Dreißigstes Kapitel.

Wachtstuben-Abenteuer.

[256] »Hol Euch alle der –« rief der Spieler und warf die Karten auf den Tisch. Das Tarockspiel war beendet. Er zog die lange seidene Börse, um die letzten Goldstücke dem Gewinner hinzuschleudern. Bei der Berechnung ergab sich, daß sie nicht reichten. Er ließ sie zurück gleiten, machte einen Knoten und steckte die Börse in die Tasche. »Am nächsten Gagetag!«

Ein höhnisches Gelächter antwortete darauf. Es waren Offiziere, der Ort des Spiels eine Wachtstube. Der Verlierende war in einer Parüre, die auf den ersten Anblick allerdings Zweifel ließ, ob er der Mann sei, um einen bedeutenden Spielverlust durch die Einnahme eines Gagetages aufzubringen. In einem nicht mehr ganz reinlichen Kamisol, das zerknitterte Hemde nur durch eine leichte Binde um den Hals festgehalten, die Füße in Pantoffeln, im Munde eine Thonpfeife, verrieth nur die gelbe Weste unter dem Kamisol, und die auch etwas vernachlässigte Frisur den Offizier. Aber der Kapitän war ein Arrestant; die Wachtstube sein Gefängniß.

»Ihre nächste Gage, Herr Bruder, gehört ja dem Schneider,« sagte der Wachthabende, der Einzige unter den Spielern, dessen Parüre in parademäßigem Zustande war. Das vielstündige Spiel hatte bei den Andern manche Managements in der Adrettität zur Folge gehabt.

»Den schmeißt er wieder zur Treppe runter,« sagte der Kornet auf dem Schemel kippend.

»Und dann kommt der Ephraim und der Levi.«

»Die bestellt er auf dieselbe stunde, wie neulich, und sie müssen warten, bis er raus rufen lässt: Einer soll rein, denn[256] Einer kann heut nur bezahlt werden. Dann fallen sie sich in die Bärte, prügeln sich, und er lässt sie wegen Ruhestörung arretiren. Onkel und Herr von Kniewitz, schade, daß Sie nicht dabei waren. Es war ein kapitales Stück. Ich sehe noch die Judengesichter und die blanken Thaler, neu geprägt, auf dem Tische: die Sonne schien drauf. Freilich der Regimentsquartiermeister stand dabei. Hatte sie ihm nur auf eine Viertelstunde geliehen. Aber die Juden! wie sie sie zu Gesicht kriegten; sie trauten zuerst ihren Augen nicht. Nun Einer dem Andern vor, wie Wasser aus 'ner Schleuse, und eh Einer die Hand an den Tisch gebracht, Einer den Andern zurück, an Brust und Kragen, Beide auf der Erde, kopfüber, das strampelte und schrie.«

»Wenn sie sich nun vertragen und getheilt hätten?«

»War mir gar nicht bange, Onkel! Der Kapitän versteht's. Du hättest ihn sehen sollen. Nicht eine Miene verrückt, und mit einemmal schoß er auf, Augen wie der alte Dessauer: ›Schafft mir die Bestien aus den Augen. Auf die Wache mit den Schuften, die so den Respekt vor dem Rock des Königs verletzen.‹«

»Dafür soll er leben!« der Wachthabende stieß an. Die Gläser klangen.

