Mailand

[206] Als ich in Mailand ankam, war mein erstes, daß ich nach dem Dome ging. Das ist ein heiliger Wald, von der Kunst aufgestellt, von Gottes Geist bewohnt, mit Bäumen besetzt, aus deren Wurzeln schon die Äste an dem Stamme hinauflaufen, oben sich einander die Zweige reichen und als festes Gewölbe vor Sonne und Regen das Innere decken.

Es wurde eben das Fest des Carlo Borromeo gefeiert, und an den Wänden zu beiden Seiten des Domes entlang waren Bilder aufgehängt, welche die Wunder dieses Heiligen darstellten. In einer kostbar ausgezierten unterirdischen Kapelle sah ich den vor mehreren Hundert Jahren Verstorbenen liegen, sein Gesicht noch ziemlich unverstellt und ähnlich allen den Porträts, die während seines Lebens nach ihm gemalt sind. Aber sein Geist lebt noch jetzt; überall findet man die Spuren und Wirkungen vieler trefflicher Anstalten, die er gestiftet hat. Große Züge dankbarer Schüler aus den von ihm errichteten Lehrinstituten wallfahrten in ihren mannigfaltigen, vielfarbigen Kleidungen zu seinem Grabe. Seine den Mailändern so reichlich erwiesenen Wohltaten sind zu bekannt, als daß ich sie noch einzeln aufzuzählen brauchte. Von magischer Wirkung in dieser großen Kirche ist die Dämmerung, welche durch die hohen, gemalten Fenster auf die Bildhauereien fällt. Sie haben kein reines Licht und keinen dunklen Schatten, und doch erscheint alles rund und wie in einem Zauberlichte. Es gibt den Gestalten, und vorzüglich den Köpfen, etwas so Gefälliges, daß ich[207] nie vor dem Dome vorbeiging, ohne einzukehren, um mich an ihnen zu erfreuen.

Mein zweiter Weg war nach der Ambrosianischen Bibliothek, um die Bilder von Johann Bruegel zu bewundern: »Die vier Elemente.« Auf dem Bilde der Luft sieht man allerlei Arten von Vögeln. Mit höchster Treue ist jedes Vogels Charakter gezeichnet, besonders richtig ist der Kopf und der Schnabel. Man muß erstaunen, wie Bruegel mit dem weichen Pinsel das Eigentümliche des Schnabels hat wiedergeben können; es ist so bestimmt, als wäre es mit der Feder geschrieben. Auf dem Bilde des Wassers hat er mannigfaltige Fische und Wasservögel angebracht, das der Erde zeigt vielerlei Tiere, die darauf leben. Um den Fleiß und die Schönheit recht zu betrachten, braucht man ein Vergrößerungsglas, denn alles ist klein wie Miniatur; aber durch das Glas glaubt man ein Gemälde von Snyders zu sehen, mit den markigen Charakterzügen. Um das Feuer vorzustellen, hat er eine weitläufige Schmiedegrotte gewählt, wo künstliche Arbeiten von Eisen und Metall verfertigt werden, Rüstungen und Waffen aller Art. In diesem Bilde erkennt man den Bruegel, der mit Liebe ins Kleine alles nachzubilden suchte, was ein anderer kaum ins Große kann. Die mit Gold ziselierten Harnische, Helme und Schilde sind von außerordentlicher Genauigkeit. Wenn er die Belohnung für diese unsägliche Mühe nicht in sich selber fand, so wird er sie schwerlich und nur von wenigen erhalten haben, denn es erfordert schon Anstrengung, diese Bilder nur zu betrachten. Warum mochte der treffliche Maler seine Kräfte nicht auf dankbarere Gegenstände verwenden? Nicht weniger Bewunderung erregt ein Blumenstück, wo er die Form jeder Blume und die Pracht der Farben auf das treueste nachgeahmt hat. Über der künstlich gezeichneten Vase, worin diese Blumen stehen, liegt ein Schmuck von Juwelen aller Art, Diamanten, Rubine, Smaragde, Saphire und anderes. In diesen Edelsteinen hat er[208] die Farbenpracht und den Glanz der Sonne nachgeahmt, das Blitzen und die Härte des Diamants als Gegensatz der sanften weichen Blumen. Während des Besehens erzählte man mir: Als Bruegel dem Kardinal Friedrich Borromeo dieses Bild geschickt, habe dieser eine große Freude gehabt und einen Juwelier befragt, was dieser Schmuck von wirklichen Edelsteinen wohl wert sein möchte. Der Juwelier habe nun ihren Wert nach der Größe geschätzt und der Kardinal, dieser edle Kunstbeschützer, darauf an Bruegel geschrieben: »Den Blumenstrauß, welchen Du mir geschickt, nehme ich als ein Freundschaftsgeschenk an; aber Juwelen haben immer ihren Preis, und hier schicke ich Dir den Wert dafür.« Die Bezahlung für das Bild war so hoch, wie der Juwelier den Schmuck geschätzt hatte. Man sagte mir auch, daß für die Bilder der vier Elemente einst eine große Summe geboten sei, aber man habe sie nicht verkaufen wollen. Sie gehören auch unter die Kunstsachen, deren Wert nicht mit Gold bezahlt werden kann, und sind in ihrer Art das Vollkommenste. Das wußten auch die Franzosen, die sie wegnahmen, ohne sie zu bezahlen, und sie nach Paris brachten. Auch erzählt man: Als Bruegel, der mit dem Borromeo genaue Freundschaft hatte, sich von ihm nicht wollte bewegen lassen, in Italien zu bleiben, habe dieser mit ihm den Vertrag geschlossen, jedes wohlgelungene Bild, welches er in seinem Vaterlande fertigen würde, ihm zuzuschicken, und zwar für jeden Preis, den ihm ein Liebhaber bieten möchte. Den großen »Jahrmarkt« von Bruegel besaß Herr Schmidt in Kiel. Ein anderer Bruegel, Bruder oder Verwandter, war in Neapel; auch gab es einen Bauernbruegel und einen Höllenbruegel; denn es waren ihrer gar viele, und jeder malte auf eine andere Art, doch immer in das Kleine, und ihre Arbeiten sind voll von Details. Ihr aufmerksamer Geist drang bis zu dem Geringsten, so daß sie alles, was sie in der Natur fanden, auch in ihren Arbeiten anbringen wollten. Ich sah hier von ihm[209] einige kleine auf Kupfer gemalte Landschaften, die mehrenteils gebirgige Wildnisse vorstellen, wo man von der Höhe auf niedere weite Täler, Seen und Flüsse in die Ferne hinabblickt. In diesen wüsten Einöden haben sich Einsiedler niedergelassen. So wie des Künstlers sinnreicher Geist mühsame Arbeiten sich aufgab, so hat der Einsiedler in dieser unzugänglichen, schroffen Felsenwüstenei sich durch Stufen, Treppen und Leitern von Abhang zu Abhang einen Zugang gemacht; bald geht er von oben nieder durch eine Höhle in den Berg hinein, bald vermittels der Stricke von außen an der Felsenwand frei in der Luft schwebend, über fürchterliche Abgründe und Schlünde hernieder, dann kommt er wieder zu einem Plan und einer stillen Grotte. Hier hat er seine geringen Bedürfnisse nahe bei sich, ein wenig Moos zum Lager, einen Stein zum Kopfkissen, einen Korb, worin er sich Speise hergetragen, und eine kleine Quelle, die oben aus dem Felsen träufelt, hat er durch Röhren zu seinem Sitze geleitet, die gießt ihm Trank in sein Brünnlein, das in Stein ausgehöhlt ist. Er sitzt nun hier in ungestörter Ruhe, denn der Weg zu ihm ist von unten unmöglich, von oben beschwerlich, und er kann ungehindert denken und nachsinnen. In seiner Felsenhöhle schaut er durch eine Öffnung frei heraus auf die große Welt, die niedrig vor ihm liegt mit den Dörfern und Städten der vielfache Gewerbe treibenden Menschen. – Es waren viele solcher Landschaften da, jede verschieden, aber angefüllt mit sinnreichen Erfindungen, welche die Einbildung beschäftigen und Stoff geben, auch über mehreres nachzudenken, was nicht auf dem Bilde ist. So mühsam herbeigesucht die Idee von so mancherlei Gegenständen war, so mühsam war auch die Ausführung. Fast jedes Blatt am Baume war einzeln gemalt und umschrieben, man sah es flach oder verkürzt, von oben oder von unten. Jeder Ast, jeder Zweig war richtig gezeichnet, der Baumstamm mit seiner Borke, das Gras und Moos, jeder Vogel in dem[210] Baume; jedes Tierchen, das in dem Grase lief, war zu erkennen – und doch war alles eins und das Ganze in Harmonie. Mir machten diese Landschaften viel Freude, und noch schweben sie mir als inhaltsreiche Gedichte von Wüsteneien vor, wo des Menschen irregetriebener Geist außerhalb des Gewühls volkreicher Städte wieder seine Ruhe findet.

