57.

Du, der Alles schon besitzet,

Was man auf der Welt begehrt!

Grämt dich wohl der Menschen Lage

Deren Kraft sich aufgezehrt?

Heisch' vom Diener Herz und Seele,

Nimm sie beide schnell ihm ab,

Weil ja Gott selbst freien Häuptern

Zu gebieten Macht dir gab.

Du besitzest keine Mitte,

Desshalb wundert es mich sehr

Wie du denn die Mitte haltest

Mitten in der Schönen Heer?

Keine Malerei entweihe

Je dein weisses Angesicht,

Wo das Schwarz des Moschusflaumes

Ergawane zart durchbricht.

Trinke immer Wein, du Zarter,

Denn du bist ein leichter Geist,

Vollends in dem Augenblicke

Wo dein Haupt sich schwer erweist.

Tadle doch mein Herz nicht immer,

Quäl' es nicht, lass es in Ruh'!

Nein, behandl' es nach Belieben:

Hast ja doch das Recht dazu.

Deines Bogens Unglückspfeile,

Hunderttausend an der Zahl,

Auf mich wunden Mann zu schnellen

Steht in deiner freien Wahl.

Dulde stets mit frohem Muthe

Deiner Wächter Tirannei:

Alles wird dir leicht erscheinen

Liebt ein Freund dich heiss und treu.[169]

Ward dir der Genuss des Freundes

Auch nur kurze Zeit gewährt,

Geh', denn du besitzest Alles

Was man auf der Welt begehrt.

Thu'st du freundliche Erwähnung

Seiner Lippe von Rubin,

Hast du ein gar süsses Mährchen

Mitten in dem Munde d'rin.

Trägst, Hafis, aus diesem Garten

Rosen du im Saum davon,

Nun, was kümmert dich des Gärntners

Wehgeschrei und Klageton?

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 167-171.
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