VIII

[26] Demohngeachtet erregte weder diese Güte, noch so manche schöne geistige Anlage, die nur der Entwickelung bedurfte, noch auch ihr edles Aeußeres, das weit mehr sich in sich selbst zu verhüllen als sich geltend zu machen strebte, den Wunsch in seinem leichtsinnigen Herzen, sie in einer ernsten, ewigen Verbindung sich anzueignen. Methodisch steigerte er durch alle Kunstgriffe der Erfahrung und der männlichen Coketterie die Neigung, die in ihrer reinen Seele für ihn erwacht war, und belustigte sich an den naiven, ihm den vollen Reiz der Neuheit gewährenden Wirkungen seines grausamen Unternehmens, ihre Ruhe zu untergraben und zu einem Opfer seiner Eitelkeit zu machen.

Frau von Willfried eben sowohl als die Generalin getäuscht durch die Beflissenheit, mit der er sich um Erna bemühte, leisteten ihm allen möglichen Vorschub, sich ihr zu nähern. Denn geblendet von ihren Hoffnungen erblickten beide Frauen in allen seinen Aeußerungen so viel Verstand, Charakter, und selbst Gefühl, daß sie überzeugt waren,[26] er werde das Glück ihres Lieblings machen. Die unwillkührlichen Ausbrüche des Muthwillens, der Frivolität, und der Satyre, die zuweilen selbst das Heilige nicht verschonte, erschienen ihren bestochenem Urtheil als Auswüchse, die nur das Leben in der verdorbenen großen Welt ihm angebildet habe, und die eine reinere Umgebung, das Läuterungsbad wahrer Liebe, und dereinst die Würde ehelicher Verhältnisse bald genug wieder abschleifen werde. In dieser Voraussetzung erwarteten sie ruhig und freudig seine nähere Erklärung, die seinem Benehmen nach, mit jedem Tage wahrscheinlicher wurde.

Auch Erna, selig gehoben von den Schwingen eines so mächtigen, ihr selbst im Traume der Ahnung noch nimmer erschienenen Gefühls, sah mit klopfendem Herzen, von ihrer Mutter auf diesen feierlichen Moment vorbereitet, dem Geständnis des Jünglings entgegen, dem sie ihr Ja nicht versagen wollte, da sie ihm bereits ihre innige Neigung geschenkt hatte. Sie gewann allmählig Vertrauen zu ihm und zu sich selbst. Anfangs, von dem Glanz seiner geschliffenen Aussenseite verblendet, wußte sie nur schüchterne Unterwürfigkeit, blödes Zagen, seinem muntern und sicheren Ton entgegen zu setzen. Sie erschrak, wenn sie den Klang ihrer eigenen Stimme vernahm – sie erröthete, wenn sein Blick ihr begegnete – sie zitterte, wenn er sie anredete. Jetzt wich nach und[27] nach die Verlegenheit, durch die sie sich selbst so gestört und unbequem in ihrem Innern vorkam, einer bescheidenen Zuversicht, die auf die stolze Ueberzeugung sich stützte, ein so hoch an Geist und Bildung über ihrste hendes Wesen, wie ihr Alexander erschien, begreifen und fassen zu können. Er wußte so unmerklich und leise den kalten Reif der Verschlossenheit von ihrem Gemüth abzustreifen, wußte, indem er sie so oft glücklich errieth, ihren undeutlichen Gedanken Klarheit, ihren dunklen Gefühlen Licht zu geben, und durch einen im rechten Augenblick gleichsam unwillkührlichen Ausbruch einer erkünstelten Begeisterung für das Gute und Schöne, eine hingeworfene, wie dem Innern entschlüpfte Floskel der Sentimentalität, ihre vortheilhafte Meinung von ihm immer fester zu begründen, daß es sehr natürlich war, wenn ihre Achtung für ihn mit jedem Tage des Beisammenseyns wuchs, und die zarte Liebe ihres Herzens vertiefte.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 26-28.
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