Fünfzehntes Kapitel.

Auch eine Idylle.

[103] Der Minister saß in seiner Laube. Die Laube hatte die Aussicht auf den sehr großen Garten, von dem nur der kleinere Theil von Gärtners Hand in Blumenbeete und Weingelände geordnet war. Auf durchschnittenen Wiesen weideten Kühe mit Schweizergeläut.

Vor dem Minister stand ein Tisch mit Akten und Schreibzeug. Neben ihm saß die Frau Ministerin.

Der Minister saß in einer hellen linnenen Jacke und groben Haus- oder Gartenschuhen. Das Aktenstück lag schon lange aufgeschlagen vor ihm, die Dinte in der Feder war eingetrocknet, und der Kanzleibote hinter der Laube wartete eine halbe Stunde auf die Unterschrift des Citissime – denn der Minister horchte, den Kopf im Arm, auf das Schweizergeläut.

Die Ministerin, in einem so einfachen Hauskleide, daß man sie für eine einfache Bürgerfrau gehalten hätte, wenn nicht ihre Haube mit Brüsseler Spitzen besetzt gewesen, und ein Mullumwurf den bloßen Hals bedeckte, strickte eifrig. Sie strickte blauwollene Strümpfe, und erzog ihre Kleinen, die an der Laube spielten. Wenn sie sich mit Sand warfen, sollte sie den Streit schlichten, und doch dabei auch auf die älteste Tochter horchen, die auf ihrem Knie Vossens Louise ihr vorlesen musste. Das Kind kam mit den Hexametern selten zurecht und gähnte oft.

Der Minister richtete respirirend den Blick aufwärts nach den reifenden Trauben am Laubendach.[103]

»Du hast wohl recht schwer zu arbeiten,« sagte die Ministerin. »Du solltest Dich schonen.«

»Mir war es eben, als wäre ich noch in Florenz. So schwebten auch die Trauben von unserer Veranda. Und dieser Wiesenhauch! Als wehte es von Fiesole her, und der Arno plätscherte unter mir.«

»Ich weiß nicht, ob mir nicht dieser Heugeruch lieber ist, als der Duft der Orangen. Ist es überhaupt Recht, daß Du so oft dahin zurückdenkst? Solche Vergleiche stören die Heiterkeit der Seele. Wir sind doch einmal in diesem Lande, es ist auch hier schön, und wir sind zufrieden und glücklich, und –«

»Und,« fiel er ein, ihr die Hand reichend:


»Süße heilige Natur

Laß uns gehn auf deiner Spur,

Leite uns an deiner Hand

Wie ein Kind am Gängelband.«


Die Ministerin accompagnirte die Stollberg'schen Verse durch eine stumme Lippenbewegung, indem sie andächtig in die Luft schaute. Dann zählte sie die Maschen, sie hatte eine verloren. Der Kanzleidiener räusperte sich umsonst. Das Ehepaar war in sein stilles Glück versunken, und in Betrachtungen, warum Leopold Stollberg katholisch geworden.

Die Frau Ministerin wusste diesmal nicht, warum der Minister respirirend schwer den Blick nach den Trauben gerichtet, warum er das Citissime drei Mal durchlesen hatte, ohne zu wissen, was darin stand, warum er wie ein Träumer auf das Schweizergeläut hörte, kurz, warum er in der elegischen Stimmung war.

Vor einer Stunde hätte man ihn in seinem Arbeitszimmer in einer ganz anderen gefunden. Eine Nachricht hatte ihn aus seiner Ruhe gebracht! Er hatte laut für sich gerufen: »Dann ist Alles aus! Dann gehen wir Alle unter!« Er hatte nach seinem Kammerdiener und Jäger geschellt: »Anspannen und ankleiden!« Er wollte an den Hof fahren, selbst der Majestät die dringendsten Vorstellungen zu Füßen legen. Er hatte schon die Hofbeinkleider an und der Kammerdiener nestelte die Schnallen, als er ihn wieder hinaus schickte; er wollte sich einen Augenblick ausruhen. Auf das Sopha sich niederlassend, löste er unwillkürlich die Bandschnalle. Es war so heiß! »Wozu sich denn auch persönlich den Aerger bereiten!« Es wäre doch möglich, daß er mit dem Könige aneinander gerieth. Das fruchtet ja zu nichts! Er konnte schriftlich seine Gründe aufsetzen, warum der Mann, dessen Name ihn so erschreckt, nicht zum Minister tauge.

