Die Abrechnung

[323] Ob ich Dich liebe?! Siehe, mein Bekenntnis:

Ich liebe an Dir Alles, was an

Dir liebenswert ist. Nichts entgeht meinem Blicke.[323]

Was an Dir nicht liebenswert, bewundernswert ist,

Das kann ich nicht lieben!

In gleichem Maße liebe ich an allen, allen Anderen, was an Ihnen besonders und bemerkenswert ist. Bin ich denn blind und taub?!

Wie kann ich mich verschließen dem Besonderen?!

Wie kann ich liebevoll sein, wo es nichts

Besonderes gibt?! Die Welt ist reich und arm zugleich.

Wie macht Ihr es, Glückselige, daß Ihr ein Auge zudrückt, dort, wo es Euch gerade paßt?!

Während mir gerade dort die Augen doppelt scharfsichtig werden und mein unerbittlicher

Sperberblick durchschaut?!

Auf meines sogenannten Glücks Gefahr sogar!?

Ihr Anderen seid genügsam, eingedenk nämlich

Eurer eigenen Unzulänglichkeiten!

Ich aber bin im Bewundern und Verachten, im Anerkennen

und im Mißbilligen vor allem zulänglich.

Ich scheue mich nicht, die Geliebte wegen meiner

gesprochener grausamer Wahrheiten zu

verlieren! Verlieren?! Kann man überhaupt verlieren, was wertlos ist?!

Es ist ein Prüfstein, ob sie standhält

den Wahrhaftigkeiten! Das ist ihr Wert!

Wer nachgibt, gibt nur scheinbar nach hienieden.

Er glaubt, geschickt sich durchzuschlängeln.

Die verlogene Stunde eilt Ihm jedoch nach die Ihn

[324] bestraft für alle seine feigen Nachgiebigkeiten!

Sei besonders, Fraue! Auf daß ich besonders Dich bewundern könne! Amen.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 323-325.
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