Einundvierzigstes Kapitel.

Von Möpsen und Wechseln.

[361] Aber der Rittmeister wollte ganz einsam sein. Im Vorzimmer saß noch der alte van Asten und schien zu rechnen oder sprach leise mit einer andern in Berlin wohlbekannten Person, dem Herrn Auktions-Kommissarius Manteufel, der sich über den Tisch zu ihm lehnte, um auf die Fragen des Kaufmanns Antwort zu geben. Dem Rittmeister waren heut alle Menschengesichter zuwider, was mehr Rechenmenschen, aus deren Gesichtern Zahlen springen. Zahlen erinnern an Schulden. Hrrr Manteuffel, der ihn eintreten gesehen, obgleich er der Thür den Rücken zuwandte, blinzte den alten Asten an. Der aber machte eine Bewegung mit der Hand, die unter Geschäftsleuten ausdrücken kann: den hab ich sicher, oder: um die Bagatelle kümmere ich mich nicht.

Herr Josty hatte noch ein kleines dunkles Hinterstübchen. Vertrautere Freunde fanden hier einen Platz, um einen Sorgenbecher in der Stille zu leeren, den der Konditor seinen anderen Gästen nicht vorsetze; er war kein Weinschenk. Es war in dem Raume wirklich klein und dunkel wie in einer Tonne, recht zur Selbstbeschauung geschaffen, denn durch die vergitterten Fensterspalten drang nur bei Mittag ein Dämmerschein, der sich von den hohen Hintergebäuden in den feuchten Winkel, der Hof hieß, hinabließ. Das eigentliche Licht kam von einer dünnen Sparlampe in einer Mauerblende, um den Tisch, die Bank, die Wandspinden spärlich anzuleuchten. Ein Ort, geschaffen, um das innere Licht leuchten zu lassen.

»Einen Rothspohn, Herr Josty!« rief der Rittmeister, als er sich zwischen Bank und Tisch geklemmt.

»Pontac oder Medoc?«

Auch darüber noch nachdenken! Was hatte nicht der Rittmeister zu denken! »I nu Medoc,« sagte er nach einer Weile, den Kopf in der Hand und den Ellenbogen auf dem Tische.

»Ist auch gesunder für's Blut, klärt mehr die Gedanken auf. Die Engländer nennen ihn darum Claret,« sagte Herr Josty, als er den langen Pfropfen aus der Flasche gezogen.

Als der Wirth die kleine Thür leise hinter sich zugedrückt,[361] störte nichts die drei – nenn' ich sie Geschöpfe, Wesen, Mächte – die hier zurückgeblieben zu stillem Verkehr: den Rittmeister, die Lampe und den Medoc. Es war mehr als still, ich würde sagen bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand jedesmal unruhig geworden, sobald der Rittmeister das Glas aus der Flasche wieder vollschenkte. Ob er Gedanken schöpfte, ob er sie verschluckte? Der Medoc musste das Blut nicht gereinigt haben, denn er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand spiegelte drei Positionen, in denen er Minuten lang verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in beiden Händen, und dann den Leib ganz zurückgelehnt, mit gesunkenen Armen, oder, wenn ein Entschluß zu kommen schien, sie plötzlich auf der Brust verschränkend. Aber die Flasche war schon zu drei Vierteln ausgeleert und der Entschluß noch nicht gekommen.

