XVIII

[61] Sie schwankte hinweg, und Alexander blieb mit Augusten allein.

Sie haben meine Freundin sehr gekränkt, sagte Auguste nach einer Pause, in der sie – unschlüssig was sie thun solle, und selbst tief erschüttert – erst mühsam die Kraft zu sprechen gewann. Gewiß ihr lauteres, keine Verstellung kennendes Herz erträgt es nicht, auf eine so harte Probe von[61] dem gestellt zu werden, den es liebte – sie erträgt es nicht, Sie in einem so nachtheiligen Lichte zu erblicken. Eilen Sie, o eilen Sie, die Grundsätze zu widerrufen, vor denen mit Recht Erna's reiner Sinn zurückschaudert. Sie zertrümmern sonst das Glück des holden Wesens und Ihr eigenes unwiederruflich.

Wie? versetzte Alexander, sich verwundert stellend, kann Erna bei allen ihren hochgepriesenen Tugenden die Wahrheit nicht hören? – Würde es ihr besser gefallen, wenn ich – statt in meiner eigenthümlichen Gestalt vor sie hin zu treten, mich einer Maske bediente, um sie zu täuschen? Ich bin zu stolz zur Verstellung, und sie ist mir unbequem. Daher – so sehr es mich auch mit Recht beleidigen muß, von dem Mädchen, das ich so ehrte, um es zur Gefährtin meines Lebens erwählen zu wollen, gewissermaßen einen Korb empfangen zu haben, so bereue ich es doch nicht, da ich selbst ihre Gunst mir nicht durch Heuchelei erwerben möchte. Leben Sie wohl für immer, denn für mich ist nun nichts mehr hier zu thun. Sie werden meiner Tante bezeugen, daß es nicht an mir lag, wenn ihr sehnlicher Wunsch unerfüllt blieb, und daß ich Erna meine Hand bot – aber mit Geringschätzung zurückgewiesen wurde. Suchen Sie um des eignen Bestens Ihrer Freundin willen ihre romantischen überspannten Ideen zu berichtigen,[62] und sie der wirklichen Welt anzupassen, in der sie leben soll, denn diese idyllische Sentimentalität zerstört die Wurzeln eines gesunden Daseyns, und macht sie am Ende zu einer – Candidatin des Irrenhauses.

Mit diesen Worten, die er voll des empörendsten Hohns in seinen Mienen aussprach, verließ er das Zimmer, und Auguste blieb, halb betäubt von der plötzlichen, so schrecklichen Verwandelung eines Charakters, den sie geschätzt hatte, und zitternd vor den Folgen die es auf Erna's liebendes Gemüth haben werde, zurück.

Als Alexander zu seiner Tante kam, entdeckte er ihr mit allen Zeichen wohlerkünstelter Kränkung und fehlgeschlagener Hoffnung, daß er Erna in Augustens Gegenwart seine Hand angetragen, aber eine abschlägliche Antwort von ihr erhalten habe, und auf eine verächtliche Weise von ihr verlassen worden sei.

Umsonst strebte die Generalin, sich dies Räthsel zu erklären, umsonst erbot sie sich zur Vermittlerin, – da sie Erna's Liebe zu ihm so wenig wie ihre vortheilhafte Meinung von seinem Werth bezweifeln konnte – sein Stolz lehnte sich, wiewohl scheinbar mit tiefem Schmerz kämpfend, gegen jedes Anerbieten ihrer Einmischung auf, und noch demselben Tag trat er, ohne sich durch Bitten und Zureden halten zu lassen, äußerlich zerstört,[63] und tief ergriffen, innerlich aber frohlockend, daß er, wie er glaubte, mit so guter Art seinen Nacken aus der Schlinge gezogen habe, den Rückweg zur Residenz an.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 61-64.
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