»Und die Straßenjungen hinter den Juden her,« setzte der Kornet hinzu, »es war ein Schauspiel für Götter!«

»Eigentlich ist's contre façon,« sagte der Kapitän, »daß christliche Offiziere einem Kameraden ausziehen, was die Juden übrig lassen! Und noch dazu einem gefangenen, den Ihr in Eurer Gewalt habt.«

»Hört den Fuchs. Du müsstest doppelt blechen, weil wir unser Renommee aufs Spiel setzen. Mit Einem spielen, der mißliebig ward, sich vergangen hat an einem Kaiserlich Russichen Gesandten!«

»Sitz ich etwa darum, daß ich den auf der Maskerade emittirt habe? – Euretwillen, Ihr Herren Gensd'armen, allein um Euretwillen! Weil Ihr damals dem Pfaffen bei der Malchen das Katzenständchen brachtet. Majestät waren fuchswild; aber Ihr wurdet durchgeschwatzt. Das kennt man schon, wenn's nur an die Kavallerie gehen soll. Für den Nächsten war's aufgehoben, und das war ich. Und nicht um den Alopeus, sondern um den Pfaffen bin ich der Sündenbock.«

Der Kornet strich seinen Milchbart, als wäre es wirklich schon ein Knebelbart, sein Oheim, der Rittmeister, lächelte und drehte seinen vollen roth schimmernden mit stillem Vergnügen in die Höhe; »Nicht wahr, Fritz, das war auch ein kapitales Vergnügen?«

»Kostet mich baare hundert Friedrichsd'or, die ich dem Onkel pumpen musste nachher in der Weinstube. Aber, Onkel, weißt Du,[257] ich hätte Dir noch hundert zugepumpt, wenn Du hättest: Absitzen! blasen lassen.«

»Ich glaub's dem Jungen,« sagte der Rittmeister, »der hätte gern oben Ordnung gemacht.«

»Die Prediger-Mädels sahen wir noch. Na die passirten; aber die Bescherung nachher hätte ich sehen mögen.«

»Glaub's auch.« sagte der Onkel und wirbelte noch immer am Bart. »Na davon muß man jetzt nicht reden. Du vor Allem nicht. Wie stehst Du denn mit der Comteß Laura?«

»Davon redet man nicht!« erwiderte der Kornet, sich gemächlich, ein Bein übers andre, im Schemel wiegend, und aus den übermüthigen Lippen den Rauch blasend.

»Verfluchter Junge der!« sagte der Onkel. »Dem ist's Glück mit der Muttermilch angeblasen. Solchem Milchbart, der kaum flügge ist, muß sie winken.«

»Fortuna ist ein Weibsbild!« seufzte der Gefangene.

»Und wenn man den General nicht fängt, ist man zuweilen mit dem Kornet zufrieden,« bemerkte der Wachthabende.

»Werde Sie um Erklärung nachher bitten lassen, Herr Lieutenant!« sagte der Kornet, ohne seine Stellung zu ändern.

»Kik in die Welt!« rief der Rittmeister. »Kornet Wolfskehl genannt zu Ritzengnitz, ein Kornet kann keinen Offizier um Erklärung bitten lassen.«

»Der wäre im Stande, und forderte den Prinzen selbst,« sagte der Arrestant. »Gefällt mir an ihm. Solche lieben die Damen. Plaudert nicht am Morgen in der Wachtstube die Eroberungen der Nacht aus.«

»Fritz, merkst Du was! Der Kapitän spekulirt auf Deinen Beutel. Lob ist nicht umsonst. Revanchire Dich, bezahl seine Schulden. – Er rührt sich wahrhaftig nicht. So ein junger Glückspilz! Das war das pfiffigste Stück meiner seligen Schwester, daß sie ihren Alten beschwatzen musste, ihn mit einundzwanzig mündig zu erklären. Um 'ne halbe Million das Pupillenkollegium betrügen! Als ob die Weiber das nicht wüssten, auch ohne Pupillenkollegium, und nun bildet sich der Junge ein, 's ist um sein glattes Gesicht.«

»Onkel, wir stehen in Relationen.«

»Halt's Maul! Willst Du dem Herrn Kapitän seine Spielschuld vorstrecken? Das ist das Vernünftigste, was Du thun kannst.«

