Die beyden Pilger

[1] Schon dämmerte es im Thale – nur auf den hohen Zinnen der Gebirge schimmerte noch der Wiederschein der Abendröthe im lichten Purpurglanz – – endlich erlosch auch er, und immer dichter webte sich die Hülle der Nacht.

Da wandelte Ritter Burckhardt von Unspunnen einsam unter den hohen Linden auf und nieder, die vor seiner Burg schon seit Jahrhunderten grünten, und trübe Gedanken beschäftigten unstät und wechselnd seinen Sinn. Bald starrte er finster zur Erde, als hoffe er aus ihrem Schooße hervorkeimen zu sehn, was sein sehnendes Herz vermißte – bald erhob er den Blick in die dunklen Wipfel der Bäume, die über ihm rauschten und säuselten. Sie waren Zeuge seines vergangenen Glücks gewesen, so wie seines jetzigen Schmerzes, und leise Seufzer des Mitleids dünkten ihm oft ihre flüsternden Zweige entgegen zu hauchen. Trat er hervor aus dem schwarzen Gewölbe ihrer Schatten, und der Himmel, von blitzenden Gestirnen durchwebt, spannte den azurnen[1] Teppich heiter über ihn aus, dann regte sich der Hoffnung sanftes Beben in seinem Herzen, und selige Träume von Wiedersehn verklärten die Schwermuth, die seit so lange schon wie ein Nebel, düster auf seiner Seele ruhte.

So verlohr er, in die innere Welt seiner Empfindungen vertieft, auch jetzt die Wirklichkeit aus den Augen, und fühlte sich von einer Bewegung des Schreckens ergriffen, als plötzlich eine klangvolle männliche Stimme ihn anredete, und zwei Pilger, streng verhüllt in härene Gewänder, mit Muscheln geschmückt, und den Hut tief ins Gesicht gezogen, im Schimmer des aufgehenden Mondes vor ihm standen.

Gelobt sey Jesus Christus! sprach der eine, und wie ein zartes Echo den Wohllaut anmuthiger Töne leise verdoppelt, so wiederholte schüchtern der zweite Pilgrim den Gruß seines Gefährten. – In Ewigkeit, Amen! erwiederte Ritter Burkhardt, sich fassend. Woher des Weges, lieben Leute, und wo gedenkt Ihr hin so spät in der Nacht? Wollt Ihr in meiner Burg der Ruhe pflegen nach mühevoller Wanderschaft, so tretet herein und erquickt Euch mit Speise und Trank, und genießt des Schlummers unter meinem Dache.

Ihr kommt unsern Bitten gütig zuvor, edler Herr, sprach der größere der Pilger.

Weit aus der Ferne führt uns die Pflicht her, durch eine fromme Wallfahrt ein Gelübde unserer Eltern zu lösen, und nicht auf ebenen Pfaden hat der heutige schwüle Tag uns über das schroffe Gebirge[2] geleitet. Besonders war mein Bruder, jünger und schwächer, wie ich, nahe daran, der Ermüdung zu unterliegen, als Eure Burg, einladend im Strahl des Mondes, uns winkte. So gönnet uns denn ein Nachtlager unter Eurem gastfreien Dache, daß wir neu gestärkt, morgen, wenn die heilige Frühe dämmert, weiter ziehen können.

Folgt mir, sprach Burkhardt von Unspunnen, indem er voran ging, den Dienern zu ihrer Bewirthung Befehle zu ertheilen. Schweigend schritten die Jünglinge hinter ihm her, und als sie eintraten in den hochgewölbten Saal, und der Kerzen helles Licht sie gleich einer Glorie umspielte, überraschte neben der ersten Blüthe des jugendlichen Alters die blendende Schönheit ihrer edlen, feinen Züge den Ritter, doch mehr noch eine gewisse Hoheit und Würde in allem, was sie thaten, die als das Kennzeichen einer nicht gemeinen Abkunft sich offenbarte. Die dunkelbraunen, strahlenden Augen des älteren Pilgers sprachen wie die Erinnerung einer längst verklungenen seligen Zeit zu seinem Herzen, und wenn er den Blick abwandte, fühlte er ihn schnell unwillkührlich zu der geheimnißvollen Tiefe zurückgezogen, in die ihr Anschauen sein Gemüth versenkte.

Eben so, mit diesen von zarter Milde gedämpften Flammen hatte die blühende Gattin in den Tagen seiner Jugend ihn angeblickt – mit diesem Lächeln ihn oft begrüßt, wenn er heim kam aus dem Gewühl der Schlachten, oder beladen mit der Beute der Jagd. – Ach – diese seelenvolle Anmuth ging als ein Erbtheil über auf die einzige Tochter, die sie[3] ihm hinterließ – – doch nur in Traumbildern schwebte die schon seit zwanzig Jahren entschwundene Gestalt derselben vor seiner Seele, wenn väterliche Sehnsucht ihr Andenken schmerzhaft in ihm erneuerte.

Sie setzten sich zum Mahle, aber die Rede stockte – trüber Ernst und schwermuthvolles Sinnen hielt den Mund des Wirths, und Theilnahme an seinem unverkennbaren Gram die Lippen der Gäste verschlossen, bis der Becher kreißte, und der edle Saft der Reben einen leichten Anschein von Heiterkeit in ihr finsteres Schweigen mischte.

