6. Scene.

[107] Hans. Landgraf. Dietrich. Helldrungen. Probst. Morgengrauen.


HELLDRUNGEN. Beim Satan, wer singt hier? Was, ein Bauernbube? Heulen sollst du und mit den Zähnen klappern. Wer ist in der Hütte?

HANS. Ein armes Bauernweib, Herr, das krank und siech auf dem Stroh liegt. Erschreckt sie nicht, lieber Herr, ich bitte euch, ziehet weiter, der Lärm ist ihr Tod!

DIETRICH. Kommt, kommt, Helldrungen, wir müssen den Münzer fangen.

HELLDRUNGEN. Gemach, wir wollen uns diesem Bauernweib doch erst einmal genauer betrachten. Der Bursche scheint mir doch das Lügen schlecht gelebt zu haben. Platz da![107]

HANS. Ich beschwöre euch –

HELLDRUNGEN. Nichts. Ist's eine Kranke, so soll ihr nichts geschehen! Platz!

HANS. Ihr kommt hier nicht hinein, Ritter.

HELLDRUNGEN. Ach, steht es so? Willst du mich hindern?

HANS. Ja!

HELLDRUNGEN. Alberner Bube, nimm eines hinter die Ohren! Erschlägt ihn, stürmt hinein.

DIETRICH eilt ihm nach bis zur Thür. Helldrungen, ist es Münzer, so überlaßt ihn mir, ich will den Buben an beiden Löffeln meinen Jagdhunden zum Spielen vorwerfen!

PROBST. Einerlei, ob er es ist, ob nicht, der Sieg ist unser, den kann uns kein Teufel mehr entreißen.

DIETRICH. Man meldet mir soeben, daß man einen der Haupträdelsführer, Heinz Pfeifer, nach heftiger Gegenwehr gefangen habe.

PROBST. Schließt ihn in Eisen und führt ihn nach Mühlhausen. Dort wartet der Henker schon und schleift seine Beile. Das wird keine kleine Heumahd! Für jedes Haus, so das aufrührerische Volk in deutschen Landen angezündet, ein Dutzend Bauerndörfer! Der Preis ist wahrhaftig nicht zu hoch!

DIETRICH. Nur schade um die kostbare Zeit! Erfände nur noch Einer 'mal eine Maschine, zwölf Köpfe mit einem Male herunterzuschlagen, das wäre doch noch etwas!

LANDGRAF. Nicht so grausam, ihr Herren! Bedenkt, Niemand hat heftiger gegen sie angekämpft denn ich. Doch es waren arme Verführte, die Wenigsten wußten wohl gar, um was es sich gehandelt. Sorgt, ihr Herren, daß nicht in Zukunft Einer sagen müsse, der in den Urkunden unserer Tage forscht: Hätten die Bauern gesiegt, es wäre schlimm geworden –[108] doch die Herren siegten, und es ward schlimmer. Die letzten Donner sind verhallt und rein und hell steigt der junge Tag empor – o laßt auch ihr, was hinter uns liegt, abgethan sein wie die Wetterschrecken dieser Nacht. So ist auch die Meinung des Mannes, dessen begeisternde Worte allein dieses Heer zusammengebracht haben, Luthers, meines Freundes, des wahren Siegers von Frankenhausen.

DIETRICH. Je nun, wir werden sehen, wie weit in einzelnen Fällen Gnade Platz greifen kann. Die Macht und das Recht sind unser. Doch wo bleibt Helldrungen – das ist ja – horch, war das nicht Lärm da drinnen –

MÜNZER bleich, aus vielen Wunden blutend herausstürzend, hinter ihm Helldrungen.

HELLDRUNGEN. Ergieb dich, Hund, ergieb dich, an den Galgen sollst du, ein ehrlicher Soldatentod wäre viel zu gut für dich!

ALLE in Bewegung. Münzer.

DIETRICH. Schlagt ihn nieder, reißt ihm jedes Glied einzeln vom Körper –

MÜNZER mit schwacher Stimme. Laßt mich, ihr Alle, laßt mich, ob ich auch aus hundert Wunden blute, mich bekommt ihr nicht! Und öffnete sich jede meiner Adern und stromweis entflöhe mir das rothe Leben: sie muß ich finden ... nur bei ihr kann ich sterben ... weicht Alle, noch hab' ich Kraft! Hebt das Schwert.

DIETRICH. Hund, du wagst noch zu schmähen –

MÜNZER steht vor der Leiche Gerlinds. Ah ... ist das ein Narrenspiel. Nein ... nein, das ist Wirklichkeit ... das ist der Tod, der kalte, bleiche Tod ... Gerlind ... Das Schwert entfällt seiner Hand, er stürzt an Gerlind's Leiche nieder.