Unter den zahlreichen hier sonst noch vorhandenen Bildern nenne ich nur diejenigen, welche sich durch ihre Eigentümlichkeit vorzüglich auszeichnen und ein Verdienst haben, das man in anderer Meister Werken nicht in einem so hohem Grade findet als zum Beispiel im Bild »Die Geburt Christi« von Rottenhammer. Mädchen und Kinder stehen umher und schauen das neugeborene Kindlein an. Die Freude erhöht die bräunliche, glühende Farbe, welche den Brünetten einen so zauberischen Reiz gibt, und dies hat Rottenhammer so vollkommen erreicht, wie ich dergleichen an keinem anderen Bilde gesehen habe. Hierzu hatten ihm wohl Tintorettos Werke den Weg gezeigt, von dem man sagt, er habe seinen Pinsel in Blut getaucht. In diesem Bilde Rottenhammers sieht man das warme Blut, wenn es einem schönen italienischen braunen Mädchen die Freude bis zur äußersten Haut durchglühen läßt. Tintoretto sah es in der Natur und ahmte es nach, Rottenhammer nahm es von beiden. Besonders ist im Schatten die durchsichtige klare Fleischfarbe meisterhaft, mit allem Zauber, welchen die Farbe eines schönen beschatteten Frauenhalses gibt. Möchte ihn nicht eine ungeschickte Hand verwischen! Man erstaunt über die Kunst, mit der er die Farben behandelte und sauber auftrug. Engel umschweben die Krippe; sie sind leicht und zierlich gestaltet und ihre Wendungen äußerst graziös. Auch hier denkt man an Tintorettos fliegende Figuren. Das Ganze ist eine Liebesglut!

Unter die vorzüglichsten Schüler des Leonardo da Vinci gehören die Gebrüder Luini. Ich sah von jedem einige Arbeiten und lernte sie voneinander unterscheiden, indem ihre[211] Werke wie auch mehrere ihres Meisters hier beisammen waren. Ihr Kolorit ist warm und die Fleischfarbe natürlich, sie hat vielfarbige Tinten und ist sanft und mollig, mehr als in Leonardos Werken, wo sie bei allzu strenger Genauigkeit, die Form zu bestimmen, verlorengegangen ist. Hiermit ist nicht gesagt, daß durch die Bestimmtheit der Formen das Kolorit leide. Bei Holbein findet sich auch neben der äußersten Ausführung und strengsten Genauigkeit jeder Kontur der Flächen und Erhöhungen das schöne Kolorit. Sein kleines Bildchen, unter dem Namen »Der schönen Phryne in Athen«, kann als Muster hierin aufgestellt werden. Auch ein weiblicher Kopf von Luini erregte meine vollste Bewunderung. Mit der saubersten Reinheit hat er die Farbe, als wäre sie Wasser ohne Fett, hingesetzt und sie so behandelt, daß die Kontur so scharf zu sehen ist, als ob sie mit der feinsten chinesischen Tusche gezogen wäre. Diese Geschicklichkeit muß man von Leonardo da Vinci gelernt haben. Er mischte seine Töne auf der Palette und dann setzte er sie auf die Tafel, ohne sie gleich mit anderen zu vermischen. So sitzt Ton neben Ton, Tinte neben Tinte. Erst nachher schmolz er sie behutsam zusammen, damit sie hell und rein blieben. Auch Parmeggianino hat Köpfe in dieser Art gemalt. Was mir am meisten an diesem Kopfe von Luini auffiel, war das Auge. Ich erstaunte, daß man die Natur so vollkommen erreichen kann! Ein wässeriger Spiegel, der so schwer mit Farben nachzuahmen ist! Es war von der schönsten Form, die man sehen kann, rein gezeichnet, daß es dazustehen schien; das Licht, welches durch den Augapfel fällt, war durchsichtig wie ein Glas von der bläulichen Schönheit des schillernden Perlmutters, und auf dem schwarzen Augapfel spiegelte sich das Fenster. Mit nämlicher Volkommenheit waren auch die anderen Teile des Gesichtes gemalt, und zusammen machte es ein Ganzes. Doch hatte der Kopf wenig Idealisches; es war ein schönes Gesicht, aus der Natur genommen, wie man es wohl im[212] gewöhnlichen Leben findet, aber selten von so reiner Schönheit. Es gehört dieses Gemälde unter die schönsten Köpfe, die ich in der Malerei gesehen habe. Ein anderes schönes Auge sah ich in dem Bogenschnitzer von Correggio.

