Die Bedienerin

[338] Eine, die mich sofort zum Jüngling machte, nein, wieder zu P.A.!!! Sie bediente dort, aber schon ihre Art, Fremde zu bedienen, war das rührendste!!! Vor meinem hoffentlich baldigen Tode will ich ihr dienen, mit meiner zärtlichen Seele!!! Sie ist so entzückend, daß ich durch sie sofort wieder P.A. wurde! Nach Jahren Heil ihr, der Unbekannten! Sie machte mich durch ihren Anblick allein sofort zu Dem, Der ich bin, und Der ich seit Jahren nicht mehr war! Ich bete sie an. Peter Altenberg, 7./11.1918. Heil ihr!!!

Wer war man?! Nicht begeistert, sondern entgeistert! Ein Mensch wie jeder Andere, also kein Mensch! Nun erblickte ich sie angestellt in der Delikatessen-Handlung. Niemand kümmerte[338] sich um sie, sie arbeitete von Morgens bis Abends. Aber meine kranke Seele kümmerte sich innerlichst sogleich um sie. Heute ist der 8./11., 11 Uhr Nachts. Ich bin ewig gleich begeistert von ihr, und spüre den mysteriösen Unterschied mit allen, allen Anderen! Sie rührt, sie begeistert, man wäre opferbereit! Eine Heilige, die Wurst aufschneidet! Und wie zart-menschlich sie dabei ist, wie gutmütig! Ich denke immer, immer an sie, seit dem 7./11. 1918. Ich bin durch sie wieder »Peter Altenberg« geworden! Wie war Das noch möglich? Ich war bis dahin ein ganz Anderer, ein Begeisterungs-loser, Etwas Furchtbares! So wie alle Anderen! Niemand versteht Das. Empfindungen sind »Mysterien der Seele«. Da gibt es nichts auszuklügeln! »