8. Scene.

[90] Vorige. Pfeifer. Später Hans. Bauern.


PFEIFER. Ein neuer Zug aus Hannover ist zu uns gestoßen, doch sie haben keinen Proviant mitgebracht. Das Korn fängt an knapp zu werden, wir müssen unter allen Umständen so bald als möglich Schlagen, damit wir uns die Kornlager der nächsten Städte eröffnen. Unsere Vorposten melden, daß sich im Lager der Gegner eine lebhafte Bewegung zeigt, ein verdächtiger Lärm Thomas, welche Lust, wenn wir noch heut zum Schlagen kämen – ich brenne vor Kampfbegier –

MÜNZER. Thorheit! Der Tag ist zu Ende und in Nachtgefecht werden sie nicht wagen Es ziehen zudem dunkle Wolken herauf, wir bekommen ein Gewitter in der Nacht. Ich muß das Lager auf einige Stunden verlassen, mich ruft ein dringendes Geschäft – frage nicht welcher Art – ich darf es dir nicht sagen – es liegt keine Gefahr vor, doch möchte ich, daß du auf alle Fälle hier für kurze Zeit den Oberbefehl übernahmst.

PFEIFER. Ich – du – ich habe nicht recht gehört – nein, es ist unmöglich. In diesem Augenblick[90] willst du dich entfernen, da die beiden Wolken ich nähern und in jeder Sekunde der zündende Funke von einer zur andern springen kann? Da der Erfolg Balles dessen auf der Spitze steht, wofür wir seit fahren mit allen Kräften kämpfen? – Nein, nein, es ist kindisch.

MÜNZER. Vor morgen ist an keine Schlacht zu denken, sage ich dir – und vor Mitternacht bin ich heim. Und käme es zum Kampfe: sei doch glücklich, daß dann dir der Ruhm zufiele, deinem Volk das Brot errungen zu haben. Wir sind durch eine Schule gelaufen, und was ich gelernt habe, hast du nicht vergessen. Der Landgraf, ich weiß es, erwartet noch Verstärkungen –

PFEIFER. So ist es Zeit ihn anzugreifen, ihn um Angriff hervorzulocken, nicht ihm Ruhe zu lassen bis er stark genug ist uns zu verschlingen, noch auf Abwegen zu wandeln. Thomas, soll ich dir die Wahrheit sagen? Hinter deiner Ausfahrt steckt ein Weib! Läufen es mir nicht ab! Fluch den Weibern, sie machen durch ein Augenzwinkern aus dem besten Mann den gewissenlosesten Buben!

MÜNZER. Schon wieder diesen Ton, Pfaffe von einst ich mag ihn nicht hören!

PFEIFER. Denk' an dein Volk, denk' an all die Tausende, die ihren Leib und ihre Sache dir blindlings vertrauten und dir gefolgt sind, weil du ihr Ohr mit deinen Versprechungen anfülltest, ihnen das Brot zu schaffen, dessen sie bedürfen. Was sagst du mir, du seiest kein Knabe, da ich dich doch an deine Pflicht mahnen muß. Meinst du ich wüßte nicht, daß der Mensch auch ein Ding besitze, welches sich Herz nennt? Doch mit dem Klang der Trompete muß es schweigen, und nur die Pflicht hat noch Anspruch auf Gehör. Zwischen seine Liebe und sein Volk gestellt, muß der Mann, der so weit gegangen wie du, für den es kein[91] »Zurück« mehr giebt, auch die Kraft haben, seiner Liebe zu entsagen, wenn ihn die Schulknaben nicht als Schwächling verhöhnen sollen.

MÜNZER. Volk – und Volk und immer wieder Volk! Sie sind mir gefolgt, ich habe sie geführt, so weit ich konnte – giebt's etwas, was mich ewig an sie fesselte?

PFEIFER. Das fragst du noch? Hast du auch deine Erinnerung verloren? Dein Eid!

MÜNZER. Haha! Als ob sie mir den nicht schon längst selbst zurückgegeben hätten, durch die tausend Beispiele von Ungehorsam, durch ihre Zwistigkeiten, ihre Erbärmlichkeiten, ihren Neid – man wird es müde um's Brot zu ringen für die Zerstörer der Backöfen!

PFEIFER. Du frevelst, wenn du in dieser Stunde, der ernstesten, die das Vaterland seit Hermann's Zeiten durchlebt, von diesen Kleinigkeiten und den Kränkungen deiner Person zu sprechen wagst. Hier gilt's das große Ziel, die Sache von Millionen! Wenn jetzt der Heiland vom Himmel niederstiege und Alles strömte hinaus vor's Thor ihn mit Hallelujah zu begrüßen – wer würde wagen Klage zu erheben, daß ihn sein Nachbar auf den Fuß getreten! Thomas, wenn du ein Deutscher bist, wenn du nicht in diesem Minute dein ganzes bisheriges Leben einen schlechten Witz nennen willst, den du dir mit der Menschheit erlaubtest – so bleibst du, oder du verdientest bei Gott um solchen Witzes willen alle Martern der Höllenverdammten tausend Mal des Tages tausend Jahre lang zu erleiden.

JACOBE ist schon vorher vorgetreten, heimlich. Und so stirbt Gerlind in der Fieberluft des Kerkers oder von der Hand des rohen Vogtes –

MÜNZER. Allmächtiger Gott, warum erschufst du Weiber?

