68.

Ich küsse Seine Lippe

Und trinke fröhlich Wein,

Und schlug somit die Strasse

Zum Lebenswasser ein.

Wie mein Geheimniss laute

Kann Keinem ich vertrau'n,

Noch kann ich and're Menschen

An Seiner Seite schau'n.

Das Glas küsst Seine Lippe,

Und trinket Blut dafür;

Die Rose schaut Sein Antlitz,

Und Schweiss entträufet ihr.

Die Einsamkeit verlassend,

Thront sie im Garten nun:

Der Frömmelei entsage

Auch du, wie Knospen thun!

Vergiss auf Dschem, und reiche

Mir einen Becher Wein!

Wer kann es wohl ergründen

Wo Dschem und Këj nur sei'n?

Nimm in die Hand die Harfe,

Mond aller Sänger du!

Und ritze ihr die Ader:

Ich stöhne dann dazu.

Berauscht, gleich Seinem Auge,

Soll kein Betrunk'ner sein;

D'rum, seines Mund's gedenkend,

Gib mir, o Schenke, Wein!

Es will von jenem Leibe

Nicht trennen sich der Geist,

Weil ihm das Blut des Glases

In allen Adern kreist.[197]

Lässt erst der Morgenvogel

Ertönen sein Hu, Hu,

Hei, hei! dann leg' den Becher

Nicht aus den Händen du.

Mach' dir, Hafis, das Schweigen

Ein Weilchen nur zur Pflicht,

Und höre wie die Flöte

Auch ohne Zunge spricht!

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 195-199.
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