Wohl ist es kühn, sprach der ältere Pilger, daß ich Fremdling es wage, nach der Trauer zu forschen, die gleich einem dunklen Gewölk auf Dir lastet; aber allzusichtbar sind ihre Spuren Deinen blaßen Wangen und Deinen lebensmüden Augen eingeprägt, als daß sie mir hätten entgehen können. Verzeihe daher, Herr! wenn Antheil und Verehrung, nicht das Streben jugendlicher Neubegierde mich drängt, Dich zu fragen, warum Du so allein hausest in diesen Hallen? warum keine Familie ihren liebenden Kreis um Dich schließt, und welch ein Leiden es ist, das – dem Schein nach vor der Zeit – Dein Haar gebleicht, und Furchen des Kummers in Dein Antlitz gegraben hat?

Guter Jüngling, versetzte der Ritter, was würde es Dir frommen, die Geschichte der Schmerzen zu kennen, die unverdienter Weise mich einem öden, einsamen Grabe entgegen führen. Denn noch stehst Du im lächlenden Frühling der Jahre, wo das ganze Leben nur als Zukunft still verschleiert vor uns[4] liegt, und wo keine Vergangenheit mit dumpfem Nachhall an unwiederbringlich verlohrene Freuden mahnt. Daher verschließe, so lange Du kannst, Dein Ohr der jammervollen Erfahrung, daß auch das Festeste, Heiligste, was die Natur mit ehrnen Banden an unser Innerstes schmiedete, sich feindselig von uns los reißt, wenn Leidenschaften, gleich Irrlichtern, den Sinn von der Bahn des Rechten in dunkele, bodenlose Ferne verlocken.

So suchte Ritter Burkhardt die Bitte des Pilgers zurück zu weisen; doch das dringende Verlangen desselben bestritt zärtlich flehend jede seiner Weigerungen. Der Ton seiner Stimme, der wie die verhallte Melodie eines einst besessenen Glücks süße Reminiscenzen in seinem Andenken erweckte, bestach ihn mächtig zum Vortheil des Fremdlings, und drang unwiderstehlich in sein lange verschlossenes Herz, es dem Vertrauen zu öffnen.

So vernimm denn, sprach er, was wie ein giftiger Wurm am Mark meines Lebens nagt, und wenn auch Dich einst das Loos der Menschheit ergreift, das so oft die Hoffnungen und Freuden unseres Daseyns vernichtet, so erinnere Dich dann meines Schicksals, und finde Trost in dem Gedanken, daß Du schwerlich unglücklicher werden kannst, als ich.

Ihr seht mich freilich jetzt so einsam und verlassen da stehn, wie einen Baum, den der Ungestüm eines schweren Wetters seiner Krone beraubt, und bis in den tiefsten Grund seiner Wurzel erschüttert hat. Aber glaubt mir – einst strahlten auch mir freundliche Sterne, und ich fühlte mich reich im Bewußtseyn[5] meiner Kraft und der Gaben, die vom Himmel mir verliehen waren. Mächtige Vasallen unterstützten meinen starken Arm, und machten mich furchtbar den Feinden, welche Neid, und der Schutz, den ich stets der hülflosen Jugend gewährte, mir zugezogen hatten.

Ueberfluß für mich und die Armen der ganzen Gegend brachte mein reiches Gebiet hervor, das sich fruchtbar bis an den weit entlegenen Rand der Gletscher erstreckt, und das – ach – einst, wenn mein graues Haupt unbeweint in's Grab sinkt – das Erbe eines Fremden wird.

Auch der herrlichste Segen der Erde wurde mir zu Theil, ein Weib, das schön und tugendsam, schon im Gewande der Sterblichkeit den Engeln zu vergleichen war, die denn auch bald, ihre Verwandtschaft anerkennend, meinen Armen sie entzogen, um sie unter sich aufzunehmen. Nur ein glückliches Jahr weilte sie an meiner Seite, da schlief sie ein zum besseren Leben, und der Schmerz über ihren Verlust würde mich in dieselbe Gruft gestürzt haben, die sie aufnahm, hätte sie mir nicht in einer Tochter ihr Ebenbild, und zugleich die herbe Pflicht hinterlassen, um dieses Kindes willen zu leben.

Alle Liebe, die ich der Mutter gewidmet hatte, alle Sorgfalt, alle Hoffnungen künftiger Freuden trug ich auf die Kleine über, in der, je mehr sie heranwuchs, je anmuthiger die schöne Gestalt meiner Gattin als eine verjüngte Fortsetzung ihres zu früh erloschenen Daseyns sich entwickelte.

