5. Scene.

[33] Münzer allein. Dann Gerlind.


MÜNZER. Leichter eine Armee von Königen zu regieren, als einen Haufen aufständischer Bauern. Allmächtiger Gott, der du mich berufen hast, meinem geknechteten unterdrückten Volke Freiheit und Brot zu bringen, verwickle mir nicht unnütz die Fäden, erleuchte in jenen des Herzens Dunkel wenigstens so weit, daß sie mir nicht Steine in den Weg werfen, wenn ich komme, das Glück in ihre Hütten zu führen. Nur das verlange ich von dir, mein Gott: für das andere, für den Sieg will ich schon selbst sorgen.

GERLIND von links. Halt ein, Lästerer, erflehe nicht Gottes Hilfe zu deinem verruchten Werk. Was weiß Gott von deinem Beginnen? Er kennt dich nicht. Glaubst du, er würde zugeben, daß du unschuldige Frauen in Gefangenschaft hieltest mitten im rohen Kriegslärm des aufrührerischen Lagers? Ich schwinge keine Speere, ich führe keine Büchse – weshalb hältst du mich also gefangen?

MÜNZER. Mit gutem Grund, edles Fräulein. Uebertrefft ihr doch an Klugheit zehn Männer. Nicht eure Hand fürchte ich, aber euren Rath im Dienste meiner Feinde – und eure Augen, deren Blitzen allein ein Heer gegen mich in Waffen rufen könnte.

GERLIND. Köstlich! Nur darum, scheint es, haltet ihr mich gefangen, um mir plumpe Bauernhöflichkeiten zu sagen. Der Frauen Stimme wird im[33] Kriegsrath der Männer nicht gehört – laß mich also frei, Rebell.

MÜNZER. Gesteht, ihr sehnt euch nach den jungen schönen Rittern Thüringens. Nun, wenn sie euch wahrhaft lieben, wie sie euch so oft versichert – warum holen sie euch nicht muthig heraus aus der Mitte meiner Schaaren? Ihr solltet mir dankbar sein, edles Fräulein, daß ich euch Gelegenheit gebe zu erkennen, welcher von euren Verehrern euch am heißesten liebt.

GERLIND. Vermuthlich scheuen sie den Kampf mit solchen Helden von Bauernknechten, welche ihre ahnungslosen Gebieter zu Tausenden überfallen und ihre Töchter rauben. Genug des Geschwätzes! Ist es euch um Geld zu thun, um meine Schätze? Sie reißt ihre Halskette ab. Da ... nimm ... mein Vater soll dir noch mehr schicken, nur laß mich frei zurück zu den Meinen!

MÜNZER wirft die Perlen zum Fenster hinaus. So viel Werth hat für mich euer Schmuck, so begehre ich eurer Schätze.

GERLIND. Nun, was willst du also? – Mein Leben? – Gut, so nimm es, ich bin ja in deiner Macht, tödte mich! Nur rasch! Oder laß mich frei.

MÜNZER. Und wenn ich euch nun sage, daß ich euch nicht fortlasse – weil – weil ich euch nicht fortlassen kann –

GERLIND. Hahaha! Herrlich! Er wird mir noch sagen, er liebe mich – der Mordbrenner!

MÜNZER. Mord ...! – Gott sei Dank, sie ist ein Weib!

GERLIND. Nun ja, bist du was besseres?

