Das Stubenmädchen

[141] Mein auf mich kolossal eifersüchtiges schönes junges Stubenmädchen (ohne Grund und ohne Recht, aber bitte, solche Kleinigkeiten!?): »Sie, Herr Peter, san a wahrhaft glücklicher Mensch! Ihnen g'fallt amal ane Jede!«

Ich erwiderte sanftmütig: »Kennen Sie, Anna, die Legende vom Heiland und dem toten Hunde?! Nun, der Heiland ging an einem heißen Augusttage durch eine staubige Dorfstraße. Er blieb vor dem übelriechenden Kadaver eines Köters stehen und betrachtete ihn lange. Das sich herumdrängende Dorf-Volk sagte: ›Herr, was findest Du Besonderes an diesem Kadaver?!‹ Da erwiderte der Herr: ›Oh, seht doch die blinkende Reihe von fast unsterblichen weißen Zähnen!‹«

»Dös versteh' i aber schon gar net!« sagte mein schönes süßes Stubenmädchen.[141]

»Nun siehe, an jedem Menschen, an jeder Frau, kann etwas Besonderes, Apartes, Schönes, Wertvolles sein! Daran sich zu halten und es herauszufinden, ist Sache großer tiefer Herzen!«

»Ach so, no ja, tief und groß is dös schon, aber merken's Ihna, uns paßt's halt doch net!«

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 141-142.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]