Die Straßburger Galerie und die Sammlung Massarenti

[35] Am ausgiebigsten konnte ich mich für die Straßburger Sammlungen betätigen. Ein merkwürdiger Zufall gab die Veranlassung dazu. Im Frühjahr 1888 wurde mir ein Telegramm vom Statthalter Fürsten Hohenlohe aus Straßburg nach Florenz nachgeschickt, in dem er anfragte, ob ich eine große, ihm warm empfohlene Privatsammlung bei einem hohen Geistlichen in Rom kenne, die unter anderen herrlichen Schätzen allein neun Gemälde von Raphael enthalten solle; zwei Millionen francs seien gefordert und eine ähnliche Summe würde er aus den Mitteln der Kriegsentschädigung zur Verfügung stellen können. Ich antwortete, daß ich zwar am gleichen Tage noch zu einer Versteigerung nach London reisen müsse, daß ich die Sammlung aber genau kenne, da kein anderer Sterblicher als[35] Don Marcello Massarenti in Rom sich als Besitzer von neun Gemälden Raphaels glücklich schätze. Die Sammlung, die uns seit Jahren, wiederholt angeboten sei, enthalte nur ein paar gute, aber späte römische Sarkophage und einige wenige gute Bilder zweiten Ranges. Wenn der Fürst auch nur den fünften Teil der geforderten Summe zur Verfügung stellen wolle, würde ich imstande sein, in wenigen Jahren eine Sammlung alter Gemälde zusammenzubringen, die das Vielfache der Massarentischen wert sein würde.

Der Besitzer dieser merkwürdigen Sammlung, später Großalmosenier des Papstes, stand in Rom in sehr schlechtem Rufe. Man sagte ihm nach, daß er die Passionen hoher Geistlicher der Umgebung des Papstes ausnutze, um diese in seine Gewalt zu bekommen, und daß er dadurch sich ein Vermögen gemacht habe, aus dem er seine eigene Sammelleidenschaft befriedige. Eines seiner Opfer war der geistvolle und liebenswürdige Kardinal Hohenlohe, der sich nicht sehr lange vorher, nachdem Massarenti vergeblich direkt bei uns angefragt hatte, durch den Kronprinzen im Interesse der Sammlungen bei uns verwendet hatte.

Trotz dieser ganz persönlichen Gründe, aus denen ihm meine ablehnende Kritik der Sammlung gewiß sehr wenig angenehm war, ging der Fürst Hohenlohe doch sofort auf meinen Vorschlag ein und erbat sich das von mir in Aussicht gestellte Programm. Bestimmend bei dieser Entscheidung war Bürgermeister Back gewesen, der die Stadt, seitdem sie wieder deutsch geworden war, durch ein Menschenalter in sehr geschickter Weise geleitet hat. Ihm verdanke ich, daß ich die Bildersammlung in freiester Weise ganz nach meinem Ermessen ausbauen konnte, für deren Unterbringung später nach meinen Vorschlägen das prächtige Rohansche Rokoko-Palais hergerichtet wurde.

Über das Schicksal der Massarentischen Sammlung schalte ich hier gleich ein, daß der Verkauf dem Besitzer vierzehn Jahre später glücklich gelang, und zwar noch zu einem wesentlich höheren als dem damals geforderten Preise. Der bekannte[36] Besitzer der New Yorker »Sun« und des Telegraphenbüros, W. Clian M. Laffan, hatte mit seinem Freunde Walters aus Baltimore auf dessen Jacht eine Tour im Mittelmeer gemacht und beredete diesen, gelegentlich eines Abstechers nach Rom, zum Ankauf der Sammlung in der Höhe von fünf Millionen francs. Freilich sollen davon nicht ganz drei Millionen in die Hände des Großalmoseniers gelangt sein, wie mir dessen Sekretär mitteilte; wo blieben die übrigen beiden Millionen? Walters hätte außerdem noch eine Ausfuhrgebühr von 21 v.H. an den Staat zahlen müssen. Der damalige Referent für Kunstangelegenheiten in Rom, Adolfo Venturi, zog es aber »im Interesse des Staates« vor, die »drei Perlen« der Sammlung statt des baren Geldes zu nehmen. Es waren dies ein Porträt Berninis von Ph. de Champaigne, ein Hl. Georg von Giorgione und ein Selbstporträt von Raphael, wie Venturi die Bilder bezeichnete. Der italienische Staat hätte also zweifellos ein gutes Geschäft gemacht. Leider stellte sich aber, als die Bilder in der Galleria Nazionale aufgestellt wurden, heraus, daß das Original des Bernini-Porträts im Louvre hängt, daß das »Selbstporträt von Raphael« die Fälschung eines kürzlich verstorbenen Malers ist, dessen Name sogleich in den römischen Zeitungen genannt wurde, und daß der angebliche reichlich verputzte Giorgione von einem geringen, späten Nachfolger des Meisters herrührt. Statt 1050000 francs in bar hatte der italienische Staat also ein paar Bilder im Werte von vielleicht 2000 bis 3000 francs erhalten. Über diese Sammlung und ihre Erwerbung hatte ich in dem Eröffnungsheft von »Kunst und Künstler« kurz meine Meinung geäußert. Darauf erwiderte Mr. Laffan, die Sammlung Massarenti, welche Mr. Walters gekauft habe, sei eine ganz andere als die von mir kritisierte; wenn ich das Gegenteil nachweisen könne, wolle er 100000 Mark zum Besten einer öffentlichen Anstalt in Berlin geben. Ich habe dies sofort nachgewiesen, aber Mr. Laffan hat nie daran gedacht, seine Schuld Berlin gegenüber zu berichtigen. Das war zur Zeit der Kinderkrankheiten der amerikanischen Sammlungen. Seither ist es anders geworden![37]