Deshalb glaubte ich in stolzem Wahn, nicht ihre[6] Schönheit allein, sondern auch ihre Tugenden würden durch die Kraft des letztens Segens auf sie über gegangen seyn. Zwar stand ich noch im Lenz des Jünglingsalters, und sehnte mich oft nach einer treuen, liebenden Gefährtin meiner Tage – zwar wurden die lieblichsten und sittsamsten Jungfrauen des Landes mir angetragen zu einer zweiten Ehe: aber ich konnte das Bild der Vergangenheit nicht austilgen in meiner Brust, und wenn auch oft in stillen nächtlichen Träumen meine verklärte Ida mir erschien, mitleidsvoll mich bittend, meinem Gram Gränzen zu setzen, und ihre Stelle bald würdig auszufüllen, so verscheuchte ein Blick auf meine Tochter jeden halb gereiften Entschluß wieder, und ich gelobte um ihrentwillen, einsam zu bleiben, indem ich hoffte, Kindesliebe und Kindestreue werde jegliches Opfer mir einst belohnen.

Doch diese Hoffnung war auf Sand gebaut, und schrecklich, schrecklich stürzte sie zusammen, als ich eben glaubte, sie erfüllt zu sehn. Wohl schmeichelte Ida, süß und kosend, jede Wolke von meiner Stirn – wohl pflegte sie mein in gesunden und in kranken Tagen mit aufmerksamer Sorgfalt – wohl schien ihr ganzes Bestreben nur dahin gerichtet zu seyn, meine Wünsche zu errathen, um ihnen zuvor zu kommen. Aber alles schwand einst wie eitel Trug und List, und diente nur dazu, mein Herz im rüstigen Mannesalter zu verwöhnen, damit es dann am späteren Lebensabend um so bitterer darbe und entbehre.

Durch tiefe Beleidigungen, die ich zwar gerächt, aber nicht verschmerzt hatte, war ich schon lange[7] mit Ruprecht, Freiherrn von Wädischwyl zerfallen, und ein finsterer Groll, den die geringste Veranlassung zum wüthenden Ausbruch lockte, glühte in seiner Brust, so wie in der meinen. Nicht mehr wagte er jedoch, den Fehdehandschuh mir hinzuwerfen, denn oft schon besiegt von mir und meinem gewaltigen Troß hatte er erfahren, daß ich der Mächtigere war; deshalb wählte er andere härtere Mittel, als Stahl und Eisen, um den Weg zu meinem wehrlosen Herzen zu finden.

Einst, von den Bewohnern des Hochgebirges aufgerufen, sie zu schirmen gegen feindlichen Ueberfall, kämpft' ich lange gegen die Schaaren Herzog Berchtolds von Zähringen, bis endlich die gerechte Sache siegte, und er ablassen mußte von seinem wüsten Begehren. Da bot er mir mit gleißnerischem Lächeln die Hand zur Versöhnung, und ich reichte ihm arglos die meine, nicht ahnend, daß Falschheit lausche unter so freundlichen Mienen.

Ehe Ihr heimzieht in Euere Burg, sprach er alsdann, so weilet einige Tage bei mir an meinem Hoflager, daß wir die Erinnerung an unseren gehabten Streit, wie den Streit selbst, ins Gold des Rheinweins versenken, das nach blutigem Kampf uns laben, und unsere Freundschaft stärken soll auf ewige Zeiten.

Ungern willigte ich ein, denn länger als ein Jahr war ich fern gewesen von den Hallen meiner Väter, und mächtig zog mich die Sehnsucht nach meiner Tochter in den Kreis der Heimath zurück – aber ich gab nothgedrungen nach, denn immer war ich[8] schwach, wenn sanfte Bitten sich mühten, meinen Sinn zu beugen, der stets eisern sich bewährte, wenn Gewalt und Trotz ihn zu unterjochen suchte.

Bald genug sah ich ein, daß ich besser paßte in das Gewühl der Schlachten, wo ein Mann etwas gilt, als unter das glatte Hofgesindel, das mich von jeher gemahnt hat, wie Schlangengezücht. Deutlich merkte ich, wie meine rauhe Sitte den abgeschliffenen Schranzen zu lachen gab. Doch der Herzog begegnete mir mit Achtung; das söhnte mich aus mit seiner Umgebung, die ich des Zornes nicht werth hielt, wenn ich bedachte, daß stets ein Schwarm niederer Insekten sich am Strahl der Sonne wärmt.

Als aber bald nach mir Ritter Ruprecht von Wädischwyl am Hoflager anlangte, mit Auszeichnung empfangen, und mir mehreremale gegenüber gesetzt wurde, da gab es böses Blut bei mir, denn ich mochte nicht mit dem Menschen aus einem Becher trinken, den ich haßte im Innersten meiner Seele.

Ich sagte daher dem Herzog Lebewohl – aber er wollte mich nicht ziehen lassen, ohne die Ursach meines schnellen Aufbruchs zu kennen, und ich gestand sie ihm offen, obgleich Ruprecht ihm zur Seite war.

Vereitelt nicht, wackerer Unspunnen, antwortete er, was ich mir so fröhlich ausgedacht hatte. Kein zufälliges Ohngefähr hat Euren Gegner hier an meinen Hof gebracht, sondern mein Wunsch, Euch mit einander zu versöhnen, hat ihn hierher gerufen. Gebt endlich die alte Zwietracht auf, und wenn mein Vorwort bei Euch gilt, so laßt mich werben um[9] Eure weltberühmte schöne Tochter für seinen einzigen Sohn, und löset so das unselige Gewirre Eures langen Unfriedens in feste Bande der Verwandtschaft auf.