Ein Entschluß kostet Jedem etwas, wer aber weiß, wie der beste gefasste zum übeln ausschlagen kann, und wer nur die Erfahrung des Rittmeisters gewusst, der würde ihn um seine Unentschlossenheit nicht getadelt haben. Hatte er sich nicht zu einem kühnen Schritt entschlossen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß frei zu werden? Es war kein geringes für Jemand, der von zwei unsichtbaren Schutzengeln hin und her gezogen wird, und in sich keinen Oberen findet. Wenn diese ihm zuraunten: sie hat dich eigentlich nie geliebt, sie hat nur gespielt mit dir; nun auch dieses Spielens überdrüssig, lässt sie es nur zu ihrem Amüsement, dich zu foppen, vor Andern durch ihr Kammermädchen fortsetzen, so sprach eine innere Stimme: das erste hast du ja selbst immer geglaubt. Aber dann, wenn jene ihn auf die vielen Beweise von Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit hingewiesen! Stand die Moosrose nicht noch immer zwischen den Balsaminen, trug sie nicht noch immer das Halstuch von der Farbe, die sie angelegt, als sie sein Lob vernommen? Möglich war es ja, daß sie anfänglich nur ihn necken, ihre Empfindlichkeit für das an ihm kühlen wollen, was er sich selbst jetzt vorwarf; möglich, daß auch Andere da mitgearbeitet hatten. Aber – das konnte sich geändert, sie so gut gesehen haben, als er es sah, daß er sich auch geändert, dies konnte ganz andere Empfindungen in ihr geweckt haben. Er hatte ja auch Augen, und was er gesehen, ließ er sich nicht abstreiten. Diese Verwandlung ihres Sinnes konnte nun Denen nicht mehr zu Sinn sein, die anfänglich mitgespielt. Sie waren es, die jetzt die Contreminen legten, die ihn wieder ihr entfremdeten, ihn von ihr trennen wollten. Daher diese Briefe in ganz verändertem Tone, diese Mahnungen, Drohungen sogar, abzulassen von Verfolgungen, die eine edle Frau tief kränken müssten.

Der Rittmeister Stier von Dohleneck hatte das Schwert gezogen[362] um den Knoten zu durchhauen, er wollte Licht haben – Wahrheit. Er wollte am hellen Tage in ihre Wohnung treten, sich mit seinem vollen Namen melden lassen und um eine Unterredung unter vier Augen bitten. Wer den Rittmeister von Dohleneck kannte, wusste, daß das ein ungeheurer Entschluß war. Und ein ganz freier und ein geheimer, – er theilte ihn Niemand mit. An dem Tage, als die ersten Regimenter von der Weichsel durchmarschirten, hatte er ihn gefasst. Es war der Augenblick, als sein Pferd, oder er bei ihrem Anblick am Fenster unruhig geworden und Kehrt gemacht hatten. Er war sehr unzufrieden mit sich zurückgekehrt, er hatte sich gesagt: ein Soldat dürfe nie Kehrt machen vor einer Gefahr, ob wirklich, ob scheinbar. Gerade hier ist es seine Pflicht, zu recognosciren, und nicht zu weichen, bis er – rapportiren kann.

Es war vorgestern gewesen, daß er seine beste Interimsuniform angezogen und sich auf den Weg gemacht. Ein saurer Weg! Die Pflastersteine schienen Klebriges zu schwitzen, sie hielten seine Sohlen fest. Er aber sprach sich Muth ein: »Nun, und wenn es nichts ist, dann ist es nichts und Alles bleibt beim Alten.« Sein Herz wurde ordentlich leicht, aber nur auf einen Augenblick; je weiter er die Straße hinunterging, je näher er dem Hause kam, so schwerer ward es wieder.