MÜNZER. Mordbrenner! – Wenn ihr wüßtet, wie ich einer geworden bin! – – Mein Vater war ein Bauer im Stolbergischen. Friedlich baute er sein Korn und seine Rüben. Kein Mensch, dem er je Uebles gethan hätte![34] Mich, sein einziges Kind, zog er auf in der strengen Furcht Gottes, im Gehorsam gegen die weltliche Herrschaft. Unser Acker grenzte an den gräflichen Wald. Die hochgeborenen Herren Eber kamen immer des Nachts herüber aus dem Walde auf unser Feld und fraßen, zertraten, durchwühlten die Arbeit und den Schweiß unserer Tage, und da sie sich durch Klappern und Lärmen nicht in ihrem Treiben stören ließen, warf mein Vater mit Feldsteinen nach ihnen, so daß einmal einer, in's Auge getroffen, verreckte. Das erfuhr der Graf und ließ zornig meinen Vater in das Burgverließ werfen. Als er da unten blutrünstig und zähneklappernd drei Tage gelegen, schickte der Graf nach meiner Mutter. Gott, wie war sie schön, mit ihren blitzenden blauen Augen, ihren langen, blonden Zöpfen! Soll ich euch wiederholen, um welchen Preis er den Vater frei lassen wollte? Sie warf mit ihren kräftigen hannöver'schen Bauernhänden den schurkischen Knecht, der ihr das Ansinnen stellte, vor die Thür. Da ließ der Graf sie und mich auf das Schloß schleppen, und uns gegenüber ward mein Vater in Ketten gebracht, siech, verfallen. Und der Graf verlangte von ihm, er solle die Mutter auffordern, sich ihm zu Willen zu geben, und weigere er sich, so werde er vor seinen und meinen Augen seinem Willen Geltung verschaffen. Da vermochte mein Vater nicht an sich zu halten, die letzte Kraft, die ihm noch geblieben, nahm er zusammen, zerriß die Fesseln und sprang dem Unthier in Menschengestalt an den Hals. Die Knechte rissen ihn zurück. Zwei Tage später standen die Mutter und ich an dem Galgen, an den man ihn gehangen. »Sei ruhig, mein Kind,« sprach die Mutter, sprachen die Verwandten zu mir, der weinend, glühend und hungernd dastand, »wir sind eben Bauern, für uns giebt es kein Recht, für uns giebt es kein Brot, wir müssen eben dulden. – »Nein,«[35] schrie es da auf in meiner jungen, zehnjährigen Seele, nein, nein, nein! Auch ich bin ein Mensch wie dieser Graf – und warum soll er das Recht haben, Tausende, wie ich bin, zu martern, zu quälen, zu zerbrechen wie Holzscheite? Und als alle fortgezogen waren, kniet' ich nieder am Fuß des Galgens und gelobte weinend: »Wartet, ihr Bauern, ich bringe euch das alte Recht zurück, wie ihr es besessen von Uranfang an, wie ihr es noch gehabt zu Hermann's Zeiten, da noch kein Edelmann gelebt im deutschen Lande – ich werde euch frei machen von Schmach, und ein Recht soll fürder herrschen im deutschen Vaterlande für Alle!« Und da kam's wie eine göttliche Eingebung über mich, und Plan und Ziel und Mittel standen so klar vor dem Auge des zehnjährigen Buben, als wäre ich ein Greis und hätte mein ganzes Leben lang auf nichts anderes gesonnen. Ein heiliges Feuer durchglühte meine Adern. Fünfzehn Jahre war ich alt, ein halbes Kind noch, als ich meine erste Verschwörung anzettelte wider die hartherzigen Vornehmen und Reichen, ihnen zu zeigen, daß der Müßiggang und das Lodderleben nicht ewig triumphiren sollten über den Fleiß und den Schweiß, und daß nur eines in Zukunft gelten sollte im deutschen Lande: die ehrliche, unablässige Arbeit. In Thüringen, in Schwaben, im Elsaß hab' ich gesprochen und gefochten für die Rechte der Enterbten und Rechtlosen, zu deren Unterdrückung sich alles vereinigt, Kaiser und Papst, Edelmann und Dickwanst Bürger – halb Deutschland hab' ich in Aufruhr gebracht für meine heilige Sache – reißend schwillt mein Heer an wie ein Gebirgsbach im Frühling – und ich werde siegen oder an der Spitze meiner Schaaren untergehen: das schwöre ich dir, der Mordbrenner! – Pause.

