XV

[125] Lachend über den Schluß der Erzählung, die Erna mit komischem Ernst vortrug, auf eine Menge alter Autoritäten sich berufend, aus denen sie dieselbe geschöpft hatte, wandelte man noch lange umher, um – von der eintretenden Dämmerung gedrängt – wenigstens flüchtig noch die übrigen Portraite zu betrachten, die als Stufen der nach und nach sich entwickelnden Kunst, und als Gepräge ihres Zeitalters so viel Interesse einflößten.

Nur momentan verweilte man bei Otto dem Dritten, dem schönen, jugendlichen Kaiser, den Eifersucht in Italien durch ein paar vergiftete Handschuh im Lenz des Lebens dahin raffte, und bei Adolph von Nassau, dem muthigen Nonnenentführer, der so früh Krone und Leben verlor. Mitleidig gingen sie an dem unglücklichen Heinrich dem Vierten vorüber, den der eigene undankbare Sohn vom Throne drängte, ihm nicht nur gewaltsam die Zierden kaiserlicher Würde rauben ließ, sondern ihn unbarmherzig dem Hunger und dem Elende Preis gab; aber schaudernd wandten sich alle von dem Bilde Heinrichs des Achten von England ab, der mit einer Physionomie, als habe ihn Naturanlage und Gewohnheit zum Henker bestimmt, seine ganze, scheußliche Seele in den Fanatismus und Blutdurst ausdrückenden Blicken trägt.[125] Sein doppeltes Kinn und die feiste Fleischmasse seiner Wangen, die das feindselig glühende Auge fast begräbt, scheint von dem eingesogenen Blut zu strotzen, das er so reichlich vergoß, und das wahrhaft fürchterliche Lächeln, das seine Züge umschwebt, flößt Entsetzen, statt Vertrauen ein. –

Hinweggescheucht von diesem Bilde hatten sie von dem widerwärtigen Eindruck, den es auf sie machte, sich noch nicht erholt, als der Gesandte, der ihnen ein wenig vorausgegangen war, sie durch einen lauten Ausruf der Bewunderung zu sich hinzog.

Hier wartete ihrer eine anmuthigere Ansicht. Sie fanden ihn vor der Sirene ihrer Zeit, der reizenden Maria Stuart, die im schwarzen Sammthäubchen, das liebetrunkne Auge sanft erhoben, und den zarten Spitzenkragen um den noch zarteren Schnee des üppigen Busens geschmiegt, in wunderbarer Schönheit ihnen entgegen strahlte. Weich und lieblich hoben sich die Umrisse dieser reizenden Form von den goldbefranzten Purpurkissen ab, auf denen sie ruhte, und der blendende Schmelz ihrer blühenden lebenathmenden Farben bezeichnete sie in der jugendlichen Frische jener Zeit, wo noch der Thron statt des Kerkers ihr Loos war, so wie das still vor sich hin träumende Lächeln ihres verführerischen Mundes schweigend zu verkündigen schien, daß damals wohl die Regungen[126] einer zärtlichen Leidenschaft, doch noch nicht der Wurm des befleckten Gewissens und der Schmerz verlorener Freiheit in ihrem Innern nagte.

Manch mitleidiges Bedauern erweckte die Erinnerung ihres Unglücks beim Anblick ihrer Schönheit bei den Herren; manch strenges, wiewohl gerechtes Urtheil von Seiten der Damen, die bei der Uebersicht ihrer Schicksale fanden, daß sie nicht durch unvermeidliche Verhängnisse, sondern größtentheils durch ihre eigene Schwäche, das Vergessen ihrer nicht nur königlichen, sondern auch weiblichen Würde, das Beleidigen alles Zartgefühls und das Verläugnen jeglicher Schaam die Dornenkrone eines schmachvollen Todes statt der zwiefachen Kronen erwarb, mit denen Natur und Rang sie geschmückt hatte.