Er hatte wieder geklingelt, und der Kammerdiener ihn entkleiden müssen. »Und die Equipage, Excellenz?« – »Ausspannen!« Der Sekretär hatte die Schreibmaterialien zurecht legen müssen, der beste[104] und fertigste Kopist in Bereitschaft stehen. Der Kopist hatte eine Stunde mit eingetauchter Feder bereit gestanden, es standen aber erst zwei und eine halbe Zeile auf dem Konzeptbogen.

Der Minister saß auch gar nicht mehr am Schreibtisch, er saß zurückgelehnt auf dem Sopha. »Entweder es ist, oder es ist nicht,« dachte Seine Excellenz. »Wenn es nicht so ist, so ist es gut, wenn es ist, so ist es vielleicht auch gut,« – gähnte er, von der Hitze im Zimmer übermannt – »dann ist doch das Ende vom Liede, daß wir unsere Entlassung nehmen müssen.« Weshalb sich für diese Eventualität noch mit einem schwierigen und kitzlichen Memoire befassen, es kann der Griff in ein Wespennest werden, und an stechenden Insekten fehlte es ohnedies nicht. Eine unverschämte Bremse schwirrte unermüdlich um seine heiße Stirn.

Der Sekretär hatte sich lächelnd von der Thür, an der er gelauscht, an sein Pult begeben, und der Kopist auch lächelnd seine Feder ausgewischt, als man den Minister endlich sah, mit dem Battisttuch sich Luft wedelnd, sich ins Freie zu begeben. Beim Durchgehen hatte er verordnet, die Akten ihm in die Laube zu tragen.

Die stille Scene glücklicher Häuslichkeit, in welcher die Sorgen von vorhin schon verschwunden schienen, hatte aber noch einen Beobachter. Der Geheimrath Bovillard stand unfern von dem Eingang der Laube, den Hut im Arm und die Arme gekreuzt. Eine Pause benutzend, trat er mit einigem Geräusch vor.

»Sie haben uns wohl belauscht, lieber Bovillard,« sagte die Ministerin. »Das ist nicht recht; wer zur Familie gehört, der muß nie zu stören fürchten.«

Er wollte ihre Hand an die Lippen führen, sie zog sie unwillig zurück: »Wir sind Deutsche. Einen ehrlichen Handschlag.«

»Ich bewundere Ihren Fleiß, Excellenz.«

»Häusliche Angelegenheiten,« sagte die Excellenz, »gehen der Freundschaft vor. Halte mir mal Deinen Fuß her, lieber Christian.«

Sie probirte den Strumpf am Fuße des Ministers. »Sie lächeln wohl über mich, Bovillard? Das genirt mich aber gar nicht. Ehe wir's uns versehen, kommt der Winter ins Haus, und da muß eine gute Hausfrau bei Zeiten gesorgt haben. Setzen Sie sich, und plaudern mit meinem Mann von Staats- und gelehrten Dingen, ich werde Sie nicht stören.«

»Und keinen Handschlag für mich?« sagte der Minister, seine Hand über den Tisch ihm entgegenhaltend.

»Frauendienst geht vor Herrendienst.«

Der Geheimrath nahm mit anscheinender Behaglichkeit Platz auf dem Gartenschemel. Lieber hätte er in einem Fauteuil gesessen.

»Ach, wer auch eine Frau hätte, die uns Strümpfe strickte!«[105]

»Ist Ihre Schuld, Bovillard. Warum haben Sie nicht wieder geheirathet?«

»Wo jetzt Frauen finden, die wie Excellenz nur für das Glück ihres Mannes leben?«

»Wenn man sie suchte, würde man sie schon finden.«

»Alles will jetzt ästhetisch sein.«

»Und Sie, wenn Sie eine Frau hätten, die Ihnen Strümpfe strickte, würden französische Spottverse auf sie machen. Im Ernst, Geheimrath, bessern Sie sich ein Bischen.«

»Soll ich katholisch werden, wie Graf Stollberg? Wenn Excellenz befehlen tout à vos ordres.«

»Pfui über den Spötter und Atheisten! Da sitzen Sie nun wieder mit dem Rücken gegen die Natur.«

»Ich kann Excellenz doch nicht den Rücken kehren.«

»Sinn für Häuslichkeit einem so eingefleischten Admirateur der französischen Literatur beizubringen, müssen wir wohl aufgeben, aber rührt Sie denn gar nicht die Natur, hat nie eine Nachtigall Sie ergriffen?«

»Nein Excellenz! Aber ich hätte beinahe mal eine ergriffen. Sie flatterte nur wieder fort.«

»Inkorrigibler Flattergeist! Sehen Sie, meine Angelique lass' ich Vossens Louise lesen und freue mich, wie das Kind immer mehr Sinn dafür bekommt.«