Er hätte auch sein Wort gehalten, was er sich selbst gegeben, nicht, wie wohl Andere in gleicher Herzensangst thun, ein paar Mal vor dem Hause vorüberzugehen, bis der Muth ihnen kommt. Nein, er wäre gleich das erste Mal eingetreten, wäre nicht der Mops gewesen. Was es nun war, ob er in etwas getreten, was Joly verdroß, ob eine angeborene Idiosynkrasie in dem Thiere gegen den Menschen lebte, genug, ein kleiner hässlicher fetter Mops klaffte ihn an. Als er sich des Störenfrieds entledigen wollte, machte er das Uebel nur ärger, der Tritt fiel wider Willen so unglücklich aus, daß das Thier, von der Stiefelspitze gehoben, winselnd auf das Pflaster fiel. Ein Dienstmädchen oder ein paar erhoben ein Zetergeschrei mit dem Hunde um die Wette. Natürlich über die Barbarei, ein armes Thier so grausam zu malträtiren! Nun war einmal etwas versehen, und Fehler hecken mehr als gute Thaten. Als er die Straße wieder heraufkam, waren zwar Mops und Mädchen verschwunden, aber die Equipage der Fürstin Gargazin stand vor der Thür. Er war muthig eingetreten. Von der Treppe kam ihm die Fürstin entgegen. Sie fuhr verwundert zurück: »Wirklich Sie! Nun, in der That, das nenne ich Muth.« Er hatte sich verbeugt, er war muthig geblieben. Sie war verschwunden. Auf der halben Treppe begegnete ihm der Legationsrath. Als Wandel ihn erblickt, blieb er stehen, lüftete etwas den Hut und öffnete den Mund, um – doch zu schweigen. Aber als Dohleneck auf der nächsten Stufe[363] war, hörte er seinen Namen: »Was soll's?« »Mein Herr Rittmeister,« sagte Wandel, »ich hege nicht die Anmaßung zu glauben, daß Sie in mir einige Theilnahme für Sie vermuthen, indeß erlauben Sie die Frage: Wollen Sie zur Frau Baronin!« »Wenn es Sie nicht inkommodirt,« hatte Dohleneck erwidert. »So vergönnen Sie mir wenigstens die Bitte, zu bedenken, welchem Empfang Sie sich aussetzen. Ihro Erlaucht, die Fürstin, muß Ihnen ja begegnet sein; sollte sie nichts gesagt haben? Sie sind der Herr Ihrer Handlungen!« verbeugte sich der Legationsrath. »Aber« – setzte er mit unterdrückter Stimme hinzu – »ich glaube eben so wenig, daß Herr von Dohleneck das arme Thier auf der Straße mit Absicht mißhandeln konnte, als ich glauben mag, daß ein Kavalier von Ihrem Herzen und Ihrer Ritterlichkeit ein Vergnügen daran finden kann, eine unglückliche Frau, die in Thränen sitzt, noch unglücklicher zu machen.« Und noch blieb der Rittmeister muthig. Die Klingel hielt er in der Hand, als ein Hundegeklaff vor die Thür stürzt. Das war der Hund des Aubry, die Kraniche des Ibycus. »New, mein Joly, der hässliche Mensch, der soll dir nicht wieder was thun,« hörte er die Stimme des Kammermädchens. – Er hatte nicht geklingelt; er war wieder auf der Straße. Joly knurrte hinter ihm am Fenster.

Und seitdem hörte der Rittmeister, wo er die Augen schloß, den Mops knurren und die Baronin weinen. »Alles um Dich!« – Er hatte wohl daran gedacht, sich in eine andre Garnison versetzen zu lassen; aber seine Schulden und seine Ehre! Nun kam ein tröstender Engel. Der Krieg befreit einen Militär von den Verfolgungen seiner Gläubiger und einen Liebenden von denen seiner Phantasie. Zu dieser trostreichen Ueberzeugung war der Rittmeister Stier von Dohleneck in dem Augenblick gelangt, er wollte auf diesen Tröster in der Noth ein Glas leeren, als, zu seiner Verwunderung, aus der leeren Flasche nichts mehr fließen wollte. Er schlug damit gegen das Glas, ein Zeichen, welches Herr Josty sehr wohl verstand, als die Thür aufging, aber statt des Konditors, der Kaufmann Herr van Asten eintrat.

Sie mussten sich Beide schon kennen, aber die Freude des Wiedersehens schien auf Seiten des Rittmeisters nicht groß, noch weniger, als nach der ersten Begrüßung der Kaufmann einen Platz auf der Bank in der Art einnahm, daß er dem Offizier die Thür und den Ausgang dahin versperrte. Und als van Asten die abgetragene dicke Brieftasche aus dem Rock zog, zog sich auch das Gesicht des Rittmeisters sichtlich in die Länge.

