37 [34] Brief an August Macke

Sindelsdorf, 12.12.1910


Buschgesicht, für Deinen lieben Brief danke ich Dir vielmals; er hat mir wirklich Freude gemacht; (ebenso Dein ›Furzbrief‹, wenn er auch ›gar nicht ganz lieb‹ war). Deine Farbscheibe ist mir ganz bekannt; es gibt Leute, die sie stets in ihrem Atelier hängen haben; ich mag sie nicht recht. Die Farben sind mir darauf zu erschöpft, wie ein Plakat für Farbenhändler. Würde man das Ganze nicht im Kreis ordnen, sondern auf einer größeren Fläche irgendwie geschickt, mit mehr Laune, verteilen, wäre sie vielleicht erträglicher; so löst sie stets ein Gefühl von Langeweile bei mir aus, wie das Spielen der Tonleiter.[34] Ein wunder Punkt in der Anordnung des Kreises besteht auch darin, daß die Komplementärfarben nie in Flächen aneinander grenzen, sondern immer in dem ungeschickten Zwickel im Kern, so daß das Auge sie nie zusammen lernt, was bei den Mitteltönen, z.B. warmes Blau und Ziegelrot oder Ultramarin und rötliches Neapelgelb etc. gerade wichtig wäre. Die Aufstellung einer anderen Tafel habe ich freilich auch noch nicht versucht; Du kennst meine Neigung, mir die Dinge immer im Kopf vorzustellen und aus diesen Vorstellungen heraus zu arbeiten. Ich werde Dir nun meine Theorie von Blau, Gelb und Rot auseinandersetzen, die Dir wahrscheinlich ebenso ›spanisch‹ vorkommt wie mein Gesicht.

Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig.

Gelb das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich.

Rot die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden bekämpft und überwunden werden muß!

Mischst Du z.B. das ernste, geistige Blau mit Rot, dann steigerst Du das Blau bis zur unerträglichen Trauer, und das versöhnende Gelb, die Komplementärfarbe zu Violett, wird unerläßlich.

(Das Weib als Trösterin, nicht als Liebende!)

Mischst Du Rot und Gelb zu Orange, so gibst Du dem passiven und weiblichen Gelb eine ›megärenhafte‹, sinnliche Gewalt, daß das kühle, geistige Blau wiederum unerläßlich wird, der Mann, und zwar stellt sich das Blau sofort und automatisch neben Orange, die Farben lieben sich. Blau und Orange, ein durchaus festlicher Klang.

Mischst Du nun aber Blau und Gelb zu Grün, so weckst Du Rot, die Materie, die ›Erde‹, zum Leben, aber hier fühle ich als Maler immer einen Unterschied: Mit Grün bringst Du das ewig materielle, brutale Rot nie ganz zur Ruhe, wie bei den vorigen Farbklängen. (Stelle Dir nur z.B. kunstgewerbliche Gegenstände vor, grün und rot!). Dem Grün müssen stets noch einmal Blau (der Himmel) und Gelb (die Sonne) zu Hilfe kommen, um die Materie zum Schweigen zu bringen. Und dann noch etwas: (es wird etwas lächerlich literarisch klingen, aber ich weiß es nicht besser auszudrücken:) Blau und Gelb sind wiederum nicht gleichweit von Rot entfernt. Ich werde trotz aller Spektralanalysen den Malerglauben nicht los, daß Gelb (das Weib!) der Erde Rot näher steht, als Blau, das männliche Prinzip. Die Übereinstimmung mit der uralten physiologischen Theorie über das ›Weib‹ klingt hier etwas komisch, aber sie stützt in meiner Phantasie die Bezeichnungen, die ich für mich den Farben gebe. Daß ich die einzelnen Farben, wie Du siehst, durchaus, maltheoretisch, nicht gleich werte, hängt mit meinen jüngsten Erfahrungen (jung sind sie alle) zusammen, daß ebenso wichtig und viel schwieriger wie das einfache Komplementärproblem das Problem der Farbmassen ist. Daß Blau sich auf Orange stürzt, ist nicht schwer sich einzuprägen, aber welche Masse Blau sich in jedem einzelnen Falle neben Orange[35] stellen darf, – da liegt der Has im Pfeffer. Das lassen die Theorien verflucht aus, wenn man nicht bloß angestrichene Zigarrenkisteln malen will. Ich bin auch insofern dem zu starken Herüberziehen musikalisch-technischer Gesetze in die Malerei etwas skeptisch gesinnt. Nicht daß ich nicht überzeugt wäre, daß ganze gesetzmäßige Beziehungen und Analogien zwischen beiden beständen, und weiter Beziehungen zur reinen Mathematik; aber ich denke, die musikalische, theoretische Technik, z.B. Kontrapunkt, ist von den Menschen speziell für das musikalische Schaffen gemacht, die aufsteigenden und absteigenden Melodien sind ein so durchaus musikalischer Begriff, fast ›Instrumentalbegriff‹ (soweit unsere Stimme ja auch ›Instrument‹ ist), daß die Anwendbarkeit auf Malerei doch etwas vage ist und sich praktisch nicht recht über geheimnisvoll gefühlte Analogien erhebt. Was Du von Melodieführung durch Hell und Dunkel etc. sagst, finde ich sehr fein. Sicher sind Melodie und Linie aus dem gleichen uralten Schoß künstlerischen Empfindens gewachsen, aber es sind doch zwei Schößlinge, Geschwister, die sich technisch weit voneinander getrennt haben. Daß ich nicht so ganz musikalisch mitdenke, liegt aber auch sicher daran, daß ich nicht an der Hand einer Partitur die Technik und Komposition eines Musikstückes nachprüfen kann, überhaupt musiktechnisch so traurig ungebildet bin, daß ich gar nicht wage, da mitzureden. Wenn ich einmal nach Bonn komme, muß mir Eure Freundin das unbedingt auch vorspielen.