»Ach, wer wieder ein Kind werden könnte!«

»Und wer kein Staatsmann geworden wäre!« seufzte der Minister. »Ich war eigentlich zum Herrnhuter geboren. Warum musste man mich hinausreißen an die Höfe, ins Feld der Intriguen? Ich hätte ein Vater unter meinen Unterthanen gelebt, sie beglückend, selbst beglückt.«

»Und nun beglücken Excellenz ein ganzes Volk. Voilà la différence.«

»Das mich verunglimpft, weil ich – solche gute Freunde habe.«

»Wer wollen uns Alle bessern, Excellenz! Diese Laube sei der Tempel der Tugend, wo wir ihr Gehorsam geloben, und die Frau Ministerin die erhabene Priesterin, welche unsere Schwüre empfängt.«

»A propos,« hub die Ministerin an, »wissen Sie denn den Vorfall von gestern bei Hofe?«

Der Geheimrath kannte ihn noch nicht.

»Der König und die Königin hatten eine Landpartie verabredet nach Pichelswerder. Sie laden die alte Voß ein, daran Theil zu nehmen. Aber ganz ländlich heißt es. Wird das unserer lieben Gräfin auch anstehen? Sie fühlt sich unendlich geehrt, an einem Vergnügen Theil zu nehmen, was Ihro Majestäten nicht[106] verschmähen, und in voller Galla rauscht sie die Treppen hinunter, worüber die Majestäten schon kaum ihre Lust zurückhalten. Denn mit Schrecken sieht die Gräfin die Mütze des Königs, und die Königin in dem Morgenrock, der ihr so reizend steht. Aber unten im Charlottenburger Hofe! Was steht vor der Thür? Ein Leiterwagen mit Stroh! – Sie fragt nach der königlichen Kutsche. – Dies ist sie, sagt der König, wir werden uns etwas behelfen müssen; ländlich, sittlich. Die alte Voß ist erstarrt, aber noch entsetzter, als sie sieht, wie der König die Königin hinaufhebt. Die anderen Hofdamen helfen sich selbst. Der König bietet endlich der alten Dame seine Dienste an, aber sie erklärt feierlich: so lange sie ihr Amt als Ober-Ceremonienmeisterin nicht verwirkt oder verloren werde und könne sie sich dazu nicht entschließen. Und, setzte sie hinzu, wenn ich auch so unglücklich wäre, darüber die Gnade Ihro Majestäten zu verlieren. – Der König sagte freundlich: Um des Himmels willen, liebe Voß, wenn Sie nicht mit wollen, bleiben Sie zurück, aber meine volle Gnade bleibt bei Ihnen. Und hinauf sprang er, und der Wagen rollte fort.«

Der Geheimrath schnalzte auf: »Délicieux! die alte Voß allein am Thor, wie die Henne am Teich!«

»Ich glaube, Komteß Laura,« fuhr die Ministerin fort, und zog ihren Strumpf – »ich glaube, die hat auch nicht sehr vergnügte Mienen auf dem Leiterwagen gemacht. Es ist erschrecklich, welche Airs sie sich giebt.«

»Ich finde sie nicht mal schön,« sagte Bovillard am Halstuch zupfend. Er fand sie nicht schön, weil auf dem Gesicht der Ministerin etwas stand, was ihm sagte, daß die Ministerin eine solche Findung wünschte.

»Sie fischt ihn auch nicht weg,« sprach der Minister.

»Und wenn, meine weisen Herren –« fiel die Ministerin ein, »was hätten Sie gewonnen? Hat sie den Esprit, um ihn zu gouverniren? So wenig als die Fromm, die Pauline und die andern. Er ist zu impetuös. Ueberdies, erlauben Sie mir, ich finde es von so klugen Leuten unverantwortlich, eine solche Person in ihre Confidence zu ziehen.«

»Der Minister meinte, sie hätte wohl neulich beim thé dansant zu scharf gesehen. Als Frau sei die Komteß ein gutmüthiges Geschöpf.«