»Sie werden sich hier die Augen verderben.«

»Bin Ihnen für Ihre Theilnahme sehr obligirt, aber was hier drin liegt, kenne ich Alles auswendig.«[364]

Diese Versicherung tröstete den Offizier noch weniger, besonders als er, trotz der Dunkelheit, mit seinem scharfen Auge einen länglichen, schmalen Papierstreifen, den van Asten jetzt unter andern auf den Tisch legte, sehr gut zu erkennen glaubte. Warum den Gruß der Batterie abwarten, lieber grad los darauf.

»Herr van Asten,« sagte er, »inkommodiren Sie sich nicht. Ich kenne den Wisch. Sind noch vierzehn Tage hin. Wenn ich am Verfalltage noch lebe, na, da sprechen wir weiter davon. Bin ich aber todt, machen Sie und ich unsre Rechnung mit dem Himmel –«

»Theuerster Herr von Dohleneck,« rief der Kauf mann, den Wechsel wieder in die Tasche schiebend, »was so viel Gerede um eine Bagatell! Zweihundert Thaler! Darum sollte der alte van Asten einen Offizier seines Königs molestiren! Bin ich ein Wucherer? Weiß ich nicht, daß ein Soldat vor dem Feinde Courage braucht? Courage und Kredit sind Verwandte und was kostet nicht die Feldequipage! Wie kann da ein Offizier an solche Lumpereien denken. Mancher hat auch sonst Liebes hinter sich. Möchte ihnen doch gern ein Angebinde zurücklassen.«

Der Rittmeister von Dohleneck sah ihn etwas groß, aber nicht sehr klar an. Der Eingang war zwar angenehm, aber wer bürgte ihm, daß es der Ausgang auch sein werde?

»Alle sind nicht wie Sie. Solidität wird eine immere rarere Eigenschaft, und der Krieg ist ein grausam Vergnügen. Wer weiß, wer zurückkommt und wer da bleibt! Wenn nun Alle blieben, wer soll da bezahlen. Wie viele Kaufleute sind mit ruinirt.«

Der Rittmeister sah mit Verwunderung wie der Kaufmann eine ganze Partie ähnlicher Papierstreifen auf den Tisch legte. Es überkam ihn ein Schauer in der Seele Derer, die sich mit ihrem Namen darunter geschrieben, seine Stirn aber runzelte sich bei der Vorstellung, daß der alte Geldmann ihn etwa ausersehen, um über die Verhältnisse seiner Kameraden Auskunft zu geben. Ein schlauer Seitenblick des Andern las, was in seiner Seele vorging. »Wie werde ich denn einen Offizier zum Zeugen aufrufen gegen seine Kameraden! Das weiß ich, jeder Offizier muß für den Andern gut sagen –«

»Na hören Sie, was das anbetrifft!«

»Wir verstehen uns ja! Kavalierparole ist sehr was schönes. Giebt gar nichts schöneres in der Welt. Aber bei Wechseln, da halten wir Kaufleute, 's ist so 'ne alte Usance, uns an andre Dinge. Wer ins Feld marschirt z.B. kann nicht Alles mitnehmen; man erleichtert's den Herren, nimmt ihnen was zu schwer ist ab.[365] Hatte da eben eine kleine Konferenz mit unserm Manteuffel. Das ist ein praktischer Mann.«

»Hol' ihn der Teufel!« sagte der Rittmeister.

»Weiß wohl, daß ihm die Herren Offiziere nicht sehr grün sind. Ja, lieber Himmel, wenn mal 'ne Sache unterm Hammer steht, giebt er sie weg um jeden Preis. Das ist wahr. Ist nu mal nicht anders. Die Moral ist, man muß es nicht dahin kommen lassen. Was nun des Herrn Rittmeisters kleinen Wechsel anbetrifft, so machte mir Herr Manteuffel die Proposition –«

»Seelenmann, Sie werden mich doch nicht an Manteuffel verkaufen?«

»Verstehen Sie mich, er wollte Sie einem Andern abgeben.«

»Das ist ja Seelenverkäuferei!«

»Sagte ich auch. Und ich wusste ja nicht, ob Sie gern mit dem Herrn in Konnexionen kämen. Nun wir kennen uns! Aber der Herr ist ein Fremder, und voll hätte er auch nicht gezahlt, und wie gesagt, wer weiß, ob Ihnen das recht ist, an den Legationsrath von Wandel abgegeben zu werden.«

»Der!« Der Rittmeister legte schwer seine Hand auf den Tisch.