»Mit Vergnügen, lieber Onkel, sobald Du Deine Wechsel bei mir eingelöst hast.«

»Kinder, nun bitte ich Euch, ist das nicht gegen die Moraliät, daß ein Neffe von seinem Onkel Wechsel hat! – Hast neulich erst[258] in der Garnisonkirche gehört, was der Prediger von der Sittenverderbniß sprach. Pfui.«

»Herr Bruder haben Recht,« sagte der Wachthabende. »Ueberhaupt solche Papierwische. War' ich König, ich ließe alle Wechsel verbrennen.«

»Fritz, nimm also Raison an, willst Du?«

»Bin nicht bei Kasse.«

»Bin ich's etwa!«

»Lasst den Horstenbock nur erst los kommen,« sagte der Wachthabende. »Er findet auch noch einen Salomon Schmuel, der ihm fünfundvierzig Prozent auf den fünfundvierzigsten Gagetag vorschießt. 'S sind christliche Gemüther unter der löblichen Judenschaft.«

»Reinen Tisch!« rief plötzlich der Rittmeister. »Quitte on double.«

Auf dem unreinen, wie eine Wachtstube ihn mit sich bringt, mischte er die zergriffenen Karten und blickte fragend den Arrestaten an. Er nickte Zustimmung:

»In sechs Monat.«

»Quitte ou quadruple –«

»Was?« Alle sahen sich verwundert an.

»Quitte ou quadruple, à payer, wenn Horstenbock 'ne Kompagnie hat!«

Alle lachten: das Interesse steigerte sich, sie rückten wieder näher an den Tisch. Darin war Vernunft. Die vervierfachte Summe des Spielgewinnstes war ein Kapitol, aber eine Kompagnie war auch ein Kapital. Der Kapitän schlug ein.

»Und meinem Neffen, dem Kornet, verkauf ich sie für neunzig. Nutzt der Junge wieder sein Geld mit zehn Prozent.«

»Was mein guter Onkel nicht thut!« lachte der Kornet. »Aber wenn nun Krieg wird?«

»Tant mieux!« rief der Arrestat. »Wenn mich 'ne Kugel trifft, lach' ich Euch Alle aus.«

»Roth oder schwarz?« rief der Wachthabende, die Karten noch einmal zu dem wichtigen Spiel häufelnd.

»Roth!« rief der Rittmeister. Also »Schwarz!« der Kapitän.

»Verloren!« jubelte der Kornet auf, mit den Fingern schnalzend. »Onkel verloren!«

Der Arrestat warf diesmal die Karten nicht auf den Tisch, er trocknete die Nässe, nämlich vom Wein, der reichlich floß, mit dem Aermel ab, und legte sie sorgfältig zusammen: »Rittmeister, ein andermal bin ich zur Revanche bereit.«

»Die hat Dohleneck nicht nöthig. Wer so viel Glück in der Liebe hat, hat's nicht im Spiel.«[259]

Es prustete unter den Anwesenden auf, der Kornet wollte sich überschlagen.

»Herr Bruder, Sie haben Unrecht,« sagte der Wachthabende, als eine Wolke auf der immer heiteren Stirn des Rittmeisters sich zusammenzog, »die Geschichte mit der Tänzerin noch immer als eine particulaire zu betrachten. Sie ist eine Korpsangelenheit.«

»Eine verflucht kniffliche Geschichte, erinnre ich mich,« sagte der Arrestat, »sie kam ja bei allen Offizierkorps zur Sprache. Die Meinungen waren sehr getheilt.«

»Kinder!« rief der Rittmeister. »Ueber die Sache ist längst Gras gewachsen. Lasst die Todten ruhen.«

»Den Teufel auch,« rief der Wachthabende. »Der Louis Bovillard ist noch lebendig, und wie! Die Sache muß noch mal zu Ende kommen.«

»Die Hetzpeitsche!« jubelte der Kornet.