»Daß sie sich mir da vordrängte, will ich ihr vergeben haben,« sagte die Ministerin, »sie hat keinen Takt; aber ich bitte Sie, wenn auch Komteß Laura sich unterstehen will, das Mulltuch um den Hals zu binden, wie unsere tugendhafte Königin, so finde ich das rebutant, ja geradezu rebutant, meine Herren, und ich wenigstens mit meinem schwachen Verstande begreife nicht, wie man das hingehen[107] lasien kann. Aber die Herren werden wohl Gründe dafür haben. – Die Herren haben auch zu sprechen, was ich nicht hören soll,« setzte sie, das Strickzeug weglegend, hinzu, »und ich will Sie nicht stören. Aber das sage ich Ihnen, ich bin keine Freundin von Intriguen. Schlicht und grad, damit kommt man am weitesten. Geben Sie es auf, den Prinzen einzufangen. Er bricht durch alle Ihre Netze. Und was hätten Sie am Ende gefangen? Er hat eine Partei, aber diese Partei wird nie ans Ruder kommen, so lange er und der König ihre Natur nicht changiren, und die klugen Herren klug handeln. Umstellen Sie Seine Majestät, seien Sie auf der Hut, daß keine zweifelhafte Person in seiner Nähe sich festnistet, lassen Sie ihm alle Extravaganzen des Prinzen zu Ohren kommen, auch immerhin seine genialen Streiche, die in einem gewissen Publikum so viele Bewunderer finden. Desto besser, der König kann nun einmal geniale Streiche nicht leiden. Das Uebrige macht sich dann schon von selbst.«

Der Minister hatte seine Gemahlin umarmt: »Mir aus der Seele gesprochen. Nichts von Intriguen! Den geraden Weg.«

Der Geheimrath und der Minister hatten allerdings ein Geschäft.

»Excellenz hatten die Eingabe vor sich, wie ich zu sehen glaubte,« sagte der Geheimrath, als sie durch ein Weinspalier gingen, wo der Minister die Trauben mit Lust befühlte, und weit mehr Lust zu haben schien, ein naturhistorisches Gespräch zu führen, als über die Angelegenheit, um die der Begleiter gekommen war.

»Und gelesen,« seufzte der Minister, als er nicht mehr ausweichen konnte. »Aber ich bitte Sie, Freund, Sie lasen sie doch auch.«

»Ich finde die Angelegenheit sehr klar dargestellt.«

»Ja, klarer kann es kaum sein, daß man die Gefangenen beschwatzt hat, etwas zu unterschreiben, was ein handgreifliches Märchen ist. Sie attestiren, daß sie unter sich, in der Freude ihres Herzens zur Vorfeier des königlichen Geburtstages einen ungebührlichen Lärm gemacht, daß sie dadurch den Voigt in ihr Gefängniß gelockt, daß sie die Thür hinter ihm verschlossen, und ihn gezwungen, an ihrem Gelage Theil zu nehmen, bis es ihm zu arg geworden. Ich bitte Sie, was konstatirt denn selbst aus dieser Erzählung! Selbst wenn die Fabel Wahrheit wäre, hat ein Mensch, der so wenig seine Autorität zu erhalten weiß, sein Amt verwirrt. – Wer ist dieser Herr von Wandel?« fragte er mit verändertem Tone. »Warum interessirt sich dieser Legationsrath so lebhaft für die Sache?«

»Es ist nicht die erste, Excellenz.«

»In die er sich mischt. Ich weiß es. Er tritt auf wie der ›Alte überall und nirgends.‹ Diese Geflissentlichkeit, sich in Dinge zu mischen, die ihn nichts angehen, gefällt mir nicht.«

»Was kann er davon haben, daß Lupinus los kommt? –[108] Excellenz halten ihn für einen Aventurier. Aber er spielt nicht, macht keinen übermäßigen Aufwand, er beschäftigt sich mit Naturwissenschaften.«

»Darum kommt man wohl jetzt nach Berlin! Darum drängt man sich in alle Gesellschaften, macht den Affairirten, weiß um alle Secrets, macht sich bei Prinzen und Damen beliebt, spielt hier den Weisen, dort den Liebenswürdigen, und für uns Alle den Rätselhaften.«

»Er ist ein Mann des Friedens,« lächelte Bovillard.

»Aber unseres Friedens! Er ist zu klug, um zu schwärmen, also was will er? Ich liebe nicht die rätselhaften Menschen. Wäre er nur ein Kundschafter, ein Agent von Napoleon oder Kaiser Alexander, von wem es sei, gleich viel, ich wüsste mich mit ihm zu stellen, aber der Abgesandte einer unbekannten Puissance, der hat etwas – bleiben Sie mir mit ihm vom Leibe, ich gestehe, mir wird unwohl, wenn ich in das gläserne Gesicht sehe.«

Bovillard lächelte nicht, er erlaubte sich zu lachen: »Excellenz! er ist ein Schwärmer. Zudem ein Philosoph. Er hat ein System. Männer mit Ideen pflegt keine Puissance zu Spionen zu wählen.«

Der Einwand frappirte dem Minister: »Jedenfalls muß man mit solchen Menschen vorsichtig sein.«

