VII

[23] Auch Frau von Willfried ordnete ein ländliches Fest in Seedorf an, Alexandern zu erfreuen, und hier, im gewohnten Kreise, thätig an der Mutter Statt die Pflichten der Hausfrau ausübend, erschien Erna vortheilhafter, als in den Circeln, wo sie als Gast auftrat. Denn hier, in Geschäftigkeit und freundlicher Fürsorge sich selbst vergessend, schwand die Verlegenheit welche dort so leicht ihr ihre Unbefangenheit raubte. Haus und Garten waren[23] nicht eben groß, aber der stille Geist der Ordnung, der allenthalben waltete, schien jeden Raum zu erweitern und zu erhellen, und heiter das Gemüth ansprechend, begegneten überall in sinniger Anordnung dem Auge Spuren des nützlichen Wirkens und der verschönernden weiblichen Umsicht, die mit Bescheidenheit verbunden dem häuslichen Leben einen so liebenswürdigen Charakter ertheilen. Auch daß Wohlwollen und menschenfreundliche Güte hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten, verrieth unwillkührlich der Ton des Ganzen, obgleich Erna sichtbar strebte, die unendliche Innigkeit mit der alle Hausgenossen ihr begegneten, den Blicken der Fremden zu entziehen, da sie ihrer Demuth nicht als ein Zoll, der ihrem inneren Werth gebührte, sondern als eine unverdiente Gunst erschien. Menschen und Thiere huldigten hier nur ihr, und zwar nicht als stolze Herrin, von deren gebietender Willkühr sie abhingen, sondern Milde und Güte umwebten sie gleichsam mit einer Glorie, in deren Strahlen sich Lieb und Zutrauen gerne sonnete.

Es sah fast lächerlich aus, als man zu einem Spaziergang sich anschickte, und das Fräulein auf Befehl ihrer Mutter an Alexanders Arm als Wegweiserin den Zug eröffnete, daß der ganze Hühnerhof in Bewegung gerieth, und mit ausgespreiztem Gefieder, schnatternd, krähend, gluchzend und pipend, wie die Verschiedenheit der Naturen nun[24] eben wollte, – theils empfangener Wohlthaten eingedenk, theils neue Spenden von Erna's freigebiger Hand erwartend – hinter ihr drein lief, bis sie, schnell zurückeilend, und ein Körbchen mit Waizen holend, die zudringlichen Begleiter seitwärts lockte, um während des augenblicklichen, sinnlichen Genusses, den sie ihnen streute, ungehindert ihren freundlichen Verfolgungen zu entkommen.

Weniger leicht abzuweisen waren die Tauben, die von ihrem Schlage leise in malerischen Schwingungen herabschwebten, ihre Gönnerin umkreiseten, sich ihr auf die Schultern setzten, oder dreist zu ihren Füßen niederließen, und als sie sanft seitwärts geschoben wurden, sich wieder erhoben, um einige Schritte weiter dasselbe Schauspiel zu erneuern.

Als aber auf dem Gang durchs Dorf die Kinder mit dem gegenseitigen Zuruf: »Fräulein Ernchen kommt« einander gewissermaßen das Signal gaben, ihr entgegen zu laufen – als jedes ihr eine Patschhand reichen, jedes ihr folgen wollte – als Männer und Weiber die Arbeit ruhen ließen, mit herzlichem Gruße ihr entgegen und nachzuschauen – als auch die abgelebten Alten aus ihren Häusern traten, sich an der Frühlingssonne ihres milden Blickes zu erwärmen, ihr freundlich zunickend, ihr Segen nachwünschend – da gestand[25] sich Alexander selbst im Stillen ein, daß es ein ungewöhnlicher Grad von Güte seyn müßte, den eine so allgemeine und innige Anhänglichkeit belohne.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 23-26.
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