Zwischengang

[265] Im Zuschauerraum erhebt sich ein sehr kleiner krummbeiniger Herr mit schwarzem Vollbart und ausgesprochen posenschem Akzent.


DER HERR. Das ist empörend! Sind wir hier in einem Theater oder in einem Saustall?

RUFE VON ALLEN SEITEN. Pst! – Ruhe – Ss! – st! – Maul halten!

DER HERR. Ja, zischen Sie nur – das ist der Laut, der solchen Gemeinheiten gebührt! –

RUFE VON DER GALERIE. So 'ne Frechheit! – Er beleidigt die Poesie! Er beleidigt uns! Schmeißt den Kerl raus! – Haut ihn! –

EIN VORSTANDSMITGLIED DER FREIEN BÜHNE. Herrrrr! Wenn Sie hier nicht augenblicklich Ihre schnoddrige Schnauze halten, so fliegen Sie mit einer Geschwindigkeit von 0,5 zur Türe 'raus!

DER HERR. Ich bin Vereinsmitglied, habe meinen Beitrag bezahlt, und wenn 's mir nicht gefällt, kann ich schimpfen, so viel ich will!

DAS VORSTANDSMITGLIED. Nee, oller Kronensohn, so is des nu[265] nich! Sie stören die übrigen Personen hier im Theater in dem Kunstgenuß dieser idealen Dichtung, die zu verstehen Sie natürlich viel zu dämlich sind, Sie Rindvieh! ...

DER HERR. Ich verbitte mir solche Redensarten!

DAS VORSTANDSMITGLIED. Wenn Sie kein Kunstverständnis haben und nicht begreifen, daß das allein die wahre Kunst ist, dann sind Sie 'n Ochse und müssen als solcher behandelt werden.

DER HERR. Mein Herr, die Ansichten über Kunst ...

DAS VORSTANDSMITGLIED. Hören Sie, wenn Sie nu nich bald den Rand halten, dann werde ich Sie einfach verhauen! ...

RUFE VON DER GALERIE. Haut ihm! ... Rrraus! ...

EIN ANDERES VORSTANDSMITGLIED. Mach doch kurzen Prozeß mit dem Fatzke und schmeiß 'n raus!

DAS ERSTE VORSTANDSMITGLIED. Is eigentlich wahr! ... Sie sind hiermit aus dem Verein gestoßen, oller Ochse! ... Nu nehmen Se man ihre Beene in de Hand, aber mit 'n Avec – sonst ...

DER HERR. Das ist eine empörende Ungerechtigkeit!

RUFE. Rraus! ... Haut ihm ... rrrraus! ...

DAS VORSTANDSMITGLIED. Sie oller Döskopp, machen Se hier nich ville Kaleika! ... Woll'n Se nu? ... Nich? ... Sie glooben, ich werde mir lange mit Sie ufhalten? ... Rrraus, Sie olle Oberschaute, im Namen der Kunst! ... Er packt ihn beim Kragen, schleift ihn zur Tür und gibt ihm einen Tritt in den Sitz, daß er in den Wandelgang fliegt. Von der Galerie ertönt rasender, jubelnder Beifall.


Quelle:
Dramen des deutschen Naturalismus. Herausgegeben von Roy C. Cowen, München 1981, S. 265-266.
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