war zugleich sein Leibjäger und diesem geschah es, daß er einst vor der Porta pia in Rom angefallen und beraubt wurde. Er kehrte von einer Jagd heim, als ein wohlgekleideter Mann, der sich für einen geheimen Polizisten ausgab, von ihm den Jagdpaß verlangte. Der Jäger lehnte das Gewehr an den Zaun und suchte den Paß hervor. Während dem nahm der Mann das Gewehr, schoß ihn nieder, beraubte ihn und warf ihn in den Graben. Francesco Maria konnte sich noch auf die Straße schleppen, wo man ihm Hilfe brachte; er starb aber acht Tage nachher. Auch Don Miguel wurde früher einmal auf dem Wege von Porto d' Anzio nach Albano, als er mit drei Jägern spät Abends in seinen Wagen heimkehrte, von sechs Räubern angefallen. Die Geschichte hat er selbst, als er mir zu seinem Porträte saß, erzählt und zwar mit den Worten: »Ich kutschirte selber, saß aber in finsterer regnerischer Nacht schon schläfrig auf dem Vordersitze und meine drei Gefährten schliefen schon fest im Wagen, als auf einmal zwei bewaffnete Männer die Pferde anhielten und von der Straße rechts und links der Ruf erscholl: »Halt, nicht bewegen, sonst seid ihr todt.« Ich griff nach meinem Gewehr, welches jedoch Francesco bei sich im Wagen hatte, und sah im Lichte der Laterne sechs Räuber, welche ihre Gewehre auf uns anlegten und riefen: »Absteigen, faccia a terra und nicht bewegen.« Einer hielt mir die Pistole vor's Gesicht. Es war nichts Anderes zu thun als gutwillig zu folgen. Ich und meine schläfrigen[176] Begleiter mußten uns niederkauern und ausrauben lassen. Als ich bei der Untersuchung den einen Mann anblickte, versetzte er mir einen Dolchstich, der mir aber glücklicherweise nur die Haut im Genick verletzte. Uebrigens waren Alle vermummt und man konnte keinen erkennen. Bei mir fanden sie nur zwei Rollen zu 50 Scudi, sie nahmen aber auch die Uhren, die Gewehre und sogar die Mäntel. Francesco hatte beim Niederkauern sein Geld und die Uhr in den Straßenstaub fallen lassen und so gerettet. Die Räuber waren aus Velletri, vier davon wurden später in Rom gehenkt und die zwei Anderen zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe in Civitavecchia verurtheilt.« Don Miguel hatte bei sich seine alte Erzieherin, Donna Francesca, welche Agnesina sehr wohlwollte, so daß sie täglich beisammen waren. Die alte gutmüthige Dame sprach nur portugiesisch, verstand aber gut italienisch und Agnesina lernte in den Gesprächen mit ihr etwas portugiesisch. Sie führte mich der Donna als ihren Bräutigam auf und das kleine alte Mütterchen, das im Lehnstuhle ruhte, schien sehr erfreut zu sein; sie nahm mich und Agnesina bei der Hand, gab uns den Segen und sagte zu mir portugiesisch: »O mios Carlos, Agnesina è una muito boa rapariga; o mein Carlos, Agnesina ist ein sehr gutes Mädchen!« Sie redete noch mehr portugiesisch zu mir, wahrscheinlich viel Schmeichelhaftes über Agnesina, aber ich verstand es nicht.

Von Rom aus schrieb ich meinem Vater von meiner bevorstehenden Vermählung und bat um seinen Segen. Er schrieb mir sogleich zurück und ich war befriedigt. Aber bald kamen andere Briefe, die mich peinlich berührten. B. G., der vielleicht durch Flatz von meiner Heirat gehört hatte,[177] schrieb mir aus Bozen einen vorwurfsvollen Brief, daß ich nun für die Kunst verloren sei, daß ich mich in's Unglück stürze und in Noth und Elend kommen werde u. A. Auch mein Vater schrieb von künftiger Noth, und daß ich ihn nun nicht mehr unterstützen würde. Mir war das herzzerreißend und ich schickte ihm sogleich dreihundert Gulden und versprach, ihn so lange er lebe, nicht zu verlassen. Das ist mir auch gelungen, denn mein Vater lebte durch 22 Jahre ganz von mir, bis ihn der Tod in seinem 92. Lebensjahre dahin raffte.

Nachdem ich bei Hofmann noch ein Zimmer zu meiner früheren Wohnung gemiethet und diese Räume einfach, aber geschmackvoll eingerichtet hatte, fuhr ich am 22. October zu meiner Vermählung nach Albano. Ich hatte, wie erwähnt, den Tag bestimmt, aber die Bestimmung der Stunde überließ ich meiner Braut. Da sie wie ihre Mutter gewohnt war früh aufzustehen, wollte sie auch sehr zeitlich vermählt werden. Um halb sechs Uhr früh am 24. October bei der ersten Messe in der Domkirche zu Albano wurden wir im Beisein unserer Zeugen, einiger Verwandten und Freunde vom Arciprete Hieronymus Salustri getraut. Mein Zeuge war Dr.. Millingen, Brautführer und Zeuge Agnesina's Don Miguel, der sich selbst dazu angetragen hatte, was gewiß sehr schmeichelhaft für sie war. Da der Morgen sehr regnerisch war, legte man dieses als ein Zeichen aus, daß unsere Ehe eine glückliche sein würde. Wir fuhren nach Hause, um 11 Uhr wurde eine Erfrischung gegeben und die Glückwünsche entgegengenommen. Nun konnte ich Agnesina mein Weib nennen; ich fühlte mich namenlos glücklich und Agnesina, der die Freudenthränen in den Augen glänzten,[178] gewiß das Gleiche. Um 2 Uhr Nachmittag stand der Wagen vor dem Hausthore. Der Abschied Agnesina's war sehr rührend, denn nie habe ich in meinem Leben ein so liebevolles Verhältniß zwischen Mutter und Tochter wieder kennen gelernt. Die sogenannte Brautreise war bei uns sehr kurz, denn nach zwei Stunden waren wir schon in Rom, wo ich sie in meine Wohnung einführte.[179]

Quelle:
Blaas, Karl: Selbstbiographie des Malers Karl Blaas 1815–1876. Wien 1876, S. 152-180.
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