»Man wäre auch schon einig darüber geworden, wenn nicht –«

»Der Vater wäre.«

»Der sollte uns nicht geniren. Wenn man nur wüsste, ob er nicht doch ein Edelmann ist?«

»Das müssten ja die Listen der Refugiés ergeben.«

»Sind nachgeschlagen, so weit wir zukonnten; da muß sich der Alte, oder Lombard zwischen gelegt haben, und unsre fanden verschlossene Schränke. Zwei verschiedene ältere Listen hatten wir nachgesehen. Zu der einen war ein Pierre Bovillard aufgeführt, mit dem Zusatz confiseur; in der andern ein Sieur Pierre Bertolet Fulcrand de Bovillard, maître de Cerisé. Da standen wir nun am Berge. Der Obrist wollte es mal unter der Hand von Lombard erfahren, der Fuchs musste aber Lunte riechen, und antwortet: Alle Refugiés stammten direkt von Adam, und alle unsere Väter wären einmal Perrückenmacher gewesen.«

»Ein Skandal!« Der Arrestat spuckte.

»Aber kriegen wir's raus, daß er vom Konditor ist –«

»Die Hetzpeitsche!« jubelte der Kornet. »Ich habe ein paar Bursche aus der Neumark, die wissen sie zu appliziren. So halb polnische Rasse. Haben's an ihrem eigenen Rücken gelernt, und theilen herzlich gern Anderen ihre Erfahrung mit.«

»Modération! meine Herren Brüder!« sagte der Rittmeister aufstehend. »Wenn Einer von uns den Bovillard vor die Klinge fordern könnte, tant mieux, von Herzen gern, so wäre der Geschichte mit einem Mal der Kopf abgeschnitten. Bis dahin aber – vergessen Sie nicht, daß es anders ist, als es war –«

»Muß wieder werden, wie's war!« trumpfte der Arrestat mit der Faust auf den Tisch. »Wenn sie uns die Fuchtelklinge nehmen, ist's mit der Disziplin aus. Aber kommt noch mehr eingeschobene[260] Canaille in die Armee, Adieu dann esprit de corps, Adieu Friedrichs Geist, Adieu Preußens Ehre.«

Eine Ordonnanz überbrachte ein Rosabillet, mit Vergißmeinnicht sauber verschlungen; es schien ein Spott auf die dampfende Wachtstube: »Herrn Rittmeister Stier von Dohleneck eigenhändig zu übergeben.«

Der Empfänger musste es an das trübbrennende Talglicht halten, um in dem Tabaksrauch die feingekritzelte Adresse zu lesen: »Von wem?«

»Ein Frauenzimmer brachte es. Sie wollte aber nicht bleiben.«

»Ein Rendez-vous! – Warum ist sie nicht selbst gekommen, das liebe Kind? – Kann nicht mal abwarten, bis er von der Wache zurück ist.«

Der Rittmeister hörte nicht auf die Raillerien. »Hier ist's zu dunkel. Herr Bruder von Horstenbock erlauben wohl, daß ich's bei ihm am Fenster lese.« Ohne eine Antwort abzuwarten, war er in die daran stoßende Kammer getreten, die Thür hinter sich zuwerfend.

»Vielleicht von der Jenny!« rief der Kornet. »Sie hat Reue gekriegt, und ist zurück.«

Der Arrestat fragte nach dem eigentlichen Zusammenhang der Geschichte, die ihrer Zeit so viel zu reden gemacht. Er hatte damals in der Provinz gestanden und nur Widersprechendes darüber gehört. Dohleneck hörte jetzt nicht zu, es sei also kein Grund hinterm Berge zu halten.