GERLIND. Und das Alles berichtest du so offen und schamlos mir, der Tochter des Grafen von Farnrode?[36]

MÜNZER. Wohl, Tochter des Grafen von Farnrode, wiederhole das Wort doch noch einmal – schleudere es mir noch einmal in's Gesicht, – wie war es doch: Mord–

GERLIND. Genug! Wendet sich ab.

MÜNZER. Wiederhole es mir noch einmal, und du sollst frei sein, du sollst auf der Stelle ungehindert gehen dürfen, wohin du willst. Lockt dich das nicht? Nun wohl, ich harre –

GERLIND schweigt.

MÜNZER mit blitzenden Augen. Nun – sprich – oder wenn du es nicht wagst, wenn dein Herz deinem Munde Ketten anlegt, so habe den Muth auszusprechen, was dein Herz empfindet, empfinden muß, wenn es neben tausend Centnern Adelsstolz noch ein Quint Menschlichkeit in sich trägt, so sprich: Münzer, ihr thut Recht –

GERLIND sich heftig zu ihm wendend. Also schnell – laß mich zum Scheiterhaufen schleppen – ich bin ja in deiner Macht, ich gehöre ja auch zu dem verhaßten adligen Gezücht –

MÜNZER. Bei der Reinheit deiner stolzen Seele, der, ich sehe es, noch nie ein Wort der Lüge gelungen ist, beschwöre ich dich, Gerlind, antworte mir ... glaubst du, daß der Sieg meiner Sache bleiben wird, daß ich meinem Volke Befreier und Erretter sein, und durchführen werde, was ich begonnen – sprich,. ich verlange es von dir ... ich harre auf dein Wort, wie ein zweifelnder Kranker auf den Ausspruch des großen Arztes, zu dem er sich an Krücken hingeschleppt – ich glaube an dich –

GERLIND. Du kannst mich nicht zwingen, dir zu antworten –

MÜNZER. Ich flehe dich darum an –

GERLIND mit furchtbarer Selbstüberwindung. Nun[37] denn ... ja, du wirst siegen ... ich fühle es, ich sehe es, Entsetzlicher –

MÜNZER. Und du weißt, daß die Sache deiner Partei eine verlorene ist, du weißt, daß ihr Alle, Alle untergehen müßt, weil die absterbende Eiche sich vergeblich gegen den Sturm in's Erdreich einklammert – er zerspellt sie mit einem Stoß in Trümmer, denn sie ist faul und morsch durch und durch ... und willst doch zurückkehren in den Schoß der Todtgeweihten? Gut, du bist frei ... geh'! – So geh' doch ... zurück zu den deinen ... und wirf dich in die Arme eines deiner jungen adligen Rüpel, der entarteten, ausgemergelten Buben, deren Leben ein ununterbrochenes Saufgelage ist, die bei einer Mahlzeit den Schweiß eines Dorfes verprassen, die nur in Flüchen und rohen Witzen zu reden verstehen, sich Helden dünken, weil sie einmal für ein Jahr in des Kaisers Heer eintreten – gewollt, und von den Siegen zu erzählen wissen, die sie über Bauerndirnen gewonnen, bei denen sie rohe Herrengewalt und klimperndes Geld zum Siege geführt. Geh' und werde die Gattin eines solchen – aber sieh' dich vor, daß er dich noch heut' zum Brautbett führt, denn die Stunde jener Aller ist gekommen, und morgen könntest du schon Wittwe sein.

GERLIND. Kennst du mich so gut? daß du nicht weißt, wie ich diese Jugend verabscheue, mehr als du. Lieber dem Großtürken in seinen Harem folgen, als einem jener Buben in's Ehebett!