Mein dritter Gang war zu dem berühmten »Abendmahl« des Leonardo da Vinci in dem Speisesaale des Klosters St. Maria delle Grazie. Es würde mein erster Gang gewesen sein, wenn ich mir nicht vorgenommen gehabt hätte, einige Studien nach den Köpfen dieses herrlichen Bildes zu machen. Die Geistlichen erlaubten es mir sogleich, und so ging ich alle Morgen hin. Ich hatte auch meinem Freunde Lavater versprochen, ihm eine Zeichnung von dem Christuskopfe zu schicken, der für den besten Christuskopf gehalten wird, welchen man in der Malerei hat. Da Vinci hat hier den Christus vorgestellt wie einen natürlichen, aber erhabenen Menschen, dessen großer, reiner Geist eine universelle Einsicht hat und der die Menschen als Meister wie seine Schüler unterrichtet. Mit ruhiger Hoheit sitzt er unter seinen Freunden, die ihm sagen: »Meister, wir werden dich bald nicht mehr sehen, aber wir lieben dich!« Darauf spricht er: »Und doch ist einer unter euch, der mich verraten hat!« Darauf gibt es eine allgemeine Bestürzung und Bewegung unter ihnen am Tische. Die nächsten springen auf und bezeugen ihre Unschuld; der eine reißt sein Kleid auf und zeigt seine reine Brust, der spreizt die Arme aus vor Verwunderung, ein anderer streckt die Finger in die Höhe und schwört, daß er es nicht gewesen. Johannes, von zartem, weichem Gemüte, ihm zunächst sitzend, lehnt sich an ihn, schlägt die Augen nieder und faltet die Hände zusammen als sagte er: Wie ist es möglich, einen solchen zu verraten! Man erkennt den Busenfreund an der Teilnahme, sein Ich ward getroffen. Petrus im Auffahren ergreift das Messer, augenblicklich den Verräter zu bestrafen; er rückt von seinem Sitze hinter dem anderen weg und rührt mit dem Finger den Johannes an, fragend, wer es sei? Denn ihm, Jesu Lieblinge,[213] denkt er, müsse es wohl vertraut sein! Judas zieht den Rücken ein und lehnt sich mit dem Geldbeutel auf den Tisch, voller Furcht vor dem Messer des heftigen Petrus, den er hinter sich fühlt. Weiter hinunter an dem Ende des Tisches ist die Bewegung ruhiger, als wäre die Stimme von der Mitte aus noch nicht deutlich zu ihnen gekommen, denn der Hohe, Edle hat es leise gesprochen. Man fragt, man sagt's einander, daß ihr Meister verraten sei und das von einem unter ihnen! Der Aufstand ist allgemein, doch mit abgestufter Bewegung, je nachdem der Charakter heftig oder ruhig ist. Nahe um Christus ist es am lebhaftesten. – Ein Meisterstück von Komposition! Hier erkennt man den großen Leonardo, den vernünftigen Mann, den richtigen Denker. Es geht alles so natürlich zu, daß, wer zufällig in eine Tischgesellschaft träte, wo dergleichen gesprochen wäre, als Christus hier sagt, eben das sehen würde, was in diesem Bilde geschieht! Hier ist nicht auf malerische Gruppierung gedacht oder sonstige künstliche Stellungen. Wem auch die Geschichte nicht bekannt wäre, der müßte sie erraten. Er sieht's, die ganze Tischgesellschaft wird von einer unvermuteten Bestürzung ergriffen und aufgeregt. Wenn man so halbe Tage vor dem Bilde sitzt und zeichnet, dann sieht man erst das Einzelne und wie es zum Ganzen geordnet ein vollkommenes Eins ausmacht.

Um mein Verlangen zu befriedigen, die Zeichnung von dem Bilde zu sehen, von der man sagt, sie sei von Leonardos Hand, eilte ich nach dem Hause des Besitzers derselben, des Herrn Casanova, Rè degli armi. Ich glaubte, da noch schärfere Meisterzüge in den Köpfen zu finden, denn die ersten Gedanken, die ersten Federstriche, die, dem Künstler aus der Seele geflossen, mit ungeteilterem Gefühl in dem ersten Feuer der Begeisterung hingeschrieben sind, die werden oft beim Malen geschwächt, weil der Künstler mit der Behandlung der Farben, mit dem Stoff zu sehr beschäftigt ist und dies mehr Aufmerksamkeit erfordert als die Feder und die[214] Tinte, die leichter und williger fließt. Als ich in das Haus kam und um die Erlaubnis bat, die Zeichnung zu sehen, führte mich ein Bedienter in das Zimmer, wo dieselbe aufgehängt war. Da er die Tür öffnete und ich hineintreten wollte, sah ich eine Dame mit zwei Dienerinnen am Nähtische sitzen. Sie standen auf, ich entschuldigte mich und trat zurück; sie aber nötigten mich freundlich herein, nahmen ihre Arbeitssachen zusammen und winkten noch einem Bedienten, einen Tisch und einen Schemel zu bringen, damit ich die Zeichnung bequem und solange ich nur wünschte an der Wand sehen könnte. Alle meine wiederholten Entschuldigungen waren umsonst, und die Damen gingen in ein anderes Zimmer, welches, wie sie sagten, ihr gewöhnliches Arbeitszimmer war; auch befahlen sie dem Bedienten, mir alles zu leisten, was ich nötig hätte, die Zeichnung recht zu sehen. Ich stieg nun auf den Tisch und betrachtete die Zeichnung Kopf für Kopf. Die Köpfe waren alle sehr meisterhaft gezeichnet und der Charakter von jedem wie im Bilde ohne Veränderung. Sie schienen mir daher auch nicht die Skizze zu dem Bilde zu sein, sondern nach dem Bilde gezeichnet, denn die Konturen waren zu rein und dem Bilde zu ähnlich, was gewiß nicht sein würde, wenn es ein Entwurf gewesen wäre. Wie unschätzbar würde es sein, wenn man die Studien hätte, die Leonardo zu diesem Bilde gemacht hat! Als ich die Zeichnung lange besehen hatte und eben weggehen wollte, kam die Dame wieder mit einer anderen und sagte mir, diese sei ihre Schwester und die Frau vom Hause. Auch diese war sehr freundlich und bat mich, jeden Tag wiederzukommen und nach Gefallen zu bleiben, solange ich wolle; sie bedaure nur, daß ihr Mann nicht zu Hause sei, der gern meine Bekanntschaft gemacht haben würde. Ich dankte für die Erlaubnis und für den Genuß, den mir die vortreffliche und seltene Zeichnung gewährt hätte, und als ich mich schon empfohlen hatte, kam Herr Casanova nach Hause, und ich mußte auf der Treppe[215] mit ihm umkehren. Er war äußerst freundlich, überhäufte mich mit Höflichkeiten, sagte, daß er die Deutschen sehr liebe, und lud mich für heute und für alle Tage, solange ich in Mailand bliebe, zum Mittagessen ein; er habe täglich einige Freunde bei sich, Männer von Verdienst und muntere Köpfe, deren Unterhaltung mir vielleicht Vergnügen machen könnte. Ich nahm für morgen die Einladung an. Am folgenden Tage lud mich der Bediente nochmals ein und sagte dabei, ein Herr von der Gesellschaft würde mich abholen. Dies geschah, und ich fand eine zahlreiche Versammlung von sehr interessanten Männern, mit denen ich zum Teil nähere Bekanntschaft machte, besonders mit einem Liebhaber von Originalzeichnungen, deren er eine große Sammlung hatte. Er war ein Spanier von Geburt und bekleidete eine Stelle in der Regierung. Während der Tafel war es sehr lustig; die witzigen Köpfe scherzten wechselweise mit munteren und launigen Gesprächen. Es war einer darunter, der auch mit zu einer solchen Gesellschaft gehört und so nötig ist wie ein Buffone. Er erzählte alle Neuigkeiten des Tages, und weil es angenehm und bequem war, durch seinen Mund zu vernehmen, was sich seit gestern, seit der letzten Nacht und heute morgen zugetragen, so nannte man ihn, wie man mir ins Ohr raunte: »La trombetta di Milano.«

