Bei Übersendung meines Bildes

[64] Nimm hin dies Bild, das auch in weite Ferne

Dir folgen darf, Geliebter! nimm es hin!

Und glaub' es seinem Lächeln, es wird gerne

An Deiner Brust die weite Welt durchziehn.


Betracht' es oft in stillen Augenblicken,

Wenn Einsamkeit Dich schwermuthsvoll umgiebt.

Und dann gedenk' mit schmerzlichem Entzücken

Der schönen Zeit, in der wir uns geliebt.


Sie ist vorüber – – doch die öde Leere

Getrennter Liebe, die im Busen mir

Durch Lethe's Quell nur auszufüllen wäre,

Stillt meiner Züge leiser Umriss Dir.
[64]

So nimm mein Bild, zum liebevollen Pfande

Der treusten Neigung, nimm es freundlich an,

Und es begleite Dich in ferne Lande,

Wohin ich nur im Geist Dir folgen kann.


Wenn aus der Fülle goldner Jugendträume

Die Wirklichkeit Dich kalt und bitter scheucht,

So trage Ahndung Dich in höh're Räume,

Und Hoffnung mache dann das Herz Dir leicht.


Sie zeige Dir die Zukunft, die dem Kummer

Dem irdischen, als stilles Ziel erscheint,

Wo nach des Todes träumeleerem Schlummer

Ein reines Glück auf ewig uns vereint.


Bis dahin gönne diesem Bild die Stelle

An Deiner Brust, in der es längst gewohnt,

Einst wird das Dunkel unsrer Zukunft helle,

Dann wird uns des Entbehrens Schmerz belohnt.
[65]

Mit diesem Glauben lass gefasst uns scheiden

Und muthig nimm mein letztes Abschiedswort.

Ach hier auf Erden müssen wir uns meiden –

Doch wiedersehen werden wir uns dort.
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Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Gedichte von Natalie. Berlin 1808, S. 64-67.
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