Da flammte der Unwillen wie höllisches Feuer mir durch Mark und Gebein, und entrüstet rief ich aus: so sollt' ich meine köstlichste Perle in den Staub werfen? Nein, bei der Asche ihrer Mutter sey's geschworen, ehe ich sie mit der Brut meines Feindes vermähle, will ich lieber ihre Jugend unfruchtbar im klösterlichen Schleier welken sehen!

Eure Rede fordert Blut, unterbrach mich Ruprecht, doch des Herzogs Gegenwart hält mein Schwerdt in der Scheide, und die Zukunft wird mich an Euch rächen.

Traun! Ihr seyd kühn, Ritter Unspunnen, sprach der Herzog, und es dürfte Euch einst wohl noch gereuen, meinen Vorschlag so schnöde verworfen zu haben.

Wohl bin ich kühn, gnädigster Herr! antwortete ich, denn ich meine, so gut ich vor Gott frei die Wahrheit bekennen darf, darf ich es auch vor Fürsten. Allein da mein gerades Wesen Euch zu mißfallen scheint, so vergönnt, daß ich Abschied von Euch nehme, und hinziehe nach meinem Eigenthume, das nur zu lange schon meiner Obhut entbehret. – Es sey Euch unverwehrt, versetzte der Herzog und wandte sich kaltsinnig von mir.

Heiter schwang ich mich auf mein muthiges Roß, und athmete freier, als die fürstliche Burg weit hinter mir lag, und heimische Lüfte mir entgegen wehten.[10]

Doch bald – wehe mir! – erfuhr ich, daß des Herzogs Prophezeihung, die ich in Gedanken verlacht hatte, schreckbar in Erfüllung ging, denn noch heute da zwanzig Jahre seit dem Augenblicke verstrichen sind, wo er sie aussprach, noch heute bereue ich, daß mein tief eingewurzelter Haß mich abgeneigt zur Versöhnung mit Wädischwyl machte.

Als ich nun hier wieder einzog in den Sitz meiner Ahnen, befremdete mich die Todtenstille, die mich empfing. Wie ausgestorben war die Burg – nur meine Hunde sprangen mir liebkosend entgegen, meine Diener aber schienen sich mit scheuem Gewissen vor mir zu verstecken. Auch Ida nahte mir nicht, wie sonst, mich willkommen zu heißen, und vergebens rief ich sie so laut, daß die Wände vom Schall meiner Stimme erbebten, denn mein Herz hielt sich nicht länger, und meine heiße Sehnsucht lechzte nach ihrem Anblick. Endlich kam mein Burgvoigt herbei – ach – der gute Alte hatte mich nur deswegen vermieden, weil ihm grauete, durch seinen Bericht unermeßlichen Jammer auf mein Haupt zu häufen. Weh mir! weh noch einmahl, was mußt ich hören!

Den jungen Wädischwyl, Sohn meines Todtfeindes, hatte der Ruf von Idas Schönheit neugierig gemacht. Er umlauerte, lüstern nach ihrem Anblick, meine Burg, und gewahrte sie einst, als sie ausging, bei den Augustinerinnen in Interlachen Messe zu hören. Die heilige Stätte hielt das ruchlose Verlangen nicht im Zaum, das in ihm entbrannt war – er nahete sich meiner Tochter. Als ein glattzüngiger, einschmeichlender Bube wußte er den Weg zu ihrem[11] Ohr, und bald auch zu ihrem Herzen zu finden. Zwar wagte sie nicht, ihm gastlichen Eintritt über meine Schwelle zu gestatten, aber in den Klüften der Berge, und in dem Dunkel der Wälder begegnete sie ihm oft, bis sie endlich doch trotz des Abmahnens meines treuen Gesindes ihm auch vergönnte, innerhalb der Burg bei ihr einzusprechen.

Schwach ist das Herz eines Weibes, wenn Liebe es entzündet hat – schwach war auch Ida, und hörte nicht mehr auf die innere Stimme, die ihr mit meinem grimmigen Fluche drohte bei der vermessenen Wahl die sie getroffen. Und als der Verführer ihr vorspiegelte, eine schon unwiderruflich geschlossene Verbindung werde ich leichter verzeihen, als meine Einwilligung zu einer noch bevorstehenden geben, floh sie mit ihm aus der Freistätte jungfräulicher Zucht um sich auf ewig loszureißen von dem Herzen ihres trostlosen Vaters.

Der Schmerz dieser Erinnerung überwältigte den Ritter; Thränen perlten an seinen grauen Wimpern, und er bedurfte einiger Augenblicke, um Herr über die bittere Wehmuth zu werden, die sein Gemüth erfüllte.

Mein erstes Gefühl war Zorn, fuhr er nach einer langen Pause fort, die auch die gerührten Pilger mit keiner Sylbe zu unterbrechen wagten. Ich rief alle Strafen des Himmels herab auf die Schuldige, die ich gräßlich verwünschte, und rüstete mich und meine Vasallen, Rache zu nehmen an ihrem Entführer.

