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[101] Da Erna nach der ersten Begrüßung sich wieder ruhig zum Theater wandte, und Linovsky sich keineswegs bemühte, sie durch seine Unterhaltung davon abzuziehen, so stillten sich in Alexandern allmählig die eifersüchtigen Regungen, die ihm von neuen bestätigt hatten, wie theuer ihm das liebenswürdige Mädchen geworden sei.

Ohne das mindeste Recht auf sie, ja selbst ohne eine eigentliche Hoffnung zu haben, war ihm doch, als sei sie mit tausend unzerreißbaren, durch heiße Liebe gewebten Banden an ihn geknüpft, und als dürfe niemand wagen, sie ihm streitig zu machen, oder auch nur in bescheidener Entfernung[101] Wünsche in Beziehung auf sie zu hegen, die er sich allein vorbehielt.

Er fühlte, es sei die höchste, entscheidendste Zeit die Bahn unwürdiger Verirrungen nun auf immer zu verlassen, und den Weg der Tugend künftig zu wandeln, und übersättigt vom austrocknenden, öden Weltleben sehnte er sich darnach – aber er fühlte auch, daß er der himmlischen Stütze der Liebe bedurfte, um mit Hülfe ihrer Allmacht zu dem höheren Standpunkt empor zu klimmen, von dem ihn bisher Leichtsinn und Frivolität geschieden hatte. Schon war sein Herz mild erwärmt von jener heiligen Flamme, die über alle ehemaligen Täuschungen der Sinne ihn erhebend, keinem Rausche, sondern einer inneren Verklärung gleich, durch die das Leben sich läutert; aber Erna's Betragen deutete nicht auf die Wahrscheinlichkeit einer einstigen Erwiederung seiner Gefühle, denn der ruhige Ernst ihrer Züge und die kühle Stille ihres Blicks, wenn er dem seinigen begegnete, schlug seine feurigen Hoffnungen nieder, doch nur um – Nahrung aus seinen Wünschen schöpfend – sich bald wieder von neuem zu entzünden.

Er nahm sich vor, mit der leisesten Behutsamkeit zu verfahren, um durch ein immer gleiches, bescheidenes Benehmen Erna's Unwillen so wie ihr Mistrauen zu entkräften. Dann erst, das[102] sagte ihm die Vernunft und ein gewisser innerer Takt, der sich nicht abläugnen ließ, dann erst, wenn er allmählig sich wieder in den Besitz ihrer Achtung gesetzt haben würde, durfte er, einen günstigen Erfolg erwartend, ihr die innigeren Empfindungen bekennen, von deren Austausch er sich jetzt allein das Glück seiner Zukunft versprach.

Er konnte nicht umhin, die Gräfin, als die Oper geendigt war, an ihren Wagen zu begleiten. Auf der Gallerie, die den Eingang zu den Logen bildete, begegnete er Erna am Arme des Gesandten, seine Gemahlin von Linovsky geführt. Man wechselte einige freundliche Worte, die sich auf die Hoffnung bezogen, den morgenden Tag gemeinschaftlich mit einander zu verleben, und scherzend präsentirte die Gräfin den Damen in Alexandern den Ritter, dessen kräftigen Arme sie morgen Leben und Wohlfahrt anzuvertrauen gesonnen sei. Mit vieler Höflichkeit ergriff der Gesandte diese Gelegenheit, durch eine directe Einladung an ihn zum nächsten Abend, die frohe Erwartung zu bestätigen, welche die Gräfin schon früher in ihm erweckt hatte, sich gleichsam ohne sein Zuthun in einem Hause eingeführt zu sehen, das – weil es ihr Aufenthalt war – ein so unbeschreibliches Interesse für ihn hatte.[103]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 101-104.
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