[Nun mag ich nicht mehr leben]

[140] Nun mag ich nicht mehr leben/

Mit dir/ o Eitelkeit/

Noch deinem Dienst ergeben

Die Blütte meiner Zeit.

Der Welt geschmückte Pracht

Hat über meine Sinnen

Hinfüro keine Macht.


Was ist vor Lust auff Erden

Die sich befinde frey

Von Wechsel und Beschwerden/

Und sonder Galle sey?

Offt muß uns in der Hand

Zu Gifft und Wermutt werden

Der süsste Zucker-Cand.


Der Ehre Dunst muß schwinden/

Ein Zufall raubt das Gutt/

Der Freund ist falsch zu finden/

Das Alter schwächt den Mutt/

Der Liebe Glutt wird Eiß/

Wenn Uberdruß und Eyffer

Sich einzuspielen weiß.


Auff helles Sonnen-scheinen

Folgt trübe Regens-Zeit/

Wir schlüssen offt mit Weinen

Die beste Fröligkeit/

Eh wir sie recht gekost/

Entgeht uns aus den Händen

Die angenehmste Lust.


Vergnügen bringt dem Hertzen

Wenn man bey Freunden kan/

Mit Lachen/ Reden/ Schertzen/

Die Stunden legen an/

Wenn wir vonsammen ziehn

Und sich Gesellschafft scheidet/

Bleibt Trauren der Gewinn.[141]


Was bringt uns nicht vor Schmertzen

Der eiteln Liebe Macht/

Wenn man nach unserm Hertzen

Mit falschen Blicken tracht/

Die Freyheit von uns jagt/

Mit Sorgen und mit Hoffen

Die krancke Seele plagt.


Wohl dem/ der so kan leben

In dieser Eitelkeit/

Daß er ihr nicht ergeben

Die Blütte seiner Zeit/

Der mitten in der Welt

Die Freyheit seiner Sinnen

Zum Eigenthum behält.


Wer/ mit sich selbst zufrieden/

Der Tugend strebet nach/

Und/ von der Welt geschieden/

Nicht fühlt ihr Ungemach/

Ansiehet ihre Lust/

Ihr aber nicht ergiebet

Die ungezwungne Brust.


Wer ohn den Zwang der Mauren

In stiller Ruhe lebt/

Sein Hertze/ sonder Trauren/

Von dieser Erd erhebt/

Und an die Eitelkeit

Der Menschen ungebunden/

Beschlüsset seine Zeit.


Er kan vergnügt genüssen

Was ihm das Glücke günnt/

Sein Schiffgen ruhig wissen

Von Wetter/ Sturm und Wind.

Es gehe wie es will/

Die Freyheit der Gedancken

Ist sein vergnügtes Ziel.[142]


O edles Freyheits-Leben/

Voll Freud und Süßigkeit/

Dir will ich übergeben

Die Blütte meiner Zeit/

Zwar weltlich in der Welt/

Doch ohn die Welt zu leben

So lang es GOTT gefällt.


Quelle:
Hans Aßmann von Abschatz: Poetische Übersetzungen und Gedichte. Bern 1970, 4, S. 140-143.
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