6.

Wer in die Welt, die wirre, hat seinen Fuss gesetzt,

Hinab in eine Grube muss steigen er zuletzt.

Die Welt ist eine Brücke: in's Jenseits läuft sie aus,

Ein Ort des Unbestandes, ein ödes, wüstes Haus.

Misstraue dieser Brücke voll Schrecken und voll Grau'n;

Bereite dich zur Reise, hier ist kein Haus zu bau'n.

Dies Köschk von kurzer Dauer ist – wie der Weise spricht –

Ganz einer Wüste ähnlich, nur Schätze birgt es nicht.

Der Wahrheit Perle bohrten die Männer von Verstand,

Die dieses Wohngebäude ein Gasthaus nur genannt.

Zieh' weiter, denn man siedelt sich nicht im Gasthaus an;

Zieh' weiter, denn man weilet nicht auf der Erdenbahn.

Verlange nicht nach Gelde und Würden dieser Welt:

Die Würde ist ein Brunnen und Schlangen gleicht das Geld.

Ich nehme an, du ständest so hoch wie Bēhrămgjūr,

So fällst du doch am Ende in's Netz der Grube nur.[511]

Bist du kein Blinder – sagt' ich – sieh auf die Grube hin,

Und handle immer – sagt' ich – mit vorsichtsvollem Sinn!

Entgehen konnte Keiner noch diesem Aufenthalt,

War Bettler oder König, war jung er oder alt.

Der du vorbei einst wandelst an mir mit stolzem Sinn,

Hafis wünscht ein Gebetlein: so bete denn für ihn!

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 509-513.
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