»Sehen Sie, das hab' ich Manteuffeln auch gesagt. Er ist ja ein Ausländer! Sollen wir preußisches Blut, einen Soldaten unsres Königs, an einen Fremden verrathen? Wissen Sie denn, in wessen Diensten der Herr ist? Kann er nicht ein Agent des Bonaparte sein, kann der nicht den Auftrag haben, alle Wechsel aufzukaufen, die preußische Offiziere ausgestellt haben? Und wenn der Krieg losgeht, die Herren marschiren sollen, ja da hat der König keine Offiziere. Alle eingesteckt in Wechselarrest. Kann nun ein König Krieg führen ohne Offiziere? Der Bonaparte drüben freilich, woraus macht der sich nicht welche! Die sind denn auch danach. Aber wir müssen sie doch aus den Kadettenhäusern haben, aus guten Familien. Der Napoleon ist es im Stande, sagte ich zu Manteuffeln, denn dem ist Alles möglich. Manteuffel wischte sich die Brille ab, und meinte, ich dächte wohl an England, das Napoleon zu ruiniren denkt. Aber was für England passt, passe nicht für uns, wir hätten keine Bank zu sprengen. Ja, antwortete ich, wäre ihm doch beinahe gelungen. Und 's kann auch hier Manches springen. Aber 's soll ihm nicht gelingen. Meinen Herrn von Dohleneck soll er nicht in seine Klauen kriegen, ehe wir nicht wissen, wer er ist. Nun freut mich zu hören, daß der Herr Rittmeister ihn kennen, denn Sie fürchten sich in seine Hände zu kommen.«

Der Rittmeister sah den schlauen Mann auch etwas schlau an:[366] »Mich will bedünken, daß mein Herr van Asten ihn besser kennt als ich; sonst –«

»Der klügste Mann weiß nicht Alles, und der beste Kaufmann lässt sich auch betrügen.«

Es schien etwas im Kopfe des Rittmeisters, den der Rothwein noch nicht umdüstert hatte, aufzublitzen: »Halt, da entsinne ich mich –«

Van Asten blätterte und glättete über zwei Papierstreifen. »Ein gelehrter Mann, ein feiner Mann, ein Mann von vielen Kenntnissen, hübscher Konduite. O ist gar nichts gegen ihn zu sagen, ein charmanter Mann –«

»Hol' ihn der Teufel!«

»Das ist schon manchem charmanten Mann passirt. Thäte auch gar nichts. Ein guter Wechsel gilt im Himmel und in der Hölle, man muß nur den Aussteller kennen. Es freut mich, Herr Rittmeister, daß Sie auch davon wissen. O wir haben manche Geschäfte mit einander gemacht, der Herr Legationsrath und ich. Prompt auf die Minute, und hat eine glückliche Hand. Wünsche sie Ihnen, Herr Rittmeister. Wirklich und wahrhaftig, Ihnen gönne ich alles Gute, das große Loos, 'ne todte Tante mit hundert Tausend, und noch lieber 'ne reiche Frau mit 'ner halben Million. Sie sind ein so gemüthlicher Mann. Hätte ich 'ne Tochter, na wer weiß. Ich sage – gegen die Wechsel ist auch gar nichts zu sagen. Sie sind nur etwas sehr lang. Und wem ich sie abgeben will, der sagt, was ich mir auch sagen könnte. Man ist manchmal auf den Kopf gefallen, Herr Rittmeister. Fallen thut nichts; man steht wieder auf. Aber auf den Kopf muß man nicht fallen, Herr Rittmeister! Also sagt mancher Mann: es kann ja inzwischen was passiren, er kann ja auch in den Krieg wollen, es kann ihn eine Kugel treffen. Einen todten Menschen kann man nicht in Wechselarrest bringen. Und wenn er auch nicht in den Krieg zieht, die Herren Kavaliere haben oft Händel. Sehen Sie mal, er kann ja in ein Duell gerathen. Paff! Wird mich der Todtschießer honoriren? Ja, wenn so ein Gesetz existirte! – Fällt mir bei, der Herr von Wandel hatte ja neulich eine solche Affaire. Richtig! Mit dem Sohn vom Geheimrath Bovillard! – Und Sie – ja Herr Rittmeister waren ja dabei.«