Doch zurück zu der Straßburger Galerie, die ihre Existenz gerade dieser Sammlung Massarenti verdankt, freilich in anderer Form und anderem Inhalt, als der edle Don sich dachte. Auf meinen Vorschlag, der Stadtverwaltung bei der Zusammenbringung einer Sammlung alter Gemälde behilflich zu sein, ging der Fürst-Statthalter ein und bewilligte dafür zunächst 200000 Mark, die ich auf Grund des von mir aufgestellten Programms ganz nach meinem Ermessen verwenden solle. Ich hatte als leitenden Gesichtspunkt aufgestellt, daß »für die Hauptstadt einer großen Provinz darauf zu halten sei, daß die Bilder ihrer Mehrzahl nach gefällig und allgemein verständlich seien. Für Straßburg als Universitätsstadt würde die Berücksichtigung des archäologischen Interesses daneben ins Auge zu fassen sein, damit die Sammlung allmählich ein Bild der gesamten Entwicklung der Malerei bis auf die neue Zeit geben könne. Außerdem sollte in Straßburg, als einem Mittelpunkt deutscher Kunst im Mittelalter und in der Zeit der Renaissance, ein besonderes Gewicht auf die altdeutschen, namentlich die schwäbischen und rheinischen Schulen gelegt werden«.

Dieses Programm habe ich, wie ich glaube, erfüllt. Für jene mäßige Summe brachte ich in wenigen Jahren eine Galerie von etwa 160 Gemälden zusammen, die schon eine gewisse Übersicht über die Entwicklung der Malerei in den verschiedenen Zeiten und Schulen bot, und zum Teil in Werken ihrer großen Meister. Später konnte ich durch weitere Erwerbungen und namentlich dadurch, daß ich den trefflichen Straßburger Buchhändler Dr. Carl Trübner für die Galerie interessierte und ihn zum Vermächtnis seiner kleinen, meist durch mich gekauften Bildersammlung und eines Kapitales zu weiteren Ankäufen bestimmte, die Galerie nach verschiedenen Richtungen erweitern. Hoffentlich wird es dem jetzigen Bürgermeister Dr. Schwander mit der Zeit gelingen, das köstliche Rokoko-Palais, dessen obere Räume die Sammlungen beherbergen, in seiner alten Pracht wiederherzustellen und es mit dem benachbarten »Frauenhaus« zu verbinden, um so der Stadt ein Museum zu[38] schaffen, wie Deutschland wenige besitzt. Ob er freilich Dank dafür ernten wird? Von seinen Mitbürgern und Zeitgenossen schwerlich, wenn ich nach mir urteilen darf. Obwohl es mir sogar gelungen war, eine Reihe tüchtiger und für Straßburg besonders wertvoller Bilder, darunter zwei Bildnisse des Straßburger H.B. Grien, als Geschenke der Sammlung zuzuführen, hat man sich öffentlich in Straßburg selbst über meine Erwerbungen und Bemühungen eigentlich nur wiederholt mit Mißvergnügen geäußert: was man mit den alten Schinken solle, für das schöne Geld hätten Aufträge an junge Straßburger Künstler in Paris und München gegeben werden sollen, das wäre eine nutzbringendere Verwendung gewesen. Hier ist es mir also gerade so ergangen wie in Berlin. Nicht die Sache, sondern nur die Personen hat das »große Publikum« und die Presse, die seine Meinung zum Ausdruck bringt oder die es am Gängelbande führt, im Auge. »Nur der Lebende hat recht!«

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 35-39.
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