Der Wälschen ihr [350] Perche, der Lateiner ihr Quare, und der Deutschen ihr Warum wird allhier in Kürze beantwortet.

Warum hat unser lieber Herr den Judas Iscarioth in seine apostolische Versammlung als ein Mitglied an-und aufgenommen, da er doch hat vorgesehen, dieser werde ein Erz-Schelm werden? Ich antworte dir, Philosophiae Magister, SS. Theologiae Doctor, J.U. Candidate, etc. verzeihe mir's, wann ich etwann in deinem Titular-Buch nicht recht hab' umgeschlagen, welches die Minerva mit ihren subtilen und zarten Brätzlein in Cicero-Schrift selbst verfasset. Dir als einem Verständigen antworte ich mit den Worten des englischen Lehrers Thomä Aquinatis. Cur Dominus Judam, quem casurum[351] sciebat, elegit in Apostolum? ego, inquit, duodecim elegi, et unus ex vobis Diabolus est. Respondi, quaestionem istam esse unam de illis, quas intuens Apostolus reverenti silentio, praeteriens honoravit, exclamans: O altitudo divitiarum sapientiae, et scientiae Dei, etc.! Hoc unum scimus, quod in Juda non causavit Deus improbam voluntatem perditionis sceleratae inesse malitiae. Attamen ipse hac maculata voluntate bene usus est, tanquam Dei sapientia, attgens à fine usque ad finem fortiter, et disponens omnia suaviter. Tom. 2. serm. ad Eccle. cautelam. Wann euch dieser Spruch euren witzigen Verstand noch nicht begnüget, so höret, was der große[352] Kirchenlehrer, der hl. Hieronym. sagt I. 3. contra Pelag. c. 2. ad c.6 Joan. Interrogo Christum, cur Judam elegerit proditorem, cur ei loculos commiserit, quem furem esse non ignorabat? Vis audire rationem. Deus praesentia judicat, non futura: neque condemnat ex praescientia, quem noverit talem fore, qui sibi posteà displiceat. Sed tantae bonitatis est, ut eligat eum, quem interim bonum cernit, et scit malum futurum, dans ei potestatem conversionis et poenitentiae. Der heilige und große Kirchenlehrer Augustinus, als mein hl. Vater, gehet noch kürzer durch in Beantwortung dieses Warum, sprechend: Lib. de Civit. cap. 49. Habuit Christus inter Apostolos unum, quo malo utens bene, et suae passioni dispositum impleret et ecclesiae suae tolerandorum malorum praeberet exemplum. Der hl. Kirchenlehrer [353] Ambrosius gibt dem Warum eine andere Antwort: Lib. de Paradiso c. 8. Venerat Dominus Jesus, omnes salvos facere peccatores, etiam circa ompios ostendere debuit suam voluntatem, et ideo nec proditurum debuit praeterire, ut velo beneficio dei revocaretur a proditionis affectu. Deus, quem praevidet peccaturum et in peccato suo moriturum, huic beneficia solet conferre, ut eum a peccato, et ab aeterna damnatione retrahat, ne ipse Domino detrahat, quod media sufficientissima ad salutem ei non praebuerit.

Dieß seynd lauter Beantwortungen, welche ohne Zweifel – massen sie von so hocherleuchten Lehrern herrühren – denen Witzigen und Schrifterfahrenen ein Begnügen leisten werden. Daß ich aber solche nicht ins Deutsche übersetze, ist die Ursach, weilen etwann dieses[354] geringe Buch möchte auch von der Weiber Händ' oder anderen, bei denen die Doctrin und Wissenschaft nicht groß, durchblättert werden, und nachmals eine Kleinmüthigkeit, unnöthige Scrupel, auch schädliche Irrungen entstehen kunnten. Du, mein Leser insgemein, sey von dem heil. Geist selbst gewarnet, daß du dich mit vielen Warum nicht sollst abmatten, noch denen unermeßlichen Urthlen Gottes gar zu sehr nachforschen. Was dir zu hoch ist, das suche nicht, und was dir zu stark ist, dem forsche nit nach: sondern gedenke allzeit daran, was dir Gott befohlen hat und sey nit fürwitzig in vielen seinen Werken; denn verborgene Ding' mit denen Augen zu sehen, ist dir unvonnöthen; Altiora te ne quaesieris.