»Wissen Sie das auch?«

»Der Herr Legationsrath waren wohl erstaunlich muthig? Wollten immer drauf los?« Jetzt fixirte der Rittmeister den Anderen: »Hol' mich Der und Jener! – Ich glaube, Sie wollen mich aushorchen, was ich von ihm denke.«

Herr van Asten sagte nicht ja und sagte nicht nein; er lächelte nur: »Weiß schon vielerlei, aber – wenn man auch schon das[367] ganze i geschrieben hat, kann's einem doch gerade noch auf das Tippelchen drauf ankommen. Ist ein Politikus. Einem Politikus gegenüber muß man wieder einer sein. Ob er ein Spion des Groß-Mogul ist, oder ein Geisterseher, oder ein Magnetiseur, oder ein Lovelace, oder – oder – was kümmert's mich, aber – verstehen Sie mich, das Eine möchte ich wissen, ist's da mit rechten Dingen zugegangen, oder –«

Der Rittmeister fuhr mit der Hand in die Frisur: »Blitz, ich glaube nein! Und wollen Sie's recht wissen, drei Mal, drei Mal nein. Und – unter uns: Es stinkt! Er hat's, Gott weis; durch wen, der Polizei gesteckt.«

»Also nicht der junge Bovillard?«

»Ein grundehrlich Blut, réparation d'honneur. Wie ein Kavalier sich benommen.«

»Aber der Legationsrath hat ihn wieder aus dem Gefängniß losgebeten?«

»Um ihn als Kourier fortzuschicken. Die Memme!«

Der alte van Asten lehnte sich auf den Tisch und schüttelte den Kopf: »Da hätten wir also das Tippelchen auf dem i. – Na, Herr Rittmeister, welchen Wein lieben Sie am meisten? Werden mir doch die Ehre erweisen und Bescheid thun auf ein Gläschen?«

Ein Tokaierfläschchen stand auf dem Tisch und färbte schon mit dunklem Gold zwei Gläser, als Dohleneck noch immer nicht wusste, wie er dazu kam. »Nu stoßen Sie an,« sagte der Kaufmann. »Worauf?« »Auf einen alten Esel! – Ja, sehen Sie mich nur recht an, und dann dreist los!« Die Gläser klangen, der Rittmeister zauderte aber doch fast erschrocken, ehe er den Feuersaft an die Lippen brachte.

»Aber Herr van Asten, wie komme ich dazu?«

»Warum ich ein alter Esel bin, das wünschen Sie zu wissen. Sie sollen's. Ist's mir doch so, als müsste ich Einem mein Herz ausschütten. Drei dumme Streiche! Wenn Sie die gemacht, na was wär' es! Ein Kavallerie-Offizier braucht nicht zu denken, aber ein alter Kaufmann! Pfui! – Pro prima, das ist wacklicht, pro secundo, das ist faul und pro tertio, das ist dumm. Pro primo, das sage ich Ihnen nicht, ist ein Kompagniegeschäft mit einem vornehmen Herrn. Das wackelt noch, aber kommt Krieg – fliegt's in die Luft; der große Herr wird sich salviren, der kleine bleibt hängen. Die Moral ist, 's ist nicht gut mit großen Herren Kirschen essen. Pro secundo habe ich vom Legationsrath drei kurze Wechsel auf drei lange prolongirt! Denken Sie, neun Monat! Darüber muß ein Kind zur Welt kommen; wenn nun ein Krieg kommt, wenn er eclipsirte! Die Moral ist: wenn man[368] einen Aal am Kopfe hält, muß man nicht loslassen, sonst sitzt man bald am Schwanzende. Und drittens, denken Sie sich, da habe ich eben eine ganze Schrift, die der Nachbar Herr Mittler gedruckt hat, für mein baares schweres Geld aufkaufen lassen, verstehen Sie, alle fünfhundert Exemplare«