»Herr von Dohleneck war nur unser Deputirter,« sagte der Wachthabende, »es ist daher thöricht, wenn er sich die Sache persönlich zu Herzen nimmt. Das Persönliche verschwand bei der Sache gänzlich und er war nur der Vertreter für das Allgemeine. Wie der Prinz zuletzt mit dem Blitzmädchen stand, weiß jedes Kind. Ob er aber wirklich so vernarrt war, wie er vorgab, das weiß der Himmel. Eines Abends beim Champagner verschwor er sich gegen ein Zehn von uns. die er invitirt, die Hexe wäre so speziell in ihn verliebt, daß sie auf keinen Andern hören würde. Nun müssen Sie gestehen, meine Herren, daß das für uns eine direkte Herausforderung war. Wer wusste nicht, wie's um die Jenny stand? Also wir hielten im Geheimen ein Art Kriegsrath, und es war auch nicht eine Stimme dagegen. Es war eine Korps-Sache. Auf der Stelle ward zusammengeschossen, baar, es kam eine erkleckliche Summe zusammen, und Zwei wurden ausgelost. Sie müssen auch gestehen, Herr Bruder von Horstenbock, daß das loyal und kavaliermäßig gegen den Prinzen gehandelt war.«

»Und klug auch. Die Liebenswürdigsten und Hübschesten zu[261] wählen, wäre doch eine kitzliche Sache für die Kameradschaft gewesen.«

»Es fiel auf Dohleneck und einen Andern. – Ein Billet an die Tänzerin bat um die Erlaubniß, bei ihr ein Souper en trois nach der Oper zu arrangiren, und dies kleine Souvenir mit dem Vergißmeinnicht als Angebinde anzunehmen. Drin lagen hundert Dukaten. Die Antwort war: sie werde das Vergißmeinnicht zum ewigen Andenken bewahren und den Tisch decken lassen. Unser Koch hatte während der Oper ein kaltes Souper, exquisite Sachen von Sala Tarone, arrangirt, und die Jenny sprang ihnen schon an der Treppe entgegen. War auch keine Sylbe die Rede von Tugend und Treue, sie war ausgelassen lustig, und sagte, sie wäre schrecklich hungrig. Unsere Kameraden waren's auch. Aber kaum fliegt der erste Pfropfen an die Decke, als ein Wagen vor die Thür rasselt. Sie erschrickt: ›Er wird doch nicht.‹ Kaum hat sie das Tüchlein wieder um den Hals genestelt, als es die Treppe rauf knarrt. Nun aufgesprungen, als die Kammerkatze reinstürzt: ›Herr Jemine, der Prinz, Mamsell!‹ – ›Retten Sie sich!‹ ruft die Jenny, und wirst das eine Couvert in den Waschkorb. Die Offiziere wollen ins Nebenzimmer fliehen, da holt sie die Katze zurück: ›Meine Herren, um Gotteswillen, da kommt er ja durch.‹ Retour also, und wollen zur Stubenthür auf den Flur. Da klirren seine Sporen und er klopft. – ›Hannchen mach' auf.‹ ruft die Jenny und hat derweil schon den großen Kleiderschrank aufgerissen; ›Meine Herren, ist's gefällig?‹ Platz hatten sie drin, das ist wahr, und die süßesten Erinnerungen an alle Schäferinnen und Göttinnen, die in den Kottillons gesteckt, aber – nun das Uebrige ist kaum nöthig zu erzählen. Verschlossen waren sie, und der Schlüssel steckte in Jenny's Tasche, und Jenny hing am Halse des Eintretenden, und bat ihren herzgeliebten Louis und schönsten Louis und einzigen Louis um Verzeihung, daß sie nicht auf ihn gewartet, aber sie wäre zu durstig gewesen vom Echauffement«

»Merkten sie's da?«

»Auf parole d'honneur sie vor unserm Ehrengerichte versichert, der Kerl hätte täuschend den Prinzen gespielt.«

»Sie konnten Alles hören?«

»Jedes Anstoßen, jeden Kuß, das Kritzeln mit dem Messer auf dem Teller.«

»Donner und Wetter!«

»Zwei Pfropfen hörten sie gegen die Decke knallen, selbst durstig zum Verkommen und hungrig auch. Zwei Stunden saßen sie am Tisch.«

