5.

Mein Herz ist voll von Trauer, o holde Morgenluft!

Durch dich ist mein Geruchsinn durchwürzt mit süssem Duft.

Sag', eil'st du früh vorüber an einer Rosenflur,

Der Rose und Cypresse von mir dies Wörtchen nur:

»Schweig' von der Schönheit, Rose, vor Seinem Angesicht:

Nicht kann auf Goldstoff sticken, wer grobe Matten flicht;

Und du, Cypresse, prahle nicht mit dem hohen Bau:

Du träfst bei Seinem Wuchse die Grenze nicht genau.«

Komm, Schenke, denn erschienen ist nun die Frühlingszeit,

Zum Trotze dem, der immer nur übt Enthaltsamkeit,

Geniess' mit zarten Schönen den erg'wanfarben Wein,

So lang dir die Geschicke die Kraft dazu verleih'n;

Versperre Sittenrichtern zu deinem Ohr die Bahn;

Was ficht dich ein Ermahner, ein Kanzelredner an?

Sagt doch im Hain der Sprosser dir ohne Unterlass:

»Lass, wenn die Rosen blühen, nicht aus der Hand das Glas!«[507]

Erkenne was die Rose dir bietet an Genuss,

Und Wein zu trinken bleibe dein festester Entschluss!

Sei auf der Hut! Es schwindet schnell die Gelegenheit,

Und nach und nach entfliehet die kurze Wonnezeit:

D'rum folge dem, was rathend dir nun Hafis gebot,

Und leere Weinpocale! Allwissend ist nur Gott.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 505-509.
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