Thales Milesius, ein vortrefflicher Weltweiser, ging einst bei kühler Abends-Zeit spazieren, und im währenden Gehen beschnarchte er mitgähnen dem Maul den Himmel, sagte auch bei sich selbsten also: Schau, da ist der mittere Himmels-Zirkul, wodurch die Sonn' stets mit feurigen Pferden durchpostirt. Dort ist das Zeichen der Waag; wer darunter geboren wird, der schickt sich zu einem Advokaten, so ein Liebhaber der Gerechtigkeit seyn solle. Siehe, dort ist der Stern Venus genannt! welcher solches Gestirn in seiner Geburt[355] hat, der schickt sich zu der Keuschheit, wie eine Sichel in ein Messer-Gesteck. An demselben Ort ist der Planet Merkurius: wer dorten auf die Welt kommt, aus dem kann man hauptsächlich einen Kaufmann schnitzlen, denn er wird dem Teufel ein Ohr abschwören, dieß seye ein engelländisches Tüchlein, wann es schon zu Lion in Frankreich zu Haus ist. Alldorten ist das Gestirn, so insgemein Ursa minor, der kleinere Bär, benamset wird; unter diesem Zeichen ist besser Nägel abschneiden als Ohren, dann solche nit mehr nachwachsen, wie die Krebs-Scheeren! – Indem er nun mit erhebten Augen gegen Himmel stets in dieser Betrachtung fortgangen, ist er ungefähr gestolpert und in eine tiefe Kothlache hinein gefallen, daß die Brühe ober seiner zusammen geschlagen. Das war ein seltsamer Haas im Pfeffer! Nachdem er den Kopf aus dem wüsten Saubad in die Höhe gehebt, hört er noch zu seinem Spott ein altes Weibel, welcher die Nasen behängt war mit einem wilden Krystall, wie zur Winters-Zeit die Strohdächer mit Eiszapfen, welche ihn mit ihrem unbewaffneten Mundstuck dergestalten ausgehöhnt, daß, wofern sie vorhero keinen hohen Rucken hätte gehabt, sie sich leicht zu bucklet gelacht. O Narr! hat's geheißen, was willst du dich viel in die obrige Ding vergaffen, siehest du doch nicht, was vor deiner! Altiora te ne quaesieris.

Du nasenwitziger Bruder Curios; du übermüthige Schwester Vorwitza, verdienst fast gleiches Prädikat[356] und schlechten Preis-Namen, wann du so frech die oberen göttliche Geheimnisse und Gottes unermäßliche Werk unterstehest durchzugrüblen! Ei du spitzfindiger Erdschrollen, weißt du doch dasjenige nit, was vor deiner ist, und mußt in vielen natürlichen Dingen dein eselsüchtiges Nescio hören lassen. Weißt du, warum das Feuer oder die Sonne den Koth hart mache, entgegen einen Pechschrollen erweiche? Nescio, ich weiß nicht. Weißt du, warum das Feuer einen Stein zu einem weißen Kalk brennet, entgegen ein Holz zu schwarzen Kohlen? Nescio, ich weißt nicht. Weißt du, warum, wann man einen Holder über sich schället, gesotten eingenommen, über sich brechen macht, so man ihn aber herab bricht, unter sich laxiret? Nescio, ich weiß nit. Weißt du, warum ein Löw' einen Gogl-Hahn förcht, und nicht einen Wolf oder Tieger? Nescio, ich weiß nit. Weißt du, warum ein Magnetstein Eisen zieht und nit ein Holz, so viel leichter ist? Nescio, ich weiß nicht. Weißt du, warum das Fischl Remora, so nit größer dann ein Platteissel, kann ein großes Schiff mit tausend Zentnern mitten im Meer arrestiren? Nescio, ich weiß nit. Weißt du, warum der Esel die Ohren hängt, wann er als ein vierfüßiger Astrologus vermerkt, daß denselbigen[357] Tag ein Regenwetter wird einfallen? Nescio, ich weiß nit. O wann dein Verstand also öd' und blöd ist, daß er natürliche Sachen nit kann ergründen, warum willst du dann die unnatürlichen und göttlichen Urtheil anatomiren? Gott hat gewußt von Ewigkeit her, daß, wann er den Adam werde erschaffen, so werde solcher sich sammt dem ganzen menschlichen Geschlecht ins ewige Verderben stürzen, und hat ihn dannoch erschaffen. Gott hat von Ewigkeit hero vorgesehen, daß, wann er den Judam Iscarioth in sein apostolisches Kollegium werde aufnehmen, so werde ihn solcher meineidiger Weis' den Feinden übergeben; hat ihn dannoch aufgenommen. Frage nicht Warum, mein Mensch; Gott weiß schon die Ursach, und ist diese so gerecht, als Gott selber ist, ob schon solche unser verdunkleter Witz nicht kann fassen. Ohne Willen Gottes des Allmächtigen geschieht nichts, nichts, nichts, und sein Will' kann nicht irren, so wenig als Gott fehlen kann. Nunquid iniquitas apud Deum? absit. Rom. 9.