Besondere Aufmerksamkeit erregte auch der Sohn des Herrn Casanova, ein Knabe, der die schönsten Brindisis ausbrachte und trefflich improvisierte. Alle, die da waren, setzte er in Verwunderung, sie lobten die Gedanken, die vielfachen blumigen Wendungen und den Reichtum seiner Ideen. Wie ein Quell, der unabgesetzt fließt, so reich strömten die Gedanken. Jedem der Reihe nach, die da am Tische waren, brachte er ein Brindisi. Einige der Gäste griffen sie auf, wiederholten sie und schätzten ihn dem besten Improvisator gleich. Ebenso tüchtig war er auch in der Musik, er sang Arien mit Beifall der Kenner. Sonderbar, daß in diesen[216] Künsten Kinder oft soviel vermögen, aber im Zeichnen können sie selten etwas Erträgliches hervorbringen! Und doch kritzeln sie schon, sobald sie nur etwas in die Hände bekommen, womit sie einen Strich oder Riß zu machen imstande sind. Gewiß liegt die bildende Kunst ebenso in dem Menschen und ist ihm ebenso angeboren wie Musik und Poesie, aber es scheint, als wenn zu jener eine männlichere Kraft gehöre und das Praktische zu lernen Zeit erfordere bis zu den gesetzteren Jahren. Es haben Jahrhunderte hindurch Männer die Malerei geübt, und sie blieb doch in der Kindheit und konnte sich nicht erheben, obgleich das Praktische schon erworben war. Der malerische Geist lag gefangen und konnte nicht aufstreben, bis der große kräftige, lichtvolle Leonardo die Hülle brach – und es ward Licht! Überall erschienen jetzt freie Werke der Malerei. In der Sixtinischen Kapelle schuf Michelangelo aus sich selbst jenen Gott-Vater im purpurnen Gewande, der den mächtigen Arm ausstreckt und wo er nur hindeutet, einen Menschen werden sieht. Michelangelo malte mit dem Verstande. Er wußte, woraus die Sache bestand, und so machte er sie. Tizian arbeitete mit höchster Phantasie; wenn Leben und Bewegung ein Vorzug in einem Bilde ist, so muß er der größte Maler genannt werden. Er wußte das Momentane zu ergreifen, die Bewegung und das Gefühl, wie es sich im Munde und Auge zeigt. In dieser Weise sah ich ein Bild von ihm, worin ein Kind mit inniger Liebe nach der Mutter blickt; so ist auch das Gesicht der Danae. Endlich stand der Heliodor von Raffael da, groß, mit ungebundenem Geiste, und in Parma schwebten die Götter und Engel im offenen Himmel durch die Kuppel in die Kirche hernieder! So löste Correggio vom Grunde die Figur, und man sah sie sich drehen und wenden. Da kamen die Carracci, deren Schule noch bis jetzt fortgeht, Guido, der das Kleine als unnötig verschmähte u.a. Ich will hiermit nicht sagen, daß vor Leonardo nichts Gutes gemalt sei. Nein, es wurde viel[217] mehr hervorgebracht, als seither geschehen, denn jener Zeit verdanken wir das Bild der Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, die der Welt den Vermittler gebar, die reine Unschuld, weibliche Sittigkeit und Würde, das Schätzbarste, was für den Menschen auf der Welt ist. Sie wurde wohl von Griechenland durch die Maler mitgebracht, aber in Italien ist sie erst völlig ausgeführt. Die Innigkeit ist nachher freilich durch das Malerische verlorengegangen, aber im ganzen war die Malerei jener früheren Zeit noch ohne freien Geist. Die Künstler malten wie nach ausgeschnittenen Mustern, die sie nur auflegten, umschrieben und ausfüllten, oder als wäre es nach Schatten an der Wand gezeichnet und dann koloriert, so flach sind die Figuren auf der Tafel. Das Innere, was sie mit freier Hand ausführen mußten, ist auch schwächer als die äußere Kontur. Doch findet man sehr scharf gezeichnete, schöne Marienköpfe und Engel aus jener Zeit. Selbst einige Mosaiken sind ihrer Einfachheit und Größe sowie ihrer Kontur wegen achtungswert, obwohl trocken und armselig. Es war auch nicht auf einmal, daß Leonardo da Vinci erschien; er war es auch nicht allein, mehrere kamen ihm in der Kunst nahe. Sie waren allmählich gereift, und alle gehörten sie der Zeit an. Einer muß als Glied des anderen betrachtet werden, denn einer bildete den anderen und bildete sich durch den anderen. Die Medici beseelten den Kunstgeist in Italien, und überall wachte er auf. Die Zeit war da, daß sich die Blüten zeigten, und sie verbreiteten sich wie ein Frühling, dessen Hauch die Blumen weckt.

