20.

Es hält dem Seelenangesichte

Mein Körperstaub den Schleier vor;

O Wonne, heb' ich einst den Schleier

Von diesem Angesicht empor!

Und da für mich, den holden Sänger,

Kein solcher Käfig passen kann,

Eil' ich – ein Vöglein jener Wiese –

In's Rosenfeld hin zu Rĭswān.

Warum ich kam, wo ich gewesen,

Nicht klar erfasste es mein Sinn:

O Schmerz, dass ich in eig'nen Dingen

So ganz und gar unwissend bin!

Wie sollte pilgernd ich umkreisen

Die weite Flur der heil'gen Welt,

Da meinen Leib im Erdenhäuschen

An Brettern man befestigt hält?

Ich, der den Schauplatz nur der Huris

Für meine Heimath anerkannt,

Soll nun den Gau der wüsten Zecher

Betrachten als mein Vaterland?

Wenn aus dem Blute meines Herzens

Des Moschus süsse Düfte weh'n,

So staune nicht: verwandt durch Leiden

Bin ich dem Rehe von Chŏtēn.

Sieh auf das gold'ne Stickwerk nimmer

Das reich mir ziert des Hemdes Rand,

Denn innerhalb des Hemdes nähr' ich,

Der Kerze gleich, geheimen Brand.

O komm und nimm Hafisen's Leben,

Wie sich's vor ihm entfaltet, hin,

Denn Niemand hört, bist du am Leben,

Das kühne Wort von mir: Ich bin.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 257-259.
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