70.

Ich versprach dem Holden, dass, so lange

Seel' und Leib in mir vereinigt blieben,

Ich die Freunde seines theuren Gaues

Wie die eig'ne Seele würde lieben.

Freuden, die ich einsam still geniesse,

Hat mir jenes Licht Tschĭgīl's gewähret;

Augenschimmer so wie Herzenshelle

Hat mir jener Mond Chŏtēns bescheret.

Da ich nun, nach Wunsch und Lust des Herzens,

Die ersehnte Einsamkeit errungen,

Acht' ich's nicht, wenn in des Haufens Mitte,

Mich verläumden böse Lästerzungen.

Wenn auf mich auch hundert Heere Schöner

Hinterlistig einen Angriff wagen,

Preis' ich Gott; mir wurde ja ein Götze

Der im Stand ist jedes Heer zu schlagen.

Neider! Schliess' heut Nacht um Gotteswillen

Deine Augen nur für Eine Stunde,

Denn zu sprechen hab' ich hundert Worte

Insgeheim mit Seinem stummen Munde.

Wenn ich Seines Glückes Rosengarten

Froh durchwandle, dann, Gottlob, vermisse

Ich die Tulpe und die weisse Rose

Und das zarte Blatt nicht der Narcisse.

Kluger Greis, du darfst mir nicht verwehren

In der Schenke fürder einzusprechen,

Denn mein Herz, entsagt' ich dem Pocale,

Würde schmählich die Verträge brechen.

Wein besitz' ich, den man leicht verdauet,

Einen Freund, der einem Bilde gleichet;

Traun, kein Sterblicher ist im Besitze

Eines Freund's, der an den Meinen reichet![385]

Ein Zipressenbaum schmückt meine Wohnung,

Und in seines hohen Wuchses Schatten

Kann des Hain's Zipresse ich entbehren

Und des Buchses auf den grünen Matten.

Mir gebührt's, durch Sein Rubinensiegel,

Eine Macht wie Salomon zu üben:

Im Besitz des allergrössten Namens

Kann kein Ahriman die Lust mir trüben.

Zwar berüchtigt ist Hafis als Zecher,

Er, der mässig pflegte sonst zu leben;

Doch was fürcht' ich? Ward mir ja hienieden

Ein Ěmīněddīn Hăssān gegeben.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 383-387.
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