60.

Weil dir in der Welt der Schönheit

Alles heut' nach Wunsche geht,

Gib denn du auch, durch die Lippe,

Das, warum die Liebe fleht.

Bis wie lang wirst du noch spröde

Gegen die Verliebten sein,

Und die armen Herzberaubten

Grausam der Verachtung weih'n?

Soll ich länger krank noch bleiben,

Ähnlich deinem Augenpaar?

Länger Kraft und Ruh' entbehren,

Ähnlich deinem Lockenhaar?

Welchen Schmerz du mir bereitest,

Wie du hart verfährst mit mir,

Ahntest du es im Geringsten,

Ganz gewiss erbarmt' ich dir.

Grosse Capitale sammle

Wer zu lieben hat den Muth:

Herzen, brennend wie das Feuer,

Augen, strömend wie die Fluth.

Stets getrennt war ich geblieben; –

Sieh, da schickt die Morgenluft

Mir aus deiner Liebe Garten

Einer Hoffnung süssen Duft.

Wenn mich auch der Liebe Hoffnung

Neu belebt bei'm Weltgericht,

So erhebt sich, aus Beschämung,

Doch mein Haupt vom Boden nicht.

Hat vom Weine deiner Liebe

Nur ein Schlückchen mich erfreut,

Thue ich, so lang ich lebe,

Nicht was Nüchternheit gebeut.[177]

Nur ein Knecht und schwach nur bin ich.

Herr und mächtig nennt man dich:

Magst du nun mich an dich ziehen

Oder schmählich tödten mich!

Mitleid flösse dir Hafisen's

Jammervolle Lage ein:

Soll er länger noch verzweifeln,

Länger noch verachtet sein?

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 175-179.
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