Bei dem Spanier, welcher mich eingeladen hatte, seine Sammlung von Originalzeichnungen zu sehen, fand ich nach meinem Wunsche viele von Leonardo da Vinci, und es freute mich zu sehen, wie diesem Meister darum zu tun war, die Kontur recht rein und genau zu haben. Gewöhnliches Papier genügte ihm nicht, das war ihm zu grob und höckerig, deshalb hatte er es mit Kreidegrund überzogen[218] und dann mit einem Silberstift darauf gezeichnet. Auf diese Weise konnte er die Grenzen der Form mit allen, auch den geringsten Ein- und Ausbiegungen, nach seinem Willen bestimmen, denn sein scharfes Auge sah, was anderen unentdeckt blieb. So machte er's ebenfalls mit den Schatten; auch diese waren bis auf die geringsten Nuancen der Flächen, Höhen und Tiefen ausgeführt. Einige nackte Figuren nach der Natur, nicht viel größer als ein Finger, waren zum Erstaunen ausgeführt, besonders ein Hieronymus, vermutlich, um ein Bild danach zu malen. Zu seinen schönen Frauen scheint er ein gewisses Lieblingsgesicht aus der Natur genommen zu haben, auch sieht man in den Werken seiner Schüler oft das nämliche. Ich gab mir viele Mühe, womöglich alles von Leonardo und seinen Schülern in den Kirchen und Galerien von Mailand aufzufinden, fand auch verschiedenes von ihm und vieles von seinen Nachahmern. Unter anderen sah ich einige Bilder mit nackten Kindern, wo Form und Zeichnung den Antiken sehr nahekam; die Konturen waren äußerst rein und bestimmt. Sie waren nicht ganz fertig, aber desto geistiger. Von Luini sah ich noch verschiedene, die alle ein schönes, warmes und helles Kolorit hatten, auch von anderen Nachahmern, ebenfalls äußerst fleißig ausgeführt, das Kolorit war aber zu braun. Vermutlich hatte die Zeit viel dabei getan, sodann das viele Übermalen und Anfeuchten, wie es schien mit Öl oder Firnis, was dann mit der Zeit nachdunkelte. Doch waren alle diese Bilder voll Verdienst, nicht allein wegen der äußersten Vollendung der Formen, sondern auch wegen des Ausdrucks in den Physiognomien; besonders war in einem Kopfe des Johannes das sanfte Gemüt ansprechend ausgedrückt. Man muß die Bilder des da Vinci und seiner Schüler mit Ruhe und Nachsinnen betrachten, denn es sind tiefgedachte und reiflich überlegte Kunstwerke. Sie haben aber nicht das Brillante, was beim ersten Anblicke gefällt und anzieht. Es war mir sehr auffallend, was der König von[219] Schweden, Gustav III., sagte, als ich mit ihm in der Galerie Borghese zu Rom war. Er ging vor einem Bilde von da Vinci schnell vorüber. Ein Kenner bat ihn, wieder zurückzukommen und das Bild zu betrachten, welches von allen für ein großes Kunstwerk geschätzt werde. Der König kam zurück und betrachtete es eine Weile, dann ging er wieder fort und sagte: »Es mag wohl viel Verdienst haben, aber es ist nicht angenehm.« Die meisten Bilder des Leonardo haben auch wirklich etwas Eigenes, das nicht gefällt, z.B. seine »Carità«, wo eine Frau sich bückt und drei Kinder von der Erde aufnimmt. Ich habe Menschen gesehen, denen es nicht gefallen wollte. Die Frau mit den mageren Armen und dem gelben Kolorit hat nichts Schönes. Der Künstler hat mit Schattentönen gerundet, man kann aber auch mit Farbe runden; das nebelige Blaue fernt mehr als das dunkle. Ist man ein Kenner der Menschen und betrachtet dieses Gesicht, so sieht man in den Augen das mitleidende Herz, wie gern sie hilft und beisteht und wie sie mit dem Blicke der Liebe beklagt, nicht in dem Maße wohltun zu können, als sie wünscht! In einem anderen Bilde von Leonardo, ich sah es zu Rom, es sind zwei weibliche Figuren, »Die Eitelkeit und die Tugend«, welch ein Ausdruck im Gesichte der ersteren! Die Tugend tritt zu ihr und sagt, daß etwas Höheres sei als eitler Schmuck. Leonardo kannte die Menschencharaktere und war ein großer Physiognom. Ich sah auch viele Karikaturen von ihm, die er in üppiger Laune mit der Feder gezeichnet hatte, alle geistvoll, manche Bewunderung, andere Lachen erregend. Eine besondere Zeichnung der Art, einen Kopf in Lebensgröße, hatte ein Maler in Rom. Das Gesicht war nach einem pöbelhaften Schimpfworte zusammengesetzt; man hört es oft in Rom, wenn man einen Menschen ohne Kraft schimpfen will, sogar von Damen! Hamilton bot einst eine große Summe dafür, ich glaube hundert Karolinen, aber der Besitzer forderte tausend, und so verschwenderisch sonst die Engländer für Kunstsachen sind,[220] so erlaubte er sich doch nicht, so viel für eine etwas obszöne Zeichnung zu geben.

Ich besuchte nachher die Ambrosianische Bibliothek noch einmal. Ein Fremder, der den Bibliothekar kannte, führte mich zu ihm, und dieser, ein äußerst gefälliger Mann, gab sich viel Mühe, uns alles vorzulegen, was uns besonders interessierte. Zuerst sahen wir viele große Foliobände von Leonardo da Vincis Hand. Alles war verkehrt von der Rechten zur Linken geschrieben, die Buchstaben rein und deutlich, und auf vielen Blättern hatte er mit der Feder Zeichnungen beigefügt von allerlei Maschinen, die er erfand, für Wasserbau, Festungswerke, Kanonengießereien und vieles andere.

Man muß erstaunen, was der Mann alles wußte, wie tätig und fleißig und in wie vielen Künsten er Meister war! Zu bedauern ist es, daß er uns nichts von seinen chemischen Kenntnissen hinterließ, wie er z.B. seine Farben machte und wie er sie behandelte; denn die Farben auf seinen Bildern haben sich vor anderen jener Zeit am besten erhalten. Was man Gedrucktes hierüber von ihm hat, daraus ist wenig zu entnehmen. Auch hatte er in jenen Manuskripten allerlei Bemerkungen an den Rand geschrieben; so stand auf einem Blatte: »Mein Bedienter Francesco hat mir meinen Silberstift gestohlen.« – Wir besahen hierauf noch viele Bände mit Originalzeichnungen von anderen großen Meistern. Auf dem vordersten Blatte war eine Liste von den darin befindlichen Zeichnungen, darunter auch einige von Raffael und mehreren der größten Meister, aber wir fanden sie nicht mehr, die Blätter waren samt den Zeichnungen ausgeschnitten.