Aber auch diese letzte, traurige Genugthuung[12] ward mir vereitelt. Der Herzog schlug sich mit allen seinen Fahnen zu der Parthei meines Feindes – auf seinen Aufruf schlossen sich auch die Berner, das Verbrechen schirmend, an ihn an, und überwältigt von der Menge fühlten ich und die Meinigen unter blutigen Wunden, daß die Gerechtigkeit auf Erden eine feile Dirne ist, die den Sieg oft der Uebermacht, selten der guten Sache verleiht.

Dennoch erneuerte ich die Fehde wieder so oft ich mich erholt, und mit neuer Mannschaft gestärkt hatte, bis mich endlich des unnütz vergossenen Blutes jammerte, und ich heimzog, tief gekränkt, um still im Schlosse meiner Väter wie in einem Grabe, vor aller Welt mich zu verbergen. Keine Kunde von der Verlohrenen erreichte mich, denn streng hatte ich verboten, ihren Namen vor mir auszusprechen, bis endlich ein Zufall mir verkündete, sie sey mit ihrem Gatten gen Italien gezogen.

Seitdem lebt' ich allein, verzagend an der Menschheit und verzweiflend, meine Jahre hin. Doch bald erweichte das linde Wandeln der Zeit meinen erbitterten Sinn, und Sehnsucht, heißer wie ein Liebender nach der Verlobten sie empfindet, nagte schmerzlich an meinem Innern, und verlangte nach dem Wiedersehen meiner Ida. Oft, wenn ich in meiner trüben Einsamkeit nachsann über das Vergangene, widerrief ich, unter heißen Thränen der Reue, meinen Fluch, und bat Gott sammt allen Heiligen, den reichsten Segen über die Geliebte auszuschütten. – Aber ach, wer weiß, ob meine voreiligen Verwünschungen nicht furchtbar genug ihr[13] Haupt getroffen haben – ob sie nicht eben so elend, eben so verlassen, als ich, sich zurück wünscht an das Vaterherz, das nur für sie so liebend klopfte. Oder wer weiß, ob sie nicht schon längst den eisernen Todesschlaf schläft, denn einmal doch würde sie sonst wohl nachfragen, ob der alte Vater ihr nicht endlich verzeihen, und versöhnt sie an seine Brust drücken wolle. – –

Zwar – in den ersten Zeiten ihrer Flucht machte sie Versuche genug, meine Vergebung zu erlangen – aber ich hörte damals nur auf die Eingebungen meines Unwillens, nicht auf ihre flehenden Bitten – und als ich gestimmt war, sie endlich zu vernehmen – als ich mich geneigt fühlte, sie zu erhören, da verstummte sie, und überließ mich meinem Starrsinne, auf daß ich nicht nur der Trauer lähmendes Gewicht, sondern auch die Bitterkeit der Reue kennen lernen sollte.

Hätt' ich ihr verziehen, ach, so könnte ich mich jetzt vielleicht in blühenden Enkeln wieder aufleben sehn. Sie würden den Abend meines Lebens erheitern, den Schild meiner Väter führen, und mein Erbe einst besitzen, das jetzt Fremden zu Theil wird, wenn Miethlinge mein brechendes Auge geschlossen haben, und nur Thränen des Mitleids, nicht der kindlichen Zärtlichkeit mein einsames Todtenmaal benetzen.

Unverwandt, doch oft vom Thau der Wehmuth verdunkelt, weilte der Blick des älteren Pilgers während dieser Erzählung auf den gramerfüllten Zügen des Greises, doch länger ließ der Strom seiner Gefühle[14] sich nicht in's Innerste des Herzens zurück drängen. Er riß das Pilgerkleid auseinander, und siehe! ein braun gelockter Jüngling in Rittertracht war unter der täuschenden Hülle verborgen. Nieder warf er sich auf's Knie vor dem gebeugten Alten, und blickte mit Augen zu ihm auf, deren süße Macht hinreißender sprach, als Worte. Vater! rief er aus, wirst Du Deinen Enkel verstoßen, weil er den Namen Wädischwyl führt? Wirst Du den Fehl der Mutter noch an ihrem Kinde strafen? Sieh, ich bin Deiner Ida Sohn – bin gekommen, Dein Alter zu erleichtern, und der Fürsprecher Deiner Tochter zu seyn, die jetzt in den Gefilden der ewigen Seligkeit Gott um den Frieden Deiner Tage anfleht. Ach – sie hat schwer gebüßt für ihre Schuld, denn alle Wonnen der Erde wiegen das Glück eines reinen Gewissens nicht auf, das sie verlohr, als sie entfloh aus Deinem Hause. O vergieb ihr nun. Ich will gut machen, was sie verbrach, will Dir pflegen mit unermüdeter Sorge, will Deine Reisigen führen in Schlacht und in Sieg, wohin die Ehre und Dein Wille es heischt, will alles thun, was Liebe nur vermag, Dein Daseyn zu erheitern.

