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[163] 13.X 15.


Liebste, wie schön ist das kurze Gedicht von Lasker-Sch. auf Senna Hoys Tod; sie ist doch eine große Künstlerin, deren Stärke immer wieder über ihre großen Schwächen triumphiert. – Symptomatisch interessant ist der jetzt (im selben Blatt) lancierte Artikel über die D.G.G. In diesen Tagen vollzieht sich, meine ich, der entscheidende[163] Umschwung, – das Ende, des Krieges wird mit Riesenschritten nahen, das sehe ich jetzt voraus. Ich bin auf einmal wieder etwas Optimist. Der Einmarsch in Serbien ist vom deutschen Heere in so beispielloser Stärke seit Monaten vorbereitet, genau wie seinerzeit die furchtbare galizische Offensive. Das ganze ist das Werk dieses merkwürdigen und zweifellos genialen Falkenhayn, dem Spiritus rector des ganzen Krieges, (ein skrupelloser, berüchtigter Schuldenmacher, zehnmal kompromittiert im Privatleben und nur Feldherr von Kaisers Gnaden, – aber was für einer!!). Ich halte es nun doch für wahrscheinlich, daß wir Frühjahr 1916 das Ende erleben werden, – wenn nicht sogar etwas früher. Die Ratlosigkeit der Entente am strategischen Schachbrett ist zu offenkundig. – Bei uns hat es ja fast den Anschein, als wollten wir das lange oder dicke Ende dieses Krie ges schön gemütlich in Haumont abwarten! Ich reite jetzt viel für mich allein spazieren, stundenlang in den riesigen Eichen- und Buchenwäldern, die sich zwischen Haumont und Hattonchâtel und St. Mihiel ausdehnen, spazieren. Die Herbstfarben sind jetzt so glühend wie einst am Tränenhügel! Ich habe mir ein hübsches neues Pferd herausgesucht, eine hochrote Fuchsstute ›Eva‹. Ich kann jetzt gottlob ohne zu fragen und wohin ich will meine Ritte machen; den ewigen Druck des stündlichen Angebundenseins bin ich jetzt doch etwas los, – angebunden bleibt man natürlich immer! Also wenn Du Dir mein Leben vorstellen willst, stell Dir Deinen Franzl auf seiner Eva langsam durch die Herbst-Wälder reitend vor. Ich reite viel Schritt; es wimmelt von Raubzeug hier; Rehe sind sehr selten; (heute traf ich zum erstenmal eine Hanni mit 2 Kitzen!) Außerdem sind seit gestern 3 Kraniche hier! Hauptsache grau, weiße Unterseiten; sieh doch mal im Brehm nach, was es für Kraniche sein können, ob Jungfernkranich oder eine andere Art. Reiher sind es nicht, Reiher und Störche tragen im Flug den Hals anders. Heut abend kam Dein Paket vom 4. X., also in 9 Tagen; das geht sehr prompt; dank für die guten Fläschchen! Strümpfe habe ich jetzt mehr als genug, schicke auf keinen Fall mehr. Mit warmen Sachen bin ich jetzt überhaupt vollkommen versorgt. Wegen weicher weißer Hemden, also mit andern Worten: etwas Offizierswäsche schrieb ich Dir schon; wenn Du nichts mehr findest, kaufe nichts, – ich besorge es mir ganz einfach in Metz. Morgen – übermorgen bin ich auch dort, nehme ein Bad und dergleichen. Kuß D. Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 163-164.
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