»Bloß am Tisch?«

»Meine Herren, bedenken Sie, es waren Offiziere, die da für[262] ihre Kameraden standen. Ja sie haben eingeräumt, zuletzt entdeckten sie durch eine Ritze, daß es Bovillard war. Was aber war zu thun? Ich frage Sie, Kapitän, hätten sie poltern sollen?«

»Eine verfluchte Situation und eine Frage, daß Einem der Kopf schwindelt. Wenn ich für mich dagestanden –«

»Hätten Sie die Thür gesprengt. Sehr richtig. Aber in dem Schranke stand das ganze Offizierkorps; das erwägen Sie.«

»Nein, da durften sie's nicht.«

»So entschied auch unser Ehrengericht.«

»Aber was wird nachher daraus?«

»Sie hörten rutschen, packen, Kisten und Kasten aufreißen – man sprach unter Gekicher davon, aus den Appolloball zu gehen.«

»Und nachher?«

»Keiner schloß auf. Blieben sitzen.«

»Kam denn nicht die Kammerkatze?«

»Nicht Katze, nicht Maus; die war mit der Jenny fort. Kurz um, wie Ihnen bekannt sein wird, die Tänzerin war mit Extrapost nach Leipzig gefahren. Ist heut noch nicht zurück. Nicht einmal austrommeln lassen konnte man sie. Die Wirthin musste endlich, als sie zu poltern anfingen, das Schloß aufbrechen lassen. Frei waren sie da freilich, aber –«

»Von wem nun Satisfaktion?«

»Meine Herren, ich versichere Sie, die Sache hat uns Allen schwere Nächte gemacht. Was sollten wir thun? Bovillard fordern? Wenn es damals noch ging! Aber die Raison! Hatten sie's denn mit ihm zu thun gehabt? – Er stellte sich gegen Dritte als die pure Unschuld. War bei der hübschen Tänzerin gewesen, hatte sich ungemein amüsirt. Sollten wir uns nun blamiren und ihm mit dürren Worten sagen, daß wir uns nicht amüsirt hätten? Durften wir überhaupt an die große Glocke schlagen? Durften wir es vor dem Prinzen? Wer wusste denn, ob er nicht mit im Spiel steckte, ob er's nicht eingeleitet, um mit guter Manier die Jenny los zu werden? Es war ja ein Labyrinth, ein Wespennest, in das wir stachen. Gott weiß, was daraus geworden wäre. Dohleneck und der Andere wollten ihren Abschied fordern. Das ging auch nicht. Sie waren ja wir. Das ganze Offizierkorps hätte den Abschied nehmen müssen. Meine Herren, ich versichere Sie, es war eine Hundegeschichte, und dazu den Bovillard ansehen müssen, der wie der Sonnenschein über die Parade spazierte.«

»Sag' ich doch, man hat zuweilen im Leben Pech und weiß nicht, wo's herkommt.«

Der Rittmeister hatte die Worte des Arrestaten noch gehört, als er eintrat, den Rosabrief auf den Tisch warf, und sich auf den[263] Schemel: »Ist das Pech, oder nicht, oder was ist es? Ich weiß es nicht.«

»Onkel, ein Rendez-vous? Will's Dir abkaufen, unbesehens. Bin generös. Den ersten Wechsel dafür.«