PFEIFER. Wendet sich das Kriegsglück gegen[92] uns und du bist fern – hast du den Muth, das Elend deines Volkes zu verantworten, gegen das seine bisherigen Leiden paradiesische Genüsse gewesen? Fühlst du dich so stark, daß Millionen Flüche, über den ganzen Erdkreis gestöhnt, dir nur ein spöttisches Lächeln ablocken können? Dann geh'!

JACOBE leise. Fühlst du dich im Recht, den Sonnenstrahl der Liebe Nacht zu nennen und dem Irrwisch der Ruhmsucht zu folgen, ein Herz zu zerschmettern, das nur in dir lebt und dich reicher und glücklicher machen möchte als der indische Mogul ist? Dann bleib!

PFEIFER. Wer ist das Weib? Daß ihr der Donner den Mund stopfe! Will auf sie zu.

MÜNZER. Das Weib steht in meinem Schutze, Heinrich!

JACOBE halblaut. So ist's entschieden, ihr bleibt? Auch gut. So laßt mich zurück zu Gerlind, ich will ihr sagen, daß Alles nur der Traum einer Mainacht gewesen, ich will hinüber in's andre Lager zu dem edlen Ritter Helldrungen – Vielleicht hat sie sich jetzt besser besonnen und entschließt sich jetzt diesem die Hand zu reichen, der sie schon einmal gegen ihres Vaters Wuth schützte, da ihr fern waret und sie von euch trotz seines Drohens nicht lassen wollte.

PFEIFER. Wag' es zu gehen! Das ganze Heer will ich zusammenrufen, den armen Verführten, die dein Wort hierher unter Waffen getrieben, will ich's entgegenschreien, daß ihr Führer im Begriff steht, sie zu verrathen, weil er seine Leidenschaft nicht um einen Tag zu zügeln gewußt –

MÜNZER. Verrath? Das mir? Ich könnte dich auf dieses Wort hin in Ketten werfen lassen

PFEIFER. Du wagst es mir zu drohen, der ich den besseren Theil in dir zum Kampfe wider den schlechteren aufrufe? Mich in Ketten werfen? Versuch' es![93] Zehntausend werden aufstehen mich zu befreien. Thomas, ich sage dir, zügle deinen Sinn, löse deinen Schwur ein – oder bei Gott, das Schwert säße zwischen deinen Rippen, bevor du einen Schritt aus diesem Zelt gethan. Willst du deinen Eid halten oder nicht? Antworte! Zieht sein Schwert.

JACOBE. Allmächtiger – Mord – Todtschlag – zu Hilfe!

MÜNZER. Das Schwert gezückt gegen deinen Feldherrn? Ich thue dir den Gefallen nicht das meine zu lockern, Aufrührer, ich werde anders – Wache, he Wache! Verhaftet diesen Empörer –

WACHE. BAUERN stürzen herein. Schwerterklirren – Streit – Meister, was giebt's? – der Meister will fort –

PFEIFER. Unglückliche – Verführte, vernehmt es, ihr seid betrogen, euer Meister –

HANS stürzt zwischen Pfeifer und Münzer. Halt, um Gottes Willen, halt! Welch' unglückseliger Stern erweckt den Geist der Zwietracht zwischen euch? Wollt ihr Alles, was bisher in Jahrzehnte langer gemeinsamer Arbeit geschehen, in einer Sekunde der Übereilung vernichten? Sollen diese leicht bewegten Massen, vom Schauspiel der Uneinigkeit ihrer Führer erregt, thatlos auseinander laufen im Angesicht des Feindes, am Vorabend des Sieges, des Tages der Freiheit? Seid einig, ich beschwöre euch! Und Meister, vertraut ihr denn gar nicht auf euren Glücksstern, der euch bisher nie betrogen? Steht ihr nicht in der besonderen Gunst des Himmels Ist euer Glück nicht eine nimmer irrende Uhr? Wie sollte sie sich diesmal um vierundzwanzig Stunden verspäten?

MÜNZER der in sich gekehrt dagestanden. Gut, gut, du sprachst ein wahres Wort, Hans; habe Dank! Heinrich, hier meine Hand, ich bleibe!

PFEIFER. Ist das dein heiliger Ernst?[94]

MÜNZER. Hier meine Hand!

PFEIFER schlägt ein. Und hier mein Herz! Hab' ich es nicht gewußt? Das Edle lebt in dir, du darfst dich nur auch einmal des Weckens nicht verdrießen lassen.

MÜNZER. Hier, Wache – führ' diese Person des Weges zurück, den sie hergekommen!

JACOBE. Gerlind! Gerlind!

MÜNZER. Und ihr geht wieder in eure Hütten und Zelte! Und wenn ihr vom Feind her etwas Verdächtiges bemerkt, so meldet mir's. Gute Nacht!

BAUERN. Gute Nacht, Meister!

PFEIFER für sich. Ich traue ihm – das ist der Ton eines ehrlichen Mannes. Ich will um meinen Freund herum nicht spioniren. Welch verhaßtes Geschäft! Laut. Du hast gehandelt wie ein Mann. Gute Nacht! Ab.

MÜNZER zu Hans. Du denkst an das, was wir vorhin gesprochen?

HANS. Ich habe schon begonnen ihm Wirklichkeit zu geben. Ab.


Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888, S. 90-95.
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