116.

Mitten im Gebete dacht' ich

An dein krummes Brauenpaar

Und es kam so weit, dass Klagen

Angestimmt der Betaltar.

Ford're nicht Geduld des Herzens,

Ford're Einsicht nicht von mir:

Jener Gleichmuth, den du schautest,

Ward ein Spiel der Winde hier.

Und der Wein ist klar, und trunken

Ist der Wiese Vogel jetzt;

Es erschien die Zeit der Liebe

Und die That ist festgesetzt.

Alles Treiben dieser Erde

Haucht mich an mit gutem Duft,

Und die Rose brachte Freude,

Freudig kam die Morgenluft.

Tugendbraut, das Schicksal stimme

Nicht zu Klagen dich und Gram:

Schmücke deiner Schönheit Kammer,

Denn es kam der Bräutigam!

Jedes Pflanzenmädchen pranget

Mit gar köstlichem Geschmeid':

Doch mein Liebchen kam mit Reizen,

Wie sie Gott allein verleiht.

Jeder Baum seufzt unter Lasten,

Trägt er Früchte doch und Ast;

O der glücklichen Zipresse!

Frei ist sie von Kummerslast.

Sänger, aus Hafisens Liedern

Singe uns ein zartes Lied,

Dass ich sage: »Mich gemahnt es

An die frohe Zeit, die schied.«

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 603-605.
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