39.

Klage, Sprosser! schenkst du anders

Deine Freundschaft mir;

Klage ziemt uns, denn ein Pärchen

Liebender sind wir.

Wo ein Duft aus Freundeslocken

Wehet durch den Hain,

Kann da von tatar'schem Moschus

Noch die Rede sein?

Bringe Wein, auf dass wir färben

Der Verstellung Kleid!

Stolz berauscht uns, und man rühmet

Uns're Nüchternheit.

Deiner Locke Bild zu denken

Fällt dem Blöden schwer:

Denn es wandelt ja in Ketten

Nur der Schelm einher.

Eine tief verborg'ne Anmuth

Weckt der Liebe Traum,

Nicht ein Mund, roth wie Rubine,

Nicht ein grüner Flaum.

Schönheit liegt wohl nicht im Auge,

Nicht im Maal und Haar,

Nein, in tausend zarten Dingen,

Die die Huld gebar.

Nicht die Hälfte eines Körnchens

Gibt der Kālĕndēr

Für das Atlaskleid des Mannes,

Ist er tugendleer.

Bis zu deiner Schwelle dringet

Man nur mühsam vor:

Ja, zum Himmel ird'scher Grösse

Klimmt man schwer empor.[145]

Morgens sah ich mich im Schlummer

Hochbeglückt durch Ihn;

Schöner Schlummer, jedem Wachen

Bist du vorzuzieh'n!

Was ich durch den Freund gelitten,

Ging zu End'; allein

Der Beginn der Kälte – fürcht' ich –

Wird dies Ende sein.

Quäl' Ihn nicht durch stäte Klagen,

O Hafis, und ende sie:

Ew'ge Freiheit hat errungen,

Wer die Menschen quälte nie.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 143-147.
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