Joannes Colganus in dem Leben des heil. Fridianus beschreibt eine wunderliche Straf' eines Vorwitzigen. Erstermeldter Heiliger hatte einst dem heil. Mann Columba ein Buch geliehen, welches dieser bei nächtlicher Weil' in der Kirchen abgeschrieben ohne Beihilf' eines Lichts, weilen seine Finger lauter brennende[358] Facklen scheinten. Gleich zur selben Zeit wollte ein Discipul des heil. Fridiani das Buch von Columba wieder zurück begehren; findet aber, daß sich der hl. Columba in der Kirchen verschlossen. Schaut demnach durch ein kleines Loch oder offne Klumsen hinein, verwundert sich höchlich über den seltsamen Glanz seiner Finger, welches seinen Vorwitz noch mehr angespornt, daß er länger durch das Loch hineinguckt, der Hoffnung, er werde noch andere dergleichen Wunderding' erwarten. Aber der Allerhöchste hat diesen unnöthigen Vorwitz gar artlich gestrafet: massen eben dazumalen eine Kräh (dieser Vogel ist dem Raben nit viel ungleich) in der Kirchen war, welche ohnedas ganz heimlich in dem Kloster herum geflogen. Dieser Vogel, aus Befehl Gottes, schleicht ganz still zu der Kirchen-Thür', beckt unversehens zu dem Loch hinaus, und haut auf einmal dem vorwitzigen Frater ein Aug aus. Dieser arme Tropf hat alsbald mit einem Aug besser, als vorhero mit zwei Augen gesehen, daß er nit hätte sollen vorwitzig seyn.

Wann durch Schickung Gottes ein jeder sollt' ein Aug' verlieren, welcher vorwitziger Weis nicht durch eine Kirchen-Thür', sondern gar durch die Himmels-Thür' hinein schaut, und Achtung gibt, was Gott für geheime Urtheil in seinem göttlichen Konsistorio verborgen, –[359] o wie viel wären einäugige Menschen! wie viel hätten nur ein Fenster im obern Zimmer! wie viel gab es gute Schützen, welche nicht mehr nöthig hätten ein Aug' zuzuschließen, wann sie zielen und abdrucken! Denn was find't man mehr, als solche vorwitzige, nasenwitzige, überwitzige Adams-Kinder, die immerzu das Warum im Maul herum tragen, wie ein Pudelhund den Prügel. Solchen aber gib' ich keinen andern Bescheid, als da geben hat Christus der Herr dem Petro, da solcher aus Vorwitz wissen wollte, was künftig mit Joanne, der auf des Herrn Brust in dem letzten Abendmahl gelegen, geschehen werde: Quid ad te? Was gehts dich an? sagte der Heiland. Wann du, mein lebendiger Leimschrollen, fragst, warum Gott den Jakob schon in Mutterleib gehasset? warum hat Gott die Gnade geben dem rechten Schächer Dismas, welcher ein so großer Bösewicht war, wie sein Mitgespann der Gesmas? gleichwohl jener durch die Barmherzigkeit Gottes bekehrt, dieser durch die Gerechtigkeit Gottes verstockt geblieben? Quid ad te? Was gehts dich an? wer bist du, daß du mit Gott rechten sollest? Spricht dann auch ein Werk zu dem, der es gemacht; warum hast mich also ge macht? hat der Hafner nit Macht, aus einem Leimbatzen zu machen ein Gefäß zu den Ehren, und das andere zu den Unehren? Ist dann nit Gott der vollmächtigste Herr über seine Gnaden, welche er nach[360] seiner beliebigen Maß kann austheilen? Wann jemand ewig verloren wird, so hat das die Gerechtigkeit Gottes gethan; wann jemand ewig selig wird, so hat das die Barmherzigkeit Gottes gethan; beedes aber geschieht mittels deiner guten und bösen Werke, welche dein freier Will' gebähret. Der aber etwas Gutes wirket, der wirkt es nit ohne Gott, der etwas Böses wirket, der wirkt es ohne Gott. Aber laß du lieber solches unnöthiges Warum unterwegs, sondern gedenke, daß gleich wie du das große grundlose Meer, nicht kannst schütten in ein kleines Grüb'l, mit einer Hand die große Weltkugel nicht kannst überspannen: also auch kannst du die Urthel Gottes mit deinem wurmstichigen Verstand nit ergründen! Du bist nur ein blinder Maulwurf auf dieser Welt, du kannst nicht sehen, noch verstehen, was Gott thut. Sprich lieber mit dem hl. Paulo: O altitudo divitiarum, etc. O wie eine Tiefe des Reichthums bei der Weisheit und Erkenntnuß Gottes! wie unbegreiflich seynd seine Gericht und wie unerforschlich seynd seine Weg'! dann wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Rathgeber gewesen?