Erna schwieg, wie sie zu thun pflegte, wenn ihr milder, aber stets der Wahrheit geheiligter Sinn, nicht zu vertheidigen vermochte. Doch hörte sie mit Aufmerksamkeit dem Für und Wider zu, wodurch man sich bemühte, die unglückliche Königin theils zu verdammen, theils zu entschuldigen.

Nun, wir wollen uns nicht streiten, sagte der Gesandte lächelnd, als die Debatten immer lebhafter wurden. Eine schmerzliche Buße, und am Ende der versöhnende Tod haben jetzt ja längst die schöne Sünderin wieder gereinigt. Ich spreche sie nicht von aller Schuld frei, aber viel, sehr[127] viel trug gewiß die Rohheit ihres Zeitalters und der schottischen Sitten, und ihr in Frankreich durch Schmeichelei verwöhnter, durch Ueppigkeit aufgeregter Charakter nebst den mehrmals verfehlten Wahlen ihres Herzens zu ihrem Verderben bei. Jung, feurig, durch Partheienhaß verfolgt, und allein stehend, hielt sie das dunkle Gefühl, das sie leitete, für Instinkt der Schutzbedürftigkeit, und wurde so zu gleicher Zeit ein Gegenstand öffentlicher Geringschätzung und eine Beute männlichen Uebermuths und männlicher Härte, von der nichts als neue Uebereilungen ihr eine Erlösung zu versprechen schienen. Ich bekenne, daß ich mir sie weit lieber als eine Verführte, Gefallene denke, deren Unglück mein Mitleid anspricht, da ungünstige Verhältnisse sie Stufenweise weiter auf den unrechten Weg drängten, wie als eine Lasterhafte, die durch eine schwarze Seele die himmlische Schönheit dieses Körpers entweihte, Mordgedanken hinter dieser anmuthigen Stirn verbarg, und schamlose Unsittlichkeit, zerstörenden Haß und Rachgefühle in diesem blendenden Busen hegte. Daher scheint mir die Anwendung des Spruches nicht unpassend auf sie: wer viel geliebt hat, dem wird viel vergeben werden.

In dieser Verdrehung des eigentlichen Sinnes jener Worte erkenne ich ganz den Diplomatiker, der gewohnt ist, seine vielseitigen Meinungen[128] unbestimmt auszudrücken, damit ihm stets ein Schlupfwinkelchen übrig bleibe, unterbrach ihn lachend die Grafin, Maria Stuart hat Viele geliebt, ob viel oder wenig – wer könnte das ergründen, und wenn er auch eben so tolerant wie Sie und noch bestochener vom Eindruck ihrer Reize wäre?

Ja gewiß, sagte Alexander, den Erna's Nähe und ihre holde Freundlichkeit allmählig in eine immer steigendere Begeisterung versetzt hatte, sie kannte in der Flatterhaftigkeit ihres gedankenlosen Leichtsinns die eigentliche Liebe, jene Himmelstochter, nicht. Sie, die nur einen Gegenstand mit der Gluth eines vollen Herzens umfaßt, nur einem das Daseyn und alle Kräfte eines durch sie geheiligten Gemüths zu widmen vermag, hätte die Unglückliche nicht so unsicher im Leben schwanken, und am Ende als Opfer ihrer eigenen frivolen Unbedachtsamkeit sinken lassen.

Er meinte in diesem Augenblick so herzlich was er sagte, er fühlte durch die Neigung, die so wahr und rein für Erna in seinem Busen aufgeflammt war, sein sonst profanes Wesen so veredelt, sich – im Endlichen das Unendliche ahnend – dem vorhergehenden Larvenleben so entrückt, und den wahren Werth des Daseyns, den er sonst im Schein und Schimmer suchte, in seiner eigentlichen Wurde anerkennend, daß es nur[129] eines fernen Entgegenkommens, nur einer leisen, aber bestimmten Hoffnung der Erhörung bedurft hätte, die unerschütterliche Basis in ihm zu gründen, die in jeder künftigen Versuchung ihn vor dem Fallen bewahrt haben würde.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 125-130.
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