DIETRICH. Meine Tochter? Tritt hinzu, erschüttert. Heiland der Welt![109]

MÜNZER. Ja, das ist deine Hand ... das sind deine lieben Lippen, die ich so oft geküßt ... wie blaß, wie blaß! Geschlossen, gebrochen das Aug', deß sonnenhafte Strahlen so kühn in meine Seele geblitzt ... todt ... todt ... mein Engel, mein Dämon von mir geschieden ... jetzt bin ich nur noch ein schwacher, erbärmlicher Mensch wie Tausende ...

DIETRICH. Gerlind ... mein Kind ... warum bist du mir entflohen ... Gerlind, kommst du nicht mehr zurück? ... Jetzt fühle ich, was es heißt, Vater sein ... Und er hat sie mir gemordet, er ... Er greift nach seinem Schwert. Helldrungen, gieb' ihm sein Theil ich kann's nicht ... Helldrungen, räche sie an ihm, der sie hierher gebracht hat ... du hast sie auch geliebt –

HELLDRUNGEN. Fürwahr, an dieser Leiche verstehe ich Alles. Was sind wir Menschen!


Probst hat zwei Landsknechten Befehl gegeben, sich Münzer zu nähern; sie fesseln ihn.


MÜNZER. Nehmt mich, macht mit mir, was ihr wollt – schleppt mich auf's Blutgerüst ... Die Meinen hab' ich verrathen, der Fluch meines Volkes hastet unauslöschlich an mir, die Einzige hab' ich in den Tod getrieben, die mir Alles ersetzen konnte – was ist mir noch das Leben – Landsknechte haben Haufen gefangener Bauern auf die Bühne gebracht. Doch für diese da bitt' ich um Erbarmen ... sie sind unschuldig ... sie sind nur meine Werkzeuge gewesen ... ich bin ihr Verführer ... versprecht mir, sie milde zu behandeln.


Die Ritter schweigen.


RODER gefangen. Natürlich! das ist ja der alte Lauf der Welt! Der gemeine Mann zahlt die Kosten, sein Blut ist der Preis für die Liebschaften seines Herrn: er ist am Schluß immer der Betrogene, und Tyrannen oder Volksbefreier, die einen sind gleich Schurken wie die andern. Du, du hast uns Alle in's Unglück gestürzt ... pfui ... Er speit nach ihm.[110]

MÜNZER. Schweigt, Undankbare! Ich hätt' euch Alles geopfert, hätte nur eure Liebe mir Alles ersetzt! Doch was hattet ihr für mich als Ungehorsam, Widerstand und Undank? Wer rechnet es mir zum Verbrechen an, daß ich ein Mensch war, daß heißes Blut in meinen Adern brausend geflossen, indeß durch die euren sich rothgefärbtes Wasser mühsam durchgequält? Euch Fürsten, Herren und Bürger, die ihr jetzt die Zügel widerstandslos in Händen habt, euch fleh' ich an, überhebt euch eures Sieges nicht! Bedenkt, es sind nicht Neger, Deutsche sind es, über die ihr herrscht, mit denen ihr lebt! Bereitet ihnen ein menschenwürdiges Loos, laßt sie die Früchte ihrer sauren Arbeit selbst genießen, begnügt euch mit dem, was euch gebührt und sorgt als Väter für die, die bisher in eurer Frohn statt Reichthum Siechthum erwarben ...

DIETRICH. Halt dein Schandmaul und untersteh' dich nicht uns gute Lehren geben zu wollen, sonst soll dieser Kolben –

LANDGRAF. Nicht weiter, Graf Dietrich, habt Ehrfurcht vor dem Unglück. Dieser fiel, sein Frevelwerk mußte vergehen, weil es auf Mordend Brand gerichtet war, und alle, die ihm folgen, werden scheitern, weil Volksbeglücker Engel sein müßten, und doch nur schwache sündige Menschen sind wie wir Alle. Die Welt, ihr Herren, urtheilt nach dem Ausgang. Münzer endet aus dem Block – und die Nachwelt wird seinen Namen zu den Empörern und Verräthern werfen und uns als die Erretter unseres Volkes preisen. Hätte Gottes Fügung ihm den Sieg gegeben, wer weiß, in welchen Höllenabgrund sie euch und mich verbannte – jenen aber stellte sie neben die erlauchtesten Haupter aller Zeiten. Ihr lieben Herren, laßt uns das ja bedenken! –


Vorhang fällt.


Ende.


Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888, S. 107-111.
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