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[103] aus Strasbourg, 24. Sept. 14.


Liebe Maria, ich bin hier seelenvergnügt in Strasbourg, die Nacht gefahren von Sales aus; ich hab mir einen Kanonier mitgenommen zum Tragen der Besorgungen. Früh 6h kamen wir an, frühstückten und gingen dann zum Münster u. bummelten durch die reizende[103] Stadt. Ich kam mir so merkwürdig vor, es war wieder alles wie im Traum. Jetzt sitz ich in einem ›Löwenbräu-Ausschank‹ u. esse mich an großen Butterbroden u. Käse satt. Alles ist so friedlich, als wenn ich im Roten Hahn in München säße – und draußen diese entsetzlichen Kämpfe! Ich kann mir kaum vorstellen, daß es wieder Zeiten geben wird, in denen man ohne Revolver ausgeht u. die nächsten Höhen nicht mehr nach feindlichen Batterien od. Fantassins absuchen muß, ehe man seine Kolonne in Deckung fährt. Der gegenüberstehende Feind ist uns einfach eine Selbstverständlichkeit geworden! Strasbourg finde ich reizend, man fühlt sich ganz in einer uralten Stadt; im Münster machten die wunderbaren Glasfenster den stärksten Eindruck; Kandinsky reicht sehr nahe an diese Kunst heran, steht ihr sogar merkwürdig nahe; ich war ganz betroffen. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie ich mich aufs Malen freue. Sei Du u. Maman herzl. umarmt von Eurem Fz. Streichle Russi u.d. Rehe von mir!

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 103-104.
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