Wie vom Blitz getroffen, starr und unbeweglich, schauete Ritter Burkhardt ihn an, und wagte nicht sich zu regen, aus Furcht, der schöne Traum möchte entflattern. – Endlich überzeugte er sich, daß kein Spiel der Fantasie, sondern eine freundliche Wirklichkeit seine lang genährten Wünsche erfüllt habe, und jetzt wurden die Wallungen des Entzückens zu mächtig für sein nur an Gram und Kummer gewöhntes[15] Gemüth. Er sank ohnmächtig zurück – doch der junge Burkhardt sein Enkel, faßte ihn mit starken Armen, und aus der Pilgerkutte seines Gefährten schlüpfte eine goldlockige Jungfrau hervor, die zärtlich seine Bemühungen um den ehrwürdigen Greis mit ihm theilte.

Ihre gemeinschaftliche Hülfe rief bald sein entflohenes Bewußtseyn zurück, und als er sich wieder erholte und in die frommen blauen Augen des Mägdleins sah, das neben ihm stand gleich dem Engel der Unschuld und der Güte, und dann wieder den Blicken seiner Ida begegnete, mit denen ihr Sohn liebend und ehrfurchtsvoll ihn anlächelte – da wähnte er, bereits alle Leiden der Erde überwunden zu haben, und gestorben zu seyn, denn in sich und um sich fand er den Himmel.

Als er wieder stark genug war, um die Lösung jenes Räthsels hören zu können, zog Burkhardt von Wädischwyl den Schleier weg von der düsteren Vergangenheit, die seine Mutter der väterlichen Burg entlockt hatte.

Liebe war es, die nach langem schwerem Kampf sie in die Arme seines Vaters führte. Doch, was jedem Verhältniß auf Erden erst beglückend die Krone der Vollendung aufsetzt, innerer Friede und Gemüthsruhe folgten ihr nicht in die eigenmächtig gewählte Heimath, die durch des Vaters Fluch schaudernd ihr entheiligt schien.

Umsonst strebte sie, seinen gerechten Zorn zu versöhnen, aber zurückgeschreckt durch die Härte, mit der er jeden ihrer Versuche zurückwies, muthlos gemacht[16] durch das Bewußtseyn ihrer Schuld, wagte sie nicht mehr den Hoffnungen zu vertrauen, mit denen die Erinnerung seiner ehemaligen väterlichen Zärtlichkeit ihr schmeichelte, daß nämlich sein Herz sich noch einst ihr wieder zuwenden werde.

Sie folgte ihrem Gemahl nach Italien, wo reiche Besitzungen ihm zugefallen waren; doch weder die Bemühungen seiner Liebe noch der mildere Himmel, und die freundlichere Natur dieses Wunderlandes vermochte etwas über die Schwermuth, der sie sich hingab, und ihre Thränen flossen eben so bitter dort unter den blühenden Orangenhainen, wie vorher, wenn sie einsam wandelte in den dunklen Tannenwäldern ihres Vaterlandes. Selbst die Geburt ihres Sohnes wurde ihr nur eine Quelle des tieferen Schmerzes, so zärtlich sie ihn auch liebte. So pflegte auch Er an Mutterstatt meine Kindheit, dachte sie, wenn sie den Knaben sorglich auf ihren Armen trug, und in schlaflosen Nächten sein wartete. So opferte auch Er geduldig und froh den Balsam des gesunden Schlummers, und unterzog sich um meinetwillen jeder unsäglichen Mühe. Und ich – statt ihm zu vergelten, statt durch die Fülle der innigsten Liebe ihm zu lohnen, was er für mich that, ich betrübte ihn durch den schwärzesten Undank, und stürtzte vielmehr vor der Zeit sein grambeladenes Leben in die Gruft. –

Diese melancholischen Vorstellungen vertilgten jeden Reiz, der ihr Daseyn schmückte, und die Zeit erlöschte das düstere Colorit derselben nicht, sondern schärfte es mit allen Farben der grausenvollsten Wahrheit.[17] So ertrug sie ihre Existenz, ohne sie zu genießen, und als der Kummer über den Verlust ihres schmerzlich geliebten Gemahls sich zu der immerwährenden Pein innerer Vorwürfe gesellte, sank sie lebensmüde und erschöpft auf's Krankenlager, um es nicht wieder zu verlassen.

Ehe aber der Tod die dunkele Binde um ihr Auge wand, die nur jenseits, im Glanze der Verklärung sich wieder löset, berief sie ihren Sohn an ihr Sterbebett, und ließ ihn, gleich einer letzten Beichte, die Geschichte ihrer Verirrung und ihrer Reue vernehmen.

Gehe hin, sprach sie, so bald ich gestorben bin, und umfasse die Knie meines Vaters, wenn er noch lebt. Flehe ihn an, mir zu verzeihen, und seinen Fluch zurück zu nehmen, damit die Erde mir leicht sey, und Nesseln und Dornen mein einsames Grab nicht bedecken. Sage ihm, daß Trauer über seinen Zorn, und strenge Buße der Vergehung, welche ihn veranlaßte, selbst die Zufriedenheit meiner glücklichen Ehe, und das Entzücken der Mutterfreuden, die mir durch dich zu Theil wurden, mich nur unvollkommen schmecken ließen, und beschwöre ihn, seinen Groll aufzugeben, damit ich in einer bessern Welt wenigstens seiner Vergebung mich erfreuen darf.

