36.

Nun, wer bringt vom Herzensräuber

Mir ein Schmeichelbriefchen her?

Wo verweilt der Ost, der Bote?

Ist wohl so gefällig er?

Nimmer klag' ich; doch des Freundes

Wolke der Erbarmung hat

Keinen Tropfen noch gethauet

Auf der durst'gen Herzen Saat.

Des Verstandes Rath erwog ich

Auf dem Weg den Liebe nimmt,

Fand, dem Nachtthau sei er ähnlich

Der im Ocean verschwimmt.

Komm, denn wenn auch stets, als Stiftung,

Meine Kutt' in Schenken ruht,

Lautet doch auf meinen Namen

Keine Drachme Stiftungsgut.

Wesshalb man kein Zuckerröhrchen

Für den Kauf des Mannes beut,

Der aus seinem Schreibe-Rohre

Hundertfältig Zucker streut?

Gleissnerei und Falschheit riefen

Ekel schon in mir hervor:

Komm, denn meine Fahne pflanz' ich

Offen auf der Schenke Thor.

Nimmer kennt der Arzt am Wege

Was der Schmerz der Liebe sei,

Todtes Herz, geh', ruf' mir einen

Mit Messias' Hauch herbei!

Das Warum und Wie besprechen,

Herz, nur Kopfweh macht dir das:

Ruh' ein wenig aus vom Leben,

Doch erst greife nach dem Glas![103]

Komm, denn die die Zeit begreifen

Tauschen beider Welten Hort

Um ein Glas voll reinen Weines

Und um eines Götzen Wort.

Eine Dauer des Genusses

Kennt die Liebe leider nicht:

Fühle – bist du Meinesgleichen –

Wie des Grames Fliete sticht!

Nichts besitzt Hafis, o König,

Was entspräche deiner Macht,

Als nur Wünsche früh am Morgen,

Und Gebete in der Nacht.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 101-105.
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