Der Letzte

[325] Ja, als A.K. in den Ballsaal damals eintrat, vor 40 Jahren, da empfand ich es ganz genau, daß ich nie, nie, nie wieder in meinem Leben, seitdem sind eben 40 Jahre verflossen, so eine »gerührte Stimmung« je haben werde! Sie wurde sogleich für mich zu einer Religion. Nun, in diesen Jahren ist es nichts Seltenes bei impressionablen Organisationen, aber daß es blieb, blieb, bis auf heute?! Niemals lernte ich sie persönlich kennen, jedoch genau trotzdem ihre süße liebliche Persönlichkeit. Sie hatte eher einen bräunlichen Teint, lange schmale bräunliche Hände, war so wie eine süße Vermengung von Indierin, Japanerin, Nubierin, kurz ganz exotisch. Welches Kleid sie anhatte?! Zitronengelben Tüll mit hellblauen kleinen Samt-Maschen, Niemand trug so etwas außer ihr damals, ganz exotisch. Ich hätte ihr gern gesagt, vor 40 Jahren: »Sie dürfen Das tragen, nur Sie!« Aber ich versäumte es. Am nächsten Tage langweilte ich meine gesamte Familie mit meiner Schwärmerei »A.K.«. »Hättest Du lieber einige Walzer mit ihr getanzt oder sogar eine Quadrille, oder Kotillon oder sie zum Souper geführt. Aber schwärmen, nachträglich, wenn der Ball zu Ende ist?! Was hat sie, was hast vor allem Du, Esel, davon?! Mache wenigstens ein Gedicht darüber und sende es an eine Zeitschrift!« Nein, ich bedauere, ich bereue[325] nichts, A.K.! Dieser holde Name hat mich begleitet und geleitet, in Wiesen, in Wälder, zu Bächen und Seen, zu wertvollen und wertlosen Frauen, zu Krankheit und zu Genesung, zu Irrtum und Wahrheit, zu Melancholie und zu Ergebenheit. Wie eine ruhige klangvolle Glocke, die mahnt und auffordert, seinen eigentlichen Idealen ewig treu zu bleiben! A.K., Gattin eines steinreichen Direktors, ich war der Erste und bin der Letzte, in Dem Deine Frühlings-Lieblichkeit hoheitsvollst weiterblüht! Sei gesegnet und bedankt. Ich bin jung geblieben; nein, noch viel jünger als ich je gewesen! Viel, viel jünger als Du! Du bist 57 und nun ich 60! Es hat sich nichts verändert.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 325-326.
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