35.

Durch den Strich, den auf die Rosenwange

Du dir ziehest zart und fein,

Zieh'st du einen Strich durch's Blatt der Rose,

So wie durch den Rosenhain.

Meine Thräne, die verborgen weilet

In des Auges stillem Haus,

Zieh'st du nun durch siebenfache Schleier

Auf den off'nen Markt heraus.

Durch der Locken Duft zieh'st du den Trägen,

Einem Morgenlüftchen gleich,

Immer wie in Ketten und in Banden

In der Thätigkeit Bereich.

In Erinn'rung an's berauschte Auge

Und die Lippe roth wie Wein,

Zieh'st du immer aus der stillen Klause

In die Schenke mich hinein.

»Festgebunden sei an deinen Riemen

Stets mein Haupt!« sprachst du zu mir,

Leicht ist dieses, ziehst du nur die Bürde

Dieser Mühe erst nach dir.

Ob vor deinem Aug' und deiner Braue

Ich mein Herz wohl retten kann?

O des Bogens den du zieh'st und spannest

Straff auf mich, den kranken Mann!

Kehre wieder! denn von deiner Wange

Wend' ich ab den bösen Blick,

Frische Rose! doch von mir, dem Dorne,

Zieh'st du ja den Saum zurück.

Was von allen Gütern dieser Erde

Forderst, o Hafis, du noch?

Wein verkostend, zieh'st du freundlich spielend

An des Holden Locke doch.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 99-101.
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