Der fremde Herr gab sich für einen Kenner aus und hatte auch einige Kenntnis. Wenn nun eine Zeichnung kam, worauf kein Name stand, so sagte er ganz bestimmt, von wem sie sei; dann freute sich der Bibliothekar und meinte, es sei auch für den Nichtkenner gut, wenn der Name sogleich[221] dazugeschrieben würde. Der Fremde ließ sich nicht lange bitten, seine Weisheit schriftlich von sich zu geben, und forderte Tinte. Da stand nun unglücklicherweise ein Tintenfaß mit einer Feder, die sehr grob schrieb, die nahm er und schrieb auf jede Zeichnung den Namen hin, welchen er für den rechten hielt. Nun kam ein Blatt von Albrecht Dürer, nach welchem der bekannte Kupferstich gemacht ist, wo Gott der Vater den Christus, seinen Sohn, tot auf dem Schoße liegen hat. Diese Zeichnung war überaus schön und mit dem gewöhnlichen Fleiße des Dürer ausgeführt, und sie war so groß wie das Blatt vom Buche, ohne Rand. Ich war soeben in meiner Freude über die bestimmten Formen, welche mit markigem Federzuge hingeschrieben waren, wo jeder Zug mit Gefühl und Ausdruck von der ersten Eingebung geleitet worden war, wo der lebende Geist, mit dem es der Künstler empfand, noch durchaus darauf schwebte, und ich überzeugte mich hier so recht, wieviel mehr Geist in der Zeichnung sei als in dem Kupferstiche, bei dessen mechanischer, langsamer Arbeit das Feuer so leicht erkaltet, als in diesem Augenblicke jener Kunstkenner so schnell, daß ich es nicht mehr verhindern konnte, mit der groben Feder mitten auf den Leib Christi schrieb: »Alberto Durero.« Es wurde mir dabei zumute, als sähe ich einen Menschen dem Albrecht Dürer einen tödlichen Stich versetzen! Die Italiener nennen ihn übrigens Durero, weil sie glauben, er habe seinen Namen von duro, und geben auch jedem harten Bilde den Namen Durero. – Wie sorgfältig bewahren doch die Holländer dagegen ihre Bilder! Beim Besehen der Zeichnungen ziehen sie weiße Handschuhe an, und niemand darf indessen rauchen oder eine Prise dabei nehmen.

Bei einem Kunstliebhaber, der auch selbst Versuche in der Malerei gemacht, aber es darin nicht weit gebracht hatte, sah ich gleichfalls eine Sammlung von Handzeichnungen, worunter viele schätzbare Stücke waren. Nur schade, er[222] hatte in einige selbst hineingezeichnet, um ihnen mehr Ausführung zu geben, und ihnen dadurch das Geistige und die Originalität benommen. Hier waren ebenfalls verschiedene von Leonardo da Vinci. Überhaupt war mir in Mailand vorzüglich darum zu tun, Werke von diesem Meister zu sehen, und ich überzeugte mich immer mehr, daß er vor allen anderen die Kunst verstanden hatte, der Form die reinste Kontur zu geben, und daß eben darum ein angehender Künstler seine Werke studieren müsse, doch nicht zuviel! Wie noch Größeres würden Leonardo und seine Schüler geleistet haben, wenn sie die Schönheit der griechischen Formen gekannt hätten, besonders die schönen Gesichter und die großen Charakterköpfe, so wie sie nachher bekanntgeworden sind durch den Kardinal Alexander Albano, Winckelmann und Mengs. Seit dieser Zeit kennt man erst die Schönheit; gefällige Köpfe sah man von jenen, aber keine von hoher Schönheit, so wie in den Antiken. Von solchen Männern möchte ich den Kopf der Niobe, den Apoll, die Juno, den Jupiter gezeichnet sehen!

Nachher besuchte ich auch verschiedene Künstler, unter anderen den Herrn Knoller, der eben an einem großen Altarbilde für seine Landsleute, die Tiroler, arbeitete. Man sah da den offenen Himmel mit unzähligen Heiligen. Er hatte viel Phantasie und eine große Praktik im Pinsel und war ein äußerst artiger und gefälliger Mann. Sein Atelier war voller Arbeiten, aber seine Manier war sehr flüchtig, und er klagte selbst, daß er sich diese der geringen Preise wegen habe angewöhnen müssen. Ich besuchte auch die Professoren der Akademie. Diese fand ich aber gar nicht aufgeheitert, sondern vielmehr niedergeschlagen und zum Teil müßig. Sie beklagten sich, daß sie keine Käufer für ihre Werke fänden und daß keine Liebhaber für die Kunst da wären. Doch wurden sie wieder aufgemuntert, als sie sahen, daß ich so viel Eifer zeigte, indem ich bei ihnen um die Erlaubnis bat, mit auf der Akademie nach dem Leben zeichnen[223] zu dürfen. Sie erwiderten, daß sie schon seit Jahren dort nicht mehr gezeichnet hätten, indes wollten sie nun in meiner Gesellschaft wieder anfangen. Dies geschah auch. Den Montagabend waren die meisten versammelt, und sie taten mir die Ehre an, daß ich selbst das Modell stellen sollte. Ich weigerte mich lange, aber ich mußte es annehmen. Von meinem Freunde Trippel hatte ich das Aktstellen ziemlich gelernt, denn der war darin ein Meister ohnegleichen. Ich gab dem Modell erst verschiedene Stellungen, wovon ich wußte, daß die Hauptteile des Körpers sich vorteilhaft zeigen und eine schöne Figur machen würden: sitzend, dann liegend, von vorn, dann eine in heftiger Bewegung, dann einige von hinten. Nachdem ich so mancherlei Versuche gemacht hatte, stellte ich es aufrecht gerade von vorn, den einen Arm von innen, den anderen etwas gebogen von außen zu sehen; dann fragte ich, ob sie damit zufrieden wären. Sie sagten alle ja. Ich hätte höflicher sein und eine leichtere, sitzende Stellung wählen sollen, aber ich tat es wegen meiner selbst. Ich wollte die stehende Figur zeichnen, welche das schwerste ist, um zu sehen, wieviel ich verlernt hätte, seitdem ich nicht nach dem Nackten gezeichnet hatte. An einer aufrecht stehenden Figur kann man sehen, ob einer zeichnen kann und was er versteht. Überhaupt muß man bei dem Aktzeichnen auf die zufällige, momentane Bewegung achtgeben. Wenn sich das Modell regt, kommen die Teile zum Vorschein, die man in der Ruhe nicht gewahr wird. Viele verlangen, daß das Modell stillstehe oder sitze, damit sie es genau abkopieren können; das muß man aber nicht. Das Modell ist nur eine Hilfe, wodurch man die Figur, welche man in der Imagination hat, vollenden kann. Man muß oft dem Modelle sagen, daß es sich bewege, damit man sieht, woher der Muskel komme oder wie die Knochen der Gelenke sich bewegen. – Ihre Akademie war übrigens gut eingerichtet, besonders für die Klasse der Handwerker, welche in Verzierungen arbeiten.[224] Sie hatten Modelle in Gips, auch Abgüsse von den meisten antiken Verzierungen, aus ganz Italien zusammengesucht. Ich habe auch Leute gekannt, die sich hier gebildet hatten und ganz vortreffliche Arbeiten machten.