»Was! Wollen Sie auch Buchhändler werden?«

»Gott bewahre mich! Kontobücher, die andern taugen nichts.«

»Was steht denn drin, was Sie so sehr interessirt?«

»Lauter dummes Zeug.«

»Was wollen Sie damit?«

»Verbrennen! Sind schon Asche.«

»Pestilenz!« rief der Rittmeister. »Sie sind mir ein kurioser Mann.«

»Möglich. Sehen Sie, das dumme Zeug rührte von mir her, nämlich Blut von meinem Blut, von meinem Sohn. Konnte ich's nun übers Herz bringen, das dumme Zeug unter die Leute laufen zu lassen? Also fix in die Tasche gegriffen und Manteuffeln es ma chen lassen.«

»Nu, das ist pfiffig gehandelt.«

»Recht dumm, Herr von Dohleneck. Manteuffel glaubt zwar, er hat sie Alle gekriegt, aber Eins oder das Andere ist doch unter den Tisch gefallen, und wer das weg hat, giebt's nicht raus. Wird's nun erst bekannt, man kriegt keine mehr, dann fallen sie drüber her wie die Fliegen über's Aas, Jeder will's lesen. Ist das nun nicht eine pure Dummheit, hundert Thaler wegzuschmeißen, damit ich was Dummes erst recht in die Welt schicke!«

Das lag außer dem Departement des Rittmeisters. Er stellte ein leeres Glas auf den Tisch: »Herr! wissen Sie was? – Aber verrathen müssen Sie mich nicht. Den einen dummen Streich wollen wir Ihnen repariren. Dem Legationsrath passen wir Alle auf die Finger, und wenn er sich mal attrapiren lässt, dann soll er Ihnen kein Kopfweh mehr machen.« Der Kaufmann war aufgesprungen und fasste den Rittmeister mit beiden Händen, ich glaube es war nur an den Kragen; ursprünglich war die Liebkosung den Ohren oder Backen zugedacht. Der Respekt ließ die Hände tiefer sinken: »Herr, sind Sie des Teufels! Keine Hand angerührt an meinen theuren Legationsrath! Wollen Sie mir fünftau – wissen Sie, wie hoch die Wechsel sind? – Herr, Goldmann, daß Dich! Nicht rühren an den Mann, bis – Wollen mich doch nicht ruiniren? – Und Alles bleibt geheim, nicht wahr?«

»Die Wände werden nicht plaudern,« sagte der Rittmeister. Ein deutscher Handschlag, und der Rest der Flasche floß in das Glas des Offiziers. »Also,« sagte der Kaufmann, »indem er den bewussten Wechsel zum nicht geringen Befremden des Offiziers[369] wieder aus der Brusttasche zog«, »also auf wie lange wollen Sie ihn prolongirt? – Denke auf neun Monat. Lieber Gott, in neun Monat, was ist da nicht geboren!« Mit einem raschen Schriftzug war die Prolongation erfolgt.

»Sie haben mir 'nen recht großen Gefallen gethan,« schloß van Asten. »Könnte man alle Geschäfte so schnell abwickeln! Passirt aber auch nur unter Freunden, die sich ganz verstehen. Und wenn Sie sonst zur Equipage noch etwas bedürfen, einhundert oder zweihundert Thälerchen, klingeln Sie nur, Spandauerstraße, gleich um die Ecke, das dritte Haus, und dann links auf dem Hofe ist der Eingang.«

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 361-370.
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