»Lest mal das Zeug. Ich krieg's nicht klar.«

Der Arrestat las: ›Wenn ein menschliches Herz in Ihnen schlägt, so setzen Sie Ihr Betragen nicht fort. Mein Gott im Himmel, ist es denn möglich, daß ein Kavalier, ein Offizier des Königs, ein Mann, dem man sonst gute Eigenschaften nicht abspricht, im Martern eines weiblichen Herzens sein Vergnügen finden kann! Wenn Sie auf unsere Bitten nicht hören wollen, wenn Sie Ihre Schwadron täglich vorüber reiten lassen müssen, treiben Sie den Hohn wenigstens nicht so weit, immer vor ihrem Fenster den Bart zu streichen. Sie sehen freilich nicht die Dolchstiche, die es in das Herz der Armen drückt, denn die Balsaminen verbergen sie Ihren Augen. Wir vertheidigen die Arme nicht, sie ist ein schwaches Weib. Sie verspricht uns wohl am Abend, morgen will sie sich in die Hinterstube verschließen, aber wenn Ihre Trompeter um die Ecke blasen, reißt es sie mit unwiderstehlicher Gewalt ans Fenster. Wenn sie dann schluchzend, ohnmächtig in unsere Arme sinkt, verspricht sie uns freilich, es soll das letzte Mal gewesen sein, aber – vielleicht wird es ein Mal das letzte Mal sein. Bietet denn eines Mannes Brust eine so unerschöpfliche Höhle für das Rachegefühl, daß er nie vergeben kann, und einer Frau, einer schönen Frau? Sie hat Sie beleidigt, ja, das geben wir zu, aus Uebermuth gekränkt, aber das Herz des Weibes gehört den Impulsen. Was wären wir, wenn wir ihnen nicht mehr gehorchten! – Damit Sie es denn wissen, ja dies Gefühl, Sie gekränkt zu haben, ist es, was an ihrem zarten Dasein nagt, diese Vorwürfe, die krampfhaft ihre Brust durchschüttern, die sie im Schlaf aufschreien lassen, die Wermuth in den Becher der Freude träufeln. Und das könnte ein Mann ruhig ansehen, und sich durch die Qualen, die er einer Frau bereitet, geschmeichelt fühlen? – Nein, mein Herr, es kämpft noch immer mit mir der Gedanke, daß unter diesem brüsken, zur Schau getragenen Affront – ein anderes Gefühl sich nur gewaltsame Selbsttäuschung erheuchelt! – Ich wiederhole meine Bitte, besinnen Sie sich, nehmen Sie Urlaub; entfernen Sie sich einige Zeit aus Berlin. Die Zeit heilt viele Wunden. Es ist alles vorbereitet; man wird Ihnen bereitwillig Urlaub ertheilen. Auch wenn Sie augenblicklich der Mittel entbehrten, soll dafür gesorgt werden. Es gilt ja das Glück einer der edelsten Seelen. – Bleiben Sie aber doch – dann, dann – nein ich lasse es mir nicht abstreiten, was ich ahne – dann hören Sie mehr von mir.‹

»Na was ist das, Dohleneck?«[264]

»Ja, was ist's? So soll doch Gott den Teufel todschlagen, wenn ich 'ne Sterbenssylbe davon verstehe!«

»Der Brief deutet auf anderes, was voranging?«

»Freilich, schon zwei solche Wische, und neulich auf der Maskerade ward mir was ins Ohr geflüstert. Ich glaube, ich bin in einem Tollhause.«

»Herr Bruder, besinnen Sie sich,« sagte der Wachthabende. »Da sind ja viele Indicien im Briefe: – eine schöne Frau, also ist's kein Mädchen, eine Frau, die Sie beleidigt hat, eine Frau, an deren Fenster Sie täglich vorbeireiten. An welcher Ecke lassen Sie die Trompeter blasen? Und Balsaminen stehen am Fenster.«

Der Arrestat überflog das Billet: »Es muß eine Frau von Distinktion sein.«

Der Rittmeister war aufgesprungen. Ein Licht schien auf seiner Stirn zu leuchten, und doch glänzten die Augen nicht wie eines Liebenden, der im Mondenschein ein lieblich Bild sieht, sondern wie eines aufgeschreckten Schläfers, dem ein Gespenst an der Wand vorübergleitet;

»Donnerwetter! Schock-Schw – –! wenn die es wäre!«

Da öffnete sich die Thür und der Gefreite schritt gravitätisch auf den Wachthabenden los.

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 256-265.
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