Ihr Sohn gelobte es ihr feierlich unter kindlichen Thränen. Sie empfahl ihm ferner, sogleich nach ihrem Tode an das Hoflager des Herzogs von Zähringen zu gehn, der, um der Vorliebe willen, die er stets für das Haus Wädischwyl bewiesen, ihm, den unerfahrenen Jüngling, seinen Rath so wie seinen[18] Schutz in allen künftigen zweifelhaften Lagen seines Lebens nicht versagen werde.

Der junge Burckhardt befolgte gewissenhaft das Gebot seiner sterbenden Mutter, und als er ihren Leichnam dem Schoos geweihter Erde übergeben, und zahllose Messen für die Ruhe ihrer Seele gestiftet hatte, zog er hin, um dem Herzog sich darzustellen, und dann gen Unspunnen sich aufzumachen, das feindselig verschlossene Herz seines Großvaters zu erweichen.

Doch er fand in dem Herzog nicht mehr den fröhlichen, blühenden Mann, der seinem Vater kecken Beistand bei der Entführung seiner Mutter geleistet hatte, und der in den Tagen seiner Kraft leichtsinnig des Rechts spottete, wenn Laune, oder Partheilichkeit für Andere das Unrecht von ihm begehrte. Nahe dem Ziele seiner Laufbahn erschien manche Handlung der Vergangenheit ihm jetzt in einem ganz anderen Lichte als damals, wo er angetrieben von den Gelüsten des Augenblicks, sie verübte, und nur das Bestreben, wieder gut zu machen, so viel er vermochte, erhellte die trüben Stunden seines kränklichen Alters.

Zu einem, dem Himmel wohlgefälligen Sühnopfer seiner Sünden erkohr er Brunhilden, sein einziges Kind, indem er sie dem Klosterleben bestimmte. Das fromme Gebet reiner Unschuld, hoffte er, werde das Gewicht seiner Vergehungen mindern, und die Gunst höherer Mächte ihm wieder gewinnen. Brunhilden schien, vermöge ihres stillen, Gott ergebenen Sinnes das Loos zu gefallen, das er ihr erwählt[19] hatte, denn ihre Neigung zog sie mehr in das Verborgene einer ungestörten Einsamkeit, als in das Geräusch der Welt, das nur in Mißtönen zu ihrem Herzen sprach. Als er ihr daher bekannte, daß sein unruhiges Gewissen Erleichterung finden werde in dem Opfer ihrer jugendlichen Freiheit, gelobte sie freudig, es ihm zu bringen, und seitdem zog sie noch strenger ihr frommes Auge von dem wüsten Treiben der Erde ab, um es empor zum Himmel zu richten, dem sie sich widmete.

Doch sie hatte noch nicht geahnet, welche Fähigkeit der tiefsten Empfindung in ihrem Busen schlummerte. Der Liebe Regungen waren ihr fremd geblieben, wie der Hauch balsamischer Frühlingsluft der Blume, die im Zimmer hinter kalten Glasscheiben sich entfaltet, und keinen von allen den Rittern am Hofe ihres Vaters hatte sie in einer höheren Beziehung erblickt, als gleichgültige Diener zum Range ihrer Fürstin haben.

Da erschien Burckhardt von Wädischwyl – die erste, frische Jugendblüthe mit dem Ernst des Mannes, die Milde himmlischer Sanftmuth mit der Kraft des Helden in sich vereinend. Der Antheil, den der Herzog an seinem Vater genommen hatte, ging schnell auf den Sohn über, dessen Anblick jedes Auge, dessen Rede jedes Herz bestach, und als er ihn hinführte zu Brunhilden, ihn als den Sohn seines trautesten Jugendgenossen ihr darzustellen, und des Jünglings Blick strahlend, und doch so bescheiden, in ihre Seele drang – da verwandelte sich plötzlich die Ansicht der Welt in ihrem Innersten; da schwanden[20] Kloster und Schleier aus dem Bilde ihrer Zukunft, und sie fühlte die Ueberzeugung, daß auch das irdische Leben zarte, heilige Bande habe, die – einem Zaubergewebe gleich – leise und lieblich sie umstrickten.

Auch auf den jungen Ritter machte ihre Schönheit, und der reine Adel ihres Gemüths, der so unverkennbar aus jedem ihrer Züge hervorschimmerte, einen schnellen, und unauslöschlichen Eindruck. Sehnend hing sein Auge an ihren anmuthsvollen Bewegungen, wenn sie sittsam an ihm vorüberwandelte – schmachtend lauschte er auf den Ton ihrer Stimme, der wie Melodie ihm erklang – finster umwölkte sich seine Stirn, wenn sie aus den Sälen ihres Vaters sich zurückzog in ihr einsames Gemach, wohin nur zu oft und zu störend für ihre Ruhe sein Bild ihr folgte. Jeden Tag wollte er von dannen, zu erfüllen, was er seiner sterbenden Mutter versprochen hatte, und doch hielt ihn so süß, so allmächtig die Nähe der Geliebten, in der er sich so wonnevoll berauschte.