Wann einer fünfzig Jahr' Gott dem Allmächtigen ganz inbrünstig gedient bis in sein Todbett, allzeit heilig, außer in der letzten Viertl Stund läßt ihn Gott fallen, ein anderer ist 50 Jahr ein lasterhafter Bösewicht, in seinem Sterbstündlein aber hat er die Gnad' von Gott, daß er sich bekehret; – dieß ist zwar selten geschehen, da es aber noch sollte geschehen, so thue du dessentwegen den Allmächtigen keiner Ungerechtigkeit beschuldigen, sondern sprich mit dem gekrönten Harfenisten[361] David: Justus es Domine, et rectum judicium tuum: Herr du bist gerecht, und dein Gericht ist recht.

Warum ist Gott nit ehender auf die Welt kommen, und selbige mit seiner heiligisten Lehr' von denen Irrthümern gezogen? warum erst vier tausend Jahr nach dem Fall des Adams? Quid ad te? Was gehts dich an? Sag' lieber: Herr du bist gerecht!

Warum läßt Gott so viel hundert tausend Seelen dem höllischen Raub-Vogel, da er doch konnte alle selig machen? Quid ad te? Was gehts dich an? Sprich' lieber: Herr du bist gerecht!

Warum läßt Gott viel verdammt werden, durch dero Hilf' und Lehr' viel seynd selig worden? Quid ad te? Was geht das dich an? Wiederhol' lieber: Herr du bist gerecht!

Warum hat Gott die Menschen erlöst, und nit die Engel nach ihrer Sünd, in dem ihre englische Natur unsere menschliche weit überwiegt? Quid ad te? Was gehts dich an? Schreie lieber auf: Justus es Domine: Herr du bist gerecht!

Warum läßt Gott so viel irrigen Glauben, bethörte Irrthümer, teuflische Ketzereien, falsche Lehrer zu, da ers doch könnt' wenden? Quid ad te? Was geht dich das an? Ist viel besser, du singst mit dem David: Herr du bist gerecht!

Warum hat Gott den Judas zu einem Apostel, zu einem Jünger, zu einem Lehrer, zu einem Priester,[362] zu einem Wunderwerkwirker erkiesen, da er doch hat vorgesehen, dieser wird ein Dieb, ein Partitenmacher, ein Mameluk, ein Geizhals, ein Verräther, sein selbst eigener Henker und mit einem Wort ein Erz-Schelm werden? Quid ad te? Was geht dich das an? sey du fein fromm und heilig, bitte Gott um die Beständigkeit, im Uebrigen laß fahren dein nasenwitziges Warum?

Quelle:
Abraham a Sancta Clara: Judas der Erzschelm für ehrliche Leutߣ. Sämmtliche Werke, Passau 1834–1836, Band 1, S. 350-363.
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