MÜNZER. Und du wolltest einsam und liebeleer durchs Leben gehen? So viel Schönheit sollte zur Sommerszeit hinter dem Ofen vor Frost sterben, nur weil dein anerzogener Adelsstolz sich wie eine Schlange zwischen dich und mich legt? Nimmer! Gerlind, wende dich nicht ab – du liebst mich, ich weiß es – so besitze auch die Kraft, der Schlange den Kopf zu zertreten, oder bei Gott, ich will mit ihr kämpfen, bis[38] sie den Balg läßt. An jenem Tage, als ich dich unter Rauch und Trümmern und Flammen auf meinen Armen aus deiner brennenden väterlichen Burg in mein Lager hinüber trug: an jenem Tage brach die Mauer, die blöder Unverstand zwischen Menschen und Menschen gezogen, seit jenem Tage liebe ich dich heiß und glühend, weiß ich, daß wir zwei einander angehören müssen. Die Welt wird eine andere, die Welt erneut sich, Gerlind; der Bauer streckt die Hand aus nach der Tochter des Grafen – aber wenige Stunden noch und der Bauer ist der Herr der Welt, denn auf des Bauern Seite ist die Jugend, die Kraft, die Sonne, der Sieg!

GERLIND. Die Sonne, der Sieg!

MÜNZER. Ich wag's und greife hinein in die Sterne, und hole mir aus dem Kreise der ewig Wandelnden den Stern der Liebe herunter und stecke ihn als Wahrzeichen an mein Haus – an mein Haus, in das du als Gebieterin einziehen sollst, Geliebte. Gerlind, komm in meine Arme, wenn du an mich glaubst, wenn du mich liebst –

GERLIND. Euch? Fort die Hand, die ausgestreckt ist, meinen Vater zu ermorden –

MÜNZER. Die ausgestreckt ist, dich durch Stürme und Klippen und Wogen in das Haus der Zufriedenheit und der Liebe zu tragen: wir selbst unter Millionen Freien und Glücklichen die freiesten und glücklichsten – Gerlind –

GERLIND. Aufrührer – Mordbrenner – was zieht's mich so unwiderstehlich zu dir? Sie stürzt in seine Arme.

MÜNZER. Weil der Himmel uns von Weltanbeginn für einander bestimmt hat. Mein Weib! – – Mein Weib! – Mein holder, wilder Falke! – Nicht wahr, jetzt bleibst du für immer bei mir, kehrst nimmer in dein altes Raubnest zurück?[39]

GERLIND. Nimmer – nur dies eine Mal – heute noch –

MÜNZER. Weshalb – was suchst du noch dort?

GERLIND. Soll Jemand auf der Welt leben, der von mir glaubte, ich hätte mich hier durch Gewalt zurückhalten lassen, ich hätte nicht die Kraft besessen, mich frei zu machen? Nein, als freien Entschluß will ich ihnen verkünden, daß ich mein Glück in deine Hand gegeben, daß ich dir folgen will –

MÜNZER. Und sie werden dich zurückhalten, dir Fesseln anlegen –

GERLIND. Sie sollen's versuchen, mich zwingen! Der soll noch geboren werden, der mich zurückhalten möchte, wo ich nicht bleiben will –

MÜNZER. Gut – ich weiß, daß du stark bist, ich hab's in diesen Tagen gesehen, da keiner der rohen zudringlichen Bauern sich dir auch nur zu nähern wagte. Aber wirst du auch freiwillig zu mir zurückkehren, Gerlind?

GERLIND. Was soll das? Jetzt gerade verlange ich, daß du mich bittest zu gehen – als einen Beweis deines Vertrauens – du mußt mich achten, wenn ich dich lieben soll –

MÜNZER. So thu', was du für gut hältst –

GERLIND. Wohlan –

MÜNZER. Geh' und Scherzend. zweimal vierundzwanzig Stunden geb' ich dir, bist du bis dahin nicht zurück an dieser Stelle, so hole ich dich mitten aus der Schaar der Deinen heraus in mein Lager, den steilen Berg klimme ich hinan, wie eine Gemse schwing' ich mich an der glatten Mauer empor –

LÄRM hinter der Scene. Wir sind verrathen! Wir sind verrathen!

MÜNZER. Was soll das?

GERLIND tritt nach dem Hintergrund.


Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888, S. 33-40.
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