58.

Lustwandelst du, gleich der Cipresse,

Ein Weilchen nur im Rosenhain,

So drückt, aus Neid auf deine Wange,

Sich jede Rose Dorne ein.

Ein jeder Ring ist in Verwirrung

Durch deiner Locke Ketzerei;

In jedem Winkel weilt ein Kranker,

Durch deines Auges Zauberei.

Entschlumm're, trunk'nes Aug' des Freundes,

Gleich meinem Glücke nicht; denn ach,

Es folget dir von jeder Seite

Der Seufzer eines Wachen nach.

Die Baarschaft meiner Seele werde

Auf deines Weges Staub gestreut,

Obwohl der Seele Baarschaft nimmer

Sich eines Werth's bei dir erfreut.

Mein Herz, o denke nicht beständig

An holder Schönen Lockenhaar,

Denn bei so finsteren Gedanken

Stellt sich nichts Heiteres dir dar.

Mein Haupt verlor ich, und zu Ende

Ging diese Sache nimmer doch:

Ergriffen ist mein Herz, doch kümmert

Dich der Ergriff'ne nimmer noch!

»Begib dich in des Kreises Mitte,

Gleich einem Punct!« rief ich Ihm zu;

Doch: »O Hafis, – sprach Er mit Lachen –

In welchem Zirkel lebest du?«

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 171-173.
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