Den Tier- und Landschaftsmaler Herrn Londonio besuchte ich auch. Bei dem sah es sonderbar aus! In seinem Hause fand man das Hirtenleben im kleinen. Er hatte allerlei Modelle, Schäferhütten von Binsen, Schilf und Stroh, allerlei Gerätschaften der Schäfer, auch alte bemooste Baumstämme und Äste, Steine und Wurzeln, die er gebrauchte und natürlich mit Schatten und Licht in seinen Bildern anbrachte. Auch sah man bei ihm viele Studien nach der Natur: Ochsen, Pferde, Kälber, Schafe usw. Besonders gut waren einige Figuren nach dem Leben gemalt: alte Hirten und Knaben und Mädchen, worauf er sich auch viel einbildete und sagte: »Um das zu können, habe ich lange Studien gemacht, in der Sixtinischen Kapelle nach Michelangelo gezeichnet und die ganze Kuppel des Correggio in Parma kopiert; ohne dies würde man's nicht so malen können wie ich.« In der Tat waren seine Sachen kräftig und markig. Er war ein geistiger alter Mann, der mir sehr gefiel, mit Enthusiasmus und Liebe über seine Kunst sprach und ein stilles Schäferleben führte. Ich glaubte eine lebendige Idylle zu sehen. Um sein Haus waren Gärten, und schon das Äußere zeigte daher einen ländlichen Sitz. Es schienen hier Philemon und Baucis zu wohnen, er selbst ein fröhlicher Alter, sie ein gutmütiges Mütterchen. In dem friedsamen Hause wohnte inniges Ergötzen an der Natur. Er zeigte mir noch die Hütte, die er gebraucht hatte, als er sein Bild »Die Verkündigung der Hirten« malte, Modelle von Engeln schwebten darüber, und Schafe und andere Tiere standen herum. Er habe alles stehen lassen, sagte er, weil es ihm noch immer Freude machte. Angelica Kauffmann hatte verschiedene Sachen, welche von Londonio nach der Natur gemalt waren, kopiert und behielt sie immer für sich. Sie[225] zeigte sie mir einst und sprach mit vielem Lobe über seine Verdienste. Seine Tiere waren nicht immer in Proportion, die Köpfe oft zu groß. Das kam vielleicht daher, weil er die Köpfe, welche er als Studien gemacht hatte und die meistens in Lebensgröße waren, dann bei ganzen Tieren auf seinen Bildern anbrachte. So geschieht es wohl, daß der Kopf zum übrigen Tiere nicht paßt, weil man das eine zuviel im Auge hat, ohne das Ganze zu übersehen. Von seinen Kupferstichen, die er selbst radiert hatte, ließ er einige auf blaues und braunes Papier drucken und höhte sie dann mit weißer Farbe, so daß sie zum Teil eine schöne Wirkung taten.

Als ich das erstemal in Mailand war, besuchte ich auch das Haus des Grafen Firmian. Damals stand der Graf mit Geist und schönem Sinn unter seinen vortrefflichen Kunstwerken, die mit Geschmack geordnet waren. Während der Zeit, daß ich in Zürich mich aufhielt, war er gestorben. Ich sah es, wie seinen Tod Füßli beweinte, mit dem er freundschaftlichen Briefwechsel unterhielt und der ihm öfters Kunstsachen schickte, wogegen der Graf ihm mäzenatische Geschenke machte. Wie ganz anders sah es jetzt in diesem Hause aus, da er fehlte! Alles lag wüst durcheinander; die Bilder waren von der Wand abgenommen, zum Teil schon verkauft, und in der Bibliothek welch ein Chaos! Die Bücher lagen haufenweis auf der Erde umher und die Kisten daneben, in denen sie hierhin und dorthin versandt werden sollten. So ward das schöne Ganze getrennt, das mit so vieler Mühe zusammengebracht worden war. Die Kupferstiche kaufte nachher der König von Neapel für 7000 Scudi; die besten seiner Bilder hatte er gut verteilt in Vermächtnissen, damit sie an Stellen kämen, die ihrer würdig wären. Oft war ich erstaunt über die vielen schönen Gebäude und Paläste der Stadt; besonders sieht man schöne Höfe mit Kolonnaden von Granitsäulen, die leicht hier zu haben sind, weil man Granitgebirge in der Nähe hat. Auch bemerkte[226] ich an den Gebäuden häufig Zierate von gebrannter Erde, eine Sache, die man in Gebrauch bringen sollte, wo Marmor oder andere Steine, die sich zu Zieraten verarbeiten lassen, selten sind, wo aber guter Ton ist, der gebrannt an der Luft sich hält. Auch ist es nicht so kostbar, in Ton zu formen als in Stein, der zum Bearbeiten viele Zeit erfordert. Dergleichen Ornamente fand ich z.B. an der Kirche delle Grazie und an dem Krankenhause, dessen ovale Fenster mit Kränzen von gebranntem Ton dem Gebäude eine schöne Zierde gaben. Die Alten haben das viel in Gebrauch gehabt. Ich habe Fragmente von antiken Tempeln gesehen, aus den ältesten Zeiten, die sich noch sehr gut erhalten haben, sowohl Figuren wie auch Zierate, und sie sind fast dauerhafter als Marmor. Man sieht dies an den griechischen Gefäßen von gebrannter Erde, die man in Gräbern findet; einige sind so unversehrt, als kämen sie eben aus dem Ofen.

Die Einwohner von Mailand sind bekanntlich gutmütige Menschen. Davon habe ich selbst viele Erfahrungen gemacht. Ich wollte mir ein Logis mieten und wurde von dem Sekretär des Grafen Wilzeck in ein Haus geführt, wo ein solches war. Als ich es besehen hatte, fand ich es mir nicht passend und wollte es nicht. Der Hausherr aber sagte, ich müsse bei ihm wohnen, er verlange keine Bezahlung; er liebe die Deutschen so sehr, daß er sich eine Freude daraus mache, wenn ich bei ihm wohnen, essen und trinken wolle. Sogleich führte er mich in die Speisekammer und zeigte mir den Vorrat von Eßwaren, Kapaunen und allerlei Geflügel. »Seht«, sagte er, »wir leben gut, und Ihr sollt mit uns leben.« Dann führte er mich tiefer ins Souterrain. »Hier sitzen wir an der Tafel, wenn es Sommer ist, und fühlen keine Hitze, das Wasser weht uns Kühlung zu.« Das Gewölbe hatte einen weiten Bogen, vielleicht, um Waren aus dem Schiffe gleich hier auszuladen. Der große Kanal floß dicht am Hause vorbei und hatte viele Schleusen und[227] Wehre. Gerade vor einer Öffnung der Halle stürzte sich das Wasser von der Höhe über ein Wehr herunter mit donnerndem Getöse und brauste in Schaum und Wellen auf. Es war ein schönes Schauspiel, und der Mann wußte nicht genug zu rühmen, wie angenehm es wäre, hier in den Sommertagen die Stunden der Hitze zuzubringen und dem Leben des eilenden Wassers zuzusehen.