Zum Schluß will ich ein praktisches Beispiel versuchen. Stell Dir einen Akt in einem Wald vor. Der Grund des Bildes also rote Bäume und grüne Laubpartien. Der Akt wird, um dem Rot der Stämme seine Brutalität zu nehmen, weißgelb sein. Um noch ein bißchen kühle Geistigkeit in dieses allzu warme Ragout zu bringen, führen wir noch, eventuell am Arm tragend, ein kaltweißes Tuch ein. Nun malen! Zunächst würde ich ganz theoretisch, wo der Akt z.B. mit seinem Oberarm auf Grün stößt, diesen rot konturieren und sofort mit einer grünen Kontur weiterfahren, wenn der Unterarm eventuell auf Rot zu stehen kommt. Die farbigen Konturen muß der Akt erhalten und nicht der Hintergrund, weil Rot und Grün des Hintergrundes reinere, stärkere Farben sind als das gebrochene Weißgelb des Aktes. Mit dem Tuch ebenso: wo es zum Körper steht, färbt sich's violett, hat der Körper irgendwo ein Orange aufgenommen, so springt ein Stück Blau auf das Weiß, eventuell in einer tiefen Falte. Dabei braucht Blau und Orange durchaus nicht zusammenzustoßen, vor allem, wenn es z.B. nur durch neutrales Weiß getrennt ist; es können sogar zwei im Bilde durchaus entfernte Punkte Komplementärfarben zueinander enthalten, wenn sie durch auffallende, verwandte Form oder Größe dem Auge ihre Verwandtschaft anzeigen. (Wieder das spröde Problem der Massenverteilung). So, durchaus theoretisch gemalt, wird zwar noch kein Kunstwerk gemacht, aber[36] man gewinnt eine räumliche Plastizität, eine Sicherheit der Wirkung und Reichtum der Farbe, daß man es einem Dilettanten nie verraten dürfte. Es gibt schon so genug, die den Witz etwas heraus haben.

Ich sehe Dich aufstöhnen beim Anblick dieser neun Seiten oder et was anderes tun, – ja, apropos: ich würde lieber die Fürze zur ›unbestimmten Stunde‹ freudvoll und prachtvoll fahren lassen, aber zum Malen mir doch meine bestimmte Zeit reservieren, – ich mach's wenigstens so ... Schreib bald wieder Deinem

Fz. Marc


... Schreib mir bitte, ob Du diese Anschauungen frevelhaft und unhaltbar findest oder ob Du ähnliche Erfahrungen gemacht hast.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 34-37.
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