22.

Als der Zeit ganz angemessen

Seh' ich's gegenwärtig an

Nach der Schenke auszuwandern,

Und da froh zu weilen dann.

Nur ein Buch und eine Flasche

Sei dort freundlich mir gesellt,

Dass ich listige Genossen

Nie erblicke auf der Welt.

Nach dem Weinpocale greifend,

Such ich Heuchlern fern zu sein,

Wähle nämlich mir hienieden

Nur ein reines Herz allein.

In befleckter Kutte prahlte

Gar zu sehr mit Tugend ich,

Schäme d'rum vor Schenkenwangen

Und vor färb'gem Weine mich.

Alle werd' ich überragen,

Frei wie der Zipressenbaum,

Glückt es mir von Weltgelüsten

Abzuziehen meinen Saum.

Unbild deckt mein Herz mit Staube;

Doch, o Gott, gestatte nicht

Dass sich je mein Spiegel trübe,

Der da glänzt wie Sonnenlicht.

Viel zu eng' ist ja mein Busen

Um zu tragen Seinen Schmerz;

Nicht gewachsen solcher Bürde

Ist mein gramerfülltes Herz.

Sei ich Zecher in der Schenke,

Sei ich in der Stadt Hafis,

Bin die Waar' ich die du schauest;

Und noch schlechter überdies.

Beim Ăssāf steh' ich in Diensten:

Mich zu kränken hüte dich!

Denn, wenn ich ein Wort nur spreche,

Rächt er selbst am Himmel mich.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 263-265.
Lizenz:
Kategorien: