7. Scene.

[85] Münzer. Jacobe. Wache.


WACHE. Meister, diese Frau verlangt vor euch geführt zu werden –

MÜNZER. Was bringst du?

JACOBE. Das ... verzeiht ... ich darf es nur unter vier Augen –

MÜNZER. Sollte ein Anschlag – sprich nur offen!

JACOBE leise. Ich komme von ihr, von Fräulein Gerlind!

MÜNZER. Von Gerlind?

JACOBE. Kennt ihr mich denn nicht mehr. Die alte Jacobe, ihre Amme. Ich kannte euch gleich wieder, seit dem Tage, da ihr so schnellen Abschied genommen und wie durch Hexerei verschwunden seid –

MÜNZER zur Wache. Laß uns allein! Wache ab. Gerlind – wie geht es meiner holden, geliebten Braut?

JACOBE. Sie sitzt daheim und lehrt die Eulen im Verließ euren Namen aussprechen, und fühlt sie es ihre Wangen feucht hinabrinnen, so weiß sie nicht, sind's ihre eigenen Thränen, sind's die, welche das alte Gemäuer in Theilnahme ihres Unglücks weint.

MÜNZER. Mein süßes Mädchen gefangen im Verließ? Graf Dietrich von Farnrode, das sollst du mir theuer büßen! Friert sie, leidet sie Hunger – sprich! Daß mich nicht eiserne Bande hier festhielten! So rede doch! Wie ist deine Zunge so trag! Weib, ich erdrossle dich! Sprich, ist sie krank? Wie wäre es anders möglich – in der modrigen, dumpfen Luft! Auf euch die Schuld, wenn ihr nur eines ihrer schönen seidnen Haare ausfällt!

JACOBE. Was können wir armen Weibsen gegen die rohe Macht des Castellans und der Burgwache, denen der Graf die strengsten Befehle ertheilt hat?[86] Wir können sie nicht allein von den Thüren abdrängen, nicht mit unsern Armen die schweren Riegel heben.

MÜNZER. O, daß der Kampf schon vorüber wäre! Aber ich will ihn beginnen, ich will die Gunst meiner Stellung aufgeben, ich will in das Lager der feinde einbrechen, nur um eine Stunde früher zu keiner Rettung eilen zu können, Gerlind. Noch in dieser Nacht – nur einen Tag noch –

JACOBE. Und gerade unterdeß verschmachtet sie vielleicht in ihren Mauern und ihr kommt zu rechter Zeit eine Leiche zu umarmen. Hört mich, ... doch Niemand darf es wissen ... wenn unser Graf es erführe ... der Gräfin geht das Leid ihres Kindes zu Herzen – ihr wißt, eine Mutter giebt ihrem einzigen Kinde Alles nach, um es nur nicht unglücklich zu sehen ... mit blutendem Herzen würde sie – nicht etwa einwilligen – behüte Gott, das kann sie nie ... als Gräfin ... aber euch keine Hindernisse in den Weg legen, – wenn ihr eure Braut würdet befreien wollen – Diese Nacht, hört ihr – es ist Neumond ... daß euch die Wachen nicht störten, würde die Gräfin Sorge fragen ... ihr müßtet auf der Stelle fliehen ... eine Säge würde vielleicht auch vor der Kerkerthür liegen ...

MÜNZER. Ha, jetzt erkenne ich dich, Gaunerin – du bist gedungen mich in eine Mörderhöhle zu locken ... Schüttelt sie.

JACOBE. Um Gottes Willen, Ritter – Meister – was fällt euch ein? Laßt mich los, ihr würgt mich ja. Freilich, ich merke schon – ihr sucht nach Ausflüchten – ihr seid auch wie Alle und euer Muth ist nur ein Schaugericht aus Schaum, das man beileibe nicht an die Zunge bringen darf. O meine arme Gerlind – solches Mißtrauen mir, deiner besten Freundin? Wie hat dich deine Hoffnung getäuscht! Da ich von dannen zog, rief sie mir noch aus der[87] Tiefe ihres Kerkers nach: Grüß' meinen Mordbrenner, sag' ihm, daß ich auf ihn baue!

MÜNZER. Das sagte sie? Das weißt du! Verzeih, ich that dir Unrecht! Geh', bring' ihr tausend Grüße von mir, sag' ihr, bald werde ich bei ihr sein, so wie ich die Reihen meiner Feinde auseinandergesprengt. Morgen schon hoff' ich an ihres Kerkers Thüre zu klopfen, sie auf mein Roß zu heben und mit ihr die Gaue des freien Deutschlands zu durcheilen. Geh' jetzt, du bist nicht mehr lange sicher hier, schon in wenigen Stunden können hier an dieser Stelle die Kanonenkugeln fliegen – sag' ihr, mein Sieg ist auch ihre Rettung, und sie möge in ihrer Klause für uns beide beten.

JACOBE. Was helfen fromme Wünsche? Rettung thut Noth! Liebt ihr? Wißt ihr, was Liebe ist? Wär ich ein junger Held wie ihr – ich wüßte es schon, auf Sturmesflügeln eilte ich hin zu ihr, die mein Herz besitzt, nichts anderes sähe ich vor mir als nur sie, das blaue Strahlenauge trübe und verweint, die weichen Wangen abgehärmt, den herrlichen Nacken gebeugt – nichts sähe ich als ihre Noth, nichts hörte ich als nur die eine Stimme: sie muß frei sein, sie darf nicht einen Augenblick des Jammers kennen.

MÜNZER. Naht auch mir der Satan in Gestalt eines Weibes? Weib, versuche mich nicht, ... ich habe ein Herz, das liebt, und glühend liebt – aber ich habe auch ein Gewissen, dem das Wort »Pflicht« kein Rauchbild ist. Stachle mich nicht auf gegen mich selbst!

JACOBE. Ihr ein Herz. Wer das glaubte! Wenn nicht das Glück, das euch winkt, euch das Blut wie eine Sturmfluth durch die Adern peitscht – ihr reitet allein mit eurer Holden über das weite, nächtliche Feld, sie ruht fest und warm an eurem Herzen – sie hat keine Eltern mehr, sie hat nur noch euch –[88] und als Dank der Rettung giebt sie sich euch selbst – noch in dieser Nacht wird sie euer Weib! – Und ihr sagt: später! später! – Erst müßt ihr hier ein paar Dutzend Köpfe heruntergeschlagen haben!

MÜNZER. Kupplerin! Welche Bilder führst du mir vor die trunkne Seele! Still, ich will nichts weiter hören! Sie mein – noch in dieser Nacht – nein, nein – ich würfle hier um eine Krone – für sie – und da man mir den Becher gerade reicht, soll ich ihn von mir werfen um die Schenken zu küssen, indes ein Anderer sich das All erringt! Und doch – wie süß ist dieser Kuß! Nein – nein – schweig, schweig – du sprichst zu einem Manne!

JACOBE. Wär' ich ein Mann, ich wüßte mir nichts Männlicheres in der Welt, als mir durch eine kühne That das Weib zu holen, das mich liebt und für das ich glühe.

MÜNZER. Schwatz mir den Himmel nicht grün! ihr Leid schneidet mir in die Seele, doch die eine Nacht mehr wird sie nicht tödten –

JACOBE. Und dich nicht um den Sieg bringen, denn der Feind wird vor dem morgigen Tage nicht angreifen. Ihm böte heut ein Nachtgefecht größere Gefahr als dir, und schon graut der Abend. So viel verstehe ich auch vom Kriegswesen. Und du könntest zurück sein, lange bevor der Morgen tagt.

MÜNZER. Wohl wahr! doch die Gefahr ist hier die größere! Dem Sieger wird Gerlind's Kerkerthür nicht widerstehen.

JACOBE. Nur, daß du sie hinter derselben nicht mehr finden würdest, denn der Burgvogt empfing den strengsten und ausdrücklichsten Befehl des Grafen, Gerlind auf der Stelle zu tödten, falls die Schlacht einen unglücklichen Ausgang nehme und das Heer fern von hier fliehen müßte. Der Grausame will sie lieber todt als in den Armen seines Todfeinds wissen.[89] Und sei gewiß, der grimme Landsknecht würde keine Schonung kennen! Sie ist so oder so verloren, wenn du sie nicht rettest!

MÜNZER. Still, still! Ich darf ja nicht – eiserne Ketten sind's, die mich an diesen Boden fesseln, und ein ganzes Volk fällt mir in den Arm, wenn ich sie abstreifen will. Still – man kommt – verbirg ich – man darf dich nicht sehen – Verbirgt sie hinter einem Vorhang.


Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888, S. 85-90.
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