XI

[104] Die Hälfte der Nacht verging unter Anordnungen zum folgenden Morgen, der so ahnungsvoll über ihn anbrach, als sei er der Verkündiger einer neuen, wichtigeren Epoche seines Lebens.

Mit stiller Sebstzufriedenheit besah er sein Schlittengeschirr, das das glänzendste und geschmackvollste der Residenz war. Denn er liebte den Luxus, und sein Vermögen setzte ihn in den Stand, allem was ihm angehörte, den Stempel einer Eleganz aufzudrücken, die durch edle Auswahl um so lieblicher ins Auge fiel.

So hatte er auch hier, da das Schlittenfahren zu seinen Lieblingsvergnügungen gehörte, Sorge getragen, es auf eine seine Eitelkeit in jeder Hinsicht befriedigende Art genießen zu können, und es war nicht zu läugnen, daß wenn sein silbernes Glockenspiel harmonisch erklang, der Anblick des schimmernden Schlitten, des mit männlicher Grazie und Leichtigkeit ihn lenkenden Führers, und des muthigen, auserwählt schönen Rosses, das aufs zierlichste geschmückt war, etwas zauberisches in der Erscheinung hatte. Der reiche Anzug seines Vorreuters, die Farben des Schlittens und seiner eigenen Uniform waren so passend gewählt, daß eins durch das andere gehoben wurde, und die reine Winterdecke des Schnees bildete nirgends[104] den Grund zu einem anmuthigeren Gemälde, als wenn er wie auf Sturmwindsflügeln auf diese Weise vorüberflog.

Ungeduldig zählte er die einzelnen Schläge der Uhr, die der Stunde vorausgingen, welche ihn zu Erna's Wiedersehen rief – aber als sie nun selber schlug, die lang ersehnte, da zögerte er, schüchtern mit sich selbst kämpfend, und alle Blödigkeit der ersten Jugend, in dämmernder Erinnerung schon abgelegt, kehrte in ihn zurück, und vereinigte sich mit der nie gekannten Furcht, zu misfallen, um ihn ängstlich so lang wie möglich zurück zu halten.

Es war ihm, als habe ihn, gleich einem Läuterungsbad, der nie empfundene Zauber einer wahren ernsten Liebe, den er jetzt empfand, von all' den Flecken gereinigt, mit denen die Verdorbenheit der Welt und seines eigenen Sinnes früher sein Gemüth entstellt hatte. Er fühlte sich weich, wehmüthig, kindlich geworden. Weinen hätt' er mögen um die verlorene, entweihte Vergangenheit, die eine so tiefe Kluft zwischen ihn und Erna warf, wenn nicht die Hoffnung tröstend in ihm den Glauben gestärkt hätte, daß Reue, die ja mit dem Himmel versöhnt, auch ihn ihr wieder nähern werde. Er gelobte sich selbst, wenn es ihm gelänge, die Herrliche zu gewinnen, durch ein untadelhaftes Leben sich ihres Besitzes werth zu machen, und[105] wenn gleich manche Schwierigkeit sich vor ihm aufthürmte, so zeigte der Spiegel der Zukunft seiner Sehnsucht doch in der Ferne dies neidenswerthe Loos. Hatte sie ihn doch geliebt, als seine Fehler wie üppig wucherndes Unkraut in seiner Seele jeden Keim des Besseren erstickten – wie sollte sie ihn jetzt zu hassen vermögen, da Wunsch und Vorsatz der Besserung sein Inneres veredelte, und ihn moralisch ihr um so viel näher brachte. Versenkt in diese Träume, denen die Hoffnung ein so rosiges Colorit lieh, vergaß er zu gehen, bis ein Eilbote der Gräfin ihn an sein Versprechen erinnerte.

Die Gesellschaft war schon versammelt, und mit dem Frühstück bereits fertig, als er athemlos herein trat.

Ich habe Ihre Galanterie nicht wenig verläumdet, rief ihm die Gräfin entgegen, oder vielmehr Ihr spätes Kommen hat es gethan, und nur weil Gnade bei mir vor Recht geht, sollen Sie noch eine Tasse kaltgewordene Chocolade haben.

Er wollte sich entschuldigen, aber der Blick in Erna's großes, ernstes Auge machte ihn verwirrt, und widerspenstig verweigerte ihm die Fülle der Worte ihren Dienst, die ihm sonst so leicht zu Gebot stand. Der Gruß, mit welchem sie den seinigen erwiederte, war nur höflich, und die stille Kälte ihrer Mienen, die abgemessene Fremdheit[106] ihres Benehmens gegen ihn, schnitt um so schmerzlicher in sein warmes Herz, da er sich von dem heutigen, ungezwungenen Beisammenseyn mit ihr so viel versprochen hatte.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 104-107.
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