Mailand war von jeher seiner schönen Frauengestalten wegen berühmt. In Monza, wo der Erzherzog einen Ball gab, waren wohl die hübschesten Frauen versammelt, die ich in Italien gesehen habe, ihre Farbe schöner als irgendwo, die Gesichter von voller, runder Form. Besonders zeichneten sich zwei junge Prinzessinnen aus, deren Köpfe fast die hohe idealische Schönheit der Griechen erreichten. Auch im Hause des Herrn Casanova sah ich schöne Gesichter; man hatte mir zu Gefallen einige Male die schönste Jugend in der Abendkonversation versammelt. So gaben sie am Neujahrsabend ein Fest, wo nur schöne Damen und ausgezeichnete Männer eingeladen waren. Da nahm ich auch Abschied von diesen vortrefflichen Menschen, die mir den Aufenthalt in Mailand so angenehm gemacht hatten. Ich reiste nach Lodi zu einem Freunde, den ich in Mailand kennenlernte und der eine schöne Sammlung Bilder besaß, besonders Schlachten von Bourguignon, die ich nie schöner gesehen habe. Diese Stücke begründeten auch Bourguignons Ruf, daß er die lebhaftesten und feurigsten Schlachten male.

Meine Reise ging nach Parma. Ehe man dahin kommt, muß man auf einer Fähre über einen Fluß setzen. Es waren eben viele Menschen versammelt, die alle hinüber wollten. Das Wasser war so seicht, daß die Fähre nicht so dicht ans Ufer konnte, man mußte, um einsteigen zu können, eine Strecke durchwaten oder sich von Männern auf den Schultern hintragen lassen. Da gab es denn viele Szenen zum Lachen. Besonders komisch kam mir ein Mann vor, der wie zu einer weiten Reise mit Stock und Degen bewaffnet, mit Stiefeln[228] und Sporen einem Menschen auf der Schulter saß. Dabei machte der Ritter eine so ängstliche Miene wie ein Feiger, der in die Schlacht reitet. – Mein erster Gang in Parma war zu dem weltberühmten Bilde von Correggio, der sogenannten »Madonna di S. Girolamo e Maddalena«. Es läßt sich nichts darüber sagen; alle Beschreibung reicht nicht hin, von der Vortrefflichkeit und dem Glanze des Kolorits, von der Freundlichkeit der Köpfe und der Grazie, welche in den Figuren herrscht, eine deutliche Idee zu geben. Das muß man selbst sehen! Und man hat ja außerdem schon viele Beschreibungen davon. Zu welcher Größe stieg in kurzer Zeit die Malerei! Zu Leonardo da Vincis Gemälden muß man sich hinbiegen, Correggios aber kommen einem entgegen und springen hervor. Hier sah ich noch mehrere Bilder von Correggio und anderen berühmten Malern. – In Bologna, der Stadt der vielen Bilder, besuchte ich alle Kirchen und Bildergalerien; auch in Florenz besah ich alles, was zu den vorzüglichsten Kunstschätzen zu rechnen ist.

Dann begann ich die Reise über die Apenninen, und als ich den Tag über die wunderbaren großen Massen von Gebirgen und Tälern mit Erstaunen betrachtet hatte, kam ich am Abend auf einer Höhe an, wo ein Kapuzinerkloster war. Der Vetturino wollte hier übernachten und sagte mir, wenn ich mir die Zeit zu verkürzen wünschte, so möchte ich zu den Fratres in den Konvent gehen; die würden sich freuen, einen Besuch zu haben. Ich ging hinein. Es war kalt, und die Fratres saßen auf Bänken um ein Feuer, wo große Stämme loderten. Ich wurde sehr freundlich aufgenommen und mußte mich zwischen die braune Gesellschaft setzen, die zahlreich war und bei den leuchtenden Flammen sich wunderbar ausnahm. Es schien ihnen angenehm zu sein, sich mit einem Fremden unterhalten zu können, besonders fragten sie viel nach dem Könige von Preußen, Friedrich. Den stellten sie sich als einen riesenmäßigen Mann von großer Stärke und Wildheit vor. Da ich vom Vergnügen[229] sprach, das ich im Fahren über die abwechselnden Gegenstände dieser Gebirge gehabt hätte, versprachen sie mir, wenn ich im Sommer zu ihnen käme und einige Zeit bleiben könnte, mich herumzuführen und mir die schöne Umgegend zu zeigen. Bei hellem Mondschein führte mich einer hinaus auf hohe Hügel, von denen man eine ferne Aussicht hatte. Da im Mondschein alles größer erscheint, so sah man die an sich schon großen Gebirge noch größer, und die Phantasie hatte es leicht, sich alles nach Gefallen zu bilden.

Den anderen Morgen, noch ehe der Tag graute, fuhr ich weiter, und es zeigten sich mir wieder die vielen fremdartigen Gegenden. Oft stellte ich mir dabei die Wildnis in Afrika vor mit den Bewohnern, Löwen und Tigern. Gegen Mittag, als die Sonne so recht heiß schien und ich eben auf einer Anhöhe hielt, kam aus der Ferne ein Mann hergeschritten, in türkischer Kleidung, mit dem Bunde auf dem Kopfe, einen Mantel umgeschlagen und mit nackten Beinen. Dem folgten noch zwei andere, ebenso gekleidet. Dann kam ein Wagen mit Männern in orientalischer Kleidung; es war der marokkanische Gesandte mit seinem Gefolge, welcher nach Wien reiste. Wenn ein Maler diese Gegend von wirklich afrikanischem Ansehen hätte malen und sie mit passenden Figuren beleben wollen, so würde er keinen schicklicheren Vorfall haben finden können. Ich erkannte hier dankbarlich, wie günstig mir mein guter Genius war, daß er Landschaft und Staffage mich in dieser Vollkommenheit sehen ließ. Die marokkanischen Männer haben eine gelbe, blasse, fast grünliche Gesichtsfarbe, was ihnen bei den weiß-gelblichen Mänteln, welche wie Schals umgeworfen werden, und bei dem schwarzen Barte ein kränkliches Ansehen gibt.

Quelle:
Tischbein, Heinrich Wilhelm: Aus meinem Leben. Berlin 1956, S. 206-230.
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