Er blieb am Ausgange der Weinallee stehen: »Bovillard, wozu denn der Embarras, um einen Menschen zu retten, der sein Schicksal verdient hat? Seine Diners sind doch, dünkt mich, zu ersetzen.«

»Excellenz, ein Ring heraus und eine Kette ist entzwei. Seine Familienverbindungen!«

»Man darf nicht schonen, wo es an den eigenen Ruf geht. Sie haben es nicht zu vertreten, aber ich, wenn es am Hofe heißt: das ist Einer von der Lombard'schen Klique! Gerade wenn wir ihn springen lassen, befestigen wir unsern Ruf.«

»Er hat mir so aufrichtig Besserung gelobt.«

Der Minister sah ihn mit kaum unterdrücktem Lächeln an. »Und dann der König! Es geht nicht, er ist diesmal selbst Partei.«

»Ich weiß, ich weiß. – Indessen sollten Excellenz – ich meine, wenn Sie sich der Sache annehmen wollten, wenn Sie das Loos der armen Kinder des Geheimraths mit aller Ihrer Humanität erwögen, sollte es Excellenz nicht möglich sein, vor der königlichen Huld und Gnade die Sache in einem Lichte – aber – mein Gott, wie schön ist die Aussicht! Welch ein wunderbares Licht!«

Sie waren aus dem Weingang ins Freie getreten, und der Geheimrath blieb wie versunken in der Anschauung stehen. Ein Eisen muß man schmieden, wenn es heiß ist, aber an eine Thür,[109] die man verschlossen findet, nicht klopfen bis das Haus in Aufruhr geräth. Wenn man wartet, öffnet sie sich wohl von selbst.

»In dieser Verdure glaubt man doch die Alpenfrische wieder zu sehen. Wie geschickt Excellenz die Stadtmauer da mit Gebüsch versteckt haben.«

»Der Garten war sehr morastig, als ich das Grundstück kaufte, es war mein Vergnügen, das Wasser in Gräben zu leiten, die sich aber wie natürliche Bäche schlängeln. Hält man die schilfigte Krümmung dort wohl für gegraben?«

Der Geheimrath fand, die Lorgnette im Auge, nichts als Natur: »Da auch Mummeln im Teich – ich wollte sagen in dem kleinen See. Il faut avouer, que c'est plus qu'imiter la nature. C'est la nature prise sur le fait.«

Er wollte sich auf einen abgehauenen Baumstamm am Ufer des künstlichen Baches stellen, um sich im Wasser zu spiegeln. Der Minister hielt ihn am Rockschoß zurück; »Um Gottes Willen, er kippt über. Mein Gärtner hat ihn erst heute Morgen aus Treptow eingefahren.«

»En vérité!« sagte der Geheimrath, »die Täuschung ist mir lieb, denn ich wollte schon mit Ihnen zürnen, einen solchen Kernbaum umzuhauen!«

»Wo sollte ein Baum von solchen Dimensionen auf diesem Boden fortkommen,« entgegnete der Minister, über die Täuschung doch nicht ganz unzufrieden. »Wenn ich auf etwas mir zu Gute thue, ist es nächst meinem Weinbau, von dem Sie ja wohl schon gelesen haben werden,« setzte er lächelnd hinzu, »auf meine Kühe. Es ist holsteinische Zucht. Beyme will in Steglitz auch den Versuch machen, ich zweifle aber, daß sie ihm fortkommen. – Und mit welchen Vorurtheilen ich zu kämpfen hatte! Zwei Kuhhirten musste ich entlassen. Der eine hielt das Schweizergeläut den Kühen für schädlich! Wohin sehen Sie dort?«

»Was ist das blendende Weiß da?«

»Meinen Sie das Stückchen Stadtmauer, worauf die Sonne scheint? Der Theil ist neu geweißt.«

»Sollt' ich mich so getäuscht haben! – Richtig! Sie springt da gerade über die Büsche. Wissen, Excellenz, es ist eine Thorheit – aber die Phantasie geht oft mit uns durch – in dem Augenblick dachte ich an Schnee. Man könne der Illusion zu Hülfe kommen. Ich meine –«

Der Minister fiel ein, er sei kein Freund der Spielereien im Wörlitzer Styl: »die Natur und nichts als die Natur! Da hatte ich auch einen Wasserfall angelegt, ich habe aber die Steine wieder herausnehmen lassen. Man erreicht weder ihre Größe, noch ihre Einfachheit.«[110]

Der Geheimrath empfand in dem Augenblick eine unangenehme Berührung auf dem Rücken. Der Minister zuckte sogar schmerzlich zusammen, denn eins der Kieselsteinchen, mit denen beide beworfen wurden, hatte ihn in dem Nacken getroffen.

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 103-111.
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