Endlich ermannte er sich, und beschloß, sich loszureißen, möge es dem blutenden Herzen auch kosten, was es wolle, denn hoch und unerreichbar, wie ihre Vollkommenheit sie über alle ihres Geschlechts erhob, stand sie auch als Tochter eines Fürsten, und als Gott geweihte Jungfrau vor ihm, wenn seine glühenden Wünsche mit einer Möglichkeit ihres Besitzes ihm schmeichelten.

Des Herzogs Blick, durch Erfahrung geschärft, hatte längst das Geheimniß ergründet, das Brunhilde[21] seufzend in ihrem Busen nährte, und das Burckhardt von Wädischwyl vergebens hinter eherner Festigkeit zu verbergen suchte. Auch über Unspunnens ödes, kinderloses Alter quälte ihn mancher Vorwurf seines Innern, denn sein Leichtsinn war's, der Idas Entführung einst begünstigte, und der späterhin der Verzweiflung des beraubten Vaters Hohn sprach. Könnt' ich auch hier wieder gut machen, was kein Gold der Erde ersetzt, sprach er nachdenkend zu sich selbst – könnt ich in Brunhilden ihm eine Tochter schenken, die – indem sie ihm wurde, was sie mir stets war – das Leid der Vergangenheit durch eine freudige Zukunft ihm vergessen machte – ach, so müßte der Himmel eben so wohlgefällig mir lächeln, als wenn ihre Jugend im Kloster, unter einsamen Gebeten verwelkt – im Kloster, wo sie jetzt der Andacht doch nur ein getheiltes Herz entgegen bringt.

Er hatte den Jüngling geprüft und fand ihn werth des theuersten Kleinods, das er besaß, daher reifte leise der Entschluß in ihm, die Liebenden zu beglücken; und als des Scheidens bange Stunde kam, und Wädischwyl mit mühsam unterdrücktem Schmerze Brunhilden nahete, ihr sein Lebewohl zu sagen – als seine Lippen stammelten, und, aller Anstrengung spottend, die umsonst bekämpfte Wehmuth eine heiße Thräne über seine Wangen jagte – – als auch Brunhilde stumm, blaß und bebend die Kraft nicht in sich fand, ein Wort des Abschieds leise ihm zu flüstern – als er schweigend ihre Hand ergriff, sie innig drückte und sich abwandte, um rasch[22] hinaus zu stürzen – da faßte der Herzog die sinkende Tochter auf, deren Lebenskraft in bleicher Ohnmacht erlosch, und er rief den Ritter zurück, und legte die Bewustlose an sein Herz, indem er sprach: nimm sie hin, und halte sie hoch als das theuerste Gut, das der Himmel dem Manne gewährt, als Dein Weib, und die treue Gefährtin Deiner künftigen Freuden und Leiden. –

Sprachlos starrte Wädischwyl ihn an, doch er begriff schnell, was er nicht kühn genug gewesen war, zu hoffen. Er hatte nur Thränen, keine Worte. In der Fülle des Entzückens, und in den Vorschmack seines Glücks verlohren, drückte er die holde Braut an seine Brust, und erwärmte ihre kalten Lippen mit dem ersten, schüchternen Kuß der Liebe.

Als Brunhilde die schönen Augen wieder öffnete, und sich von den Armen ihres Geliebten umschlossen sah, erröthete sie voll süßen Schreckens, und glaubte zu träumen. Doch ihr Vater legte segnend seine Hand auf ihr Haupt, und heiligte die Wonne, die ihr Herz durchschauerte. Aber bald erinnerte sie sich schmerzlich, dem Kloster geweiht zu seyn. Geh, sprach der Herzog, und löse Dein Gelübde, indem Du den Feind mir versöhnst, und durch kindliche Zärtlichkeit ihm ersetzest, was er durch mich verlohr. In Pilgerkleidern beginne mit Deinem Verlobten die Wallfahrt zu dem verlassenen, beleidigten Greis, und wenn Ihr, seines Alters schonend, Euch entdeckt habt, und er Dich aufnimmt als die Braut seines Enkels, dann will ich ein Kloster erbauen, und mit reiche. Stiftungen versehen, wo fromme[23] Jungfrauen an Deiner Statt dem Himmel dienen, und ihn bitten sollen, mir meine Sünden zu verzeihen.

Burckhard von Unspunnen lauschte gerührt der Rede, die dies alles ihm verkündete, dann zog er seinen Enkel an sein Herz, und erkannte ihn freudig an als ein Vermächtniß seiner Ida, das ihm heilig war. Zagend stand Brunhilde in einiger Entfernung, und harrete bange erzitternd seines Winkes. Dein Vater hat es bös mit mir gemeint, doch um der Tochter willen sey ihm verziehen! sagte der Alte endlich in tiefer Bewegung, und schloß auch sie in seine Arme. Auch gereut' es ihn niemahls, denn sie machte durch kindliche Ergebenheit und Sorgfalt wieder gut, was der Herzog an ihm verschuldet hatte, und sein trüber, stürmischer Lebenstag ging fortan im Kreis der Seinen in einen heiteren Abend über.[24]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Gesammelte Erzählungen. Schleswig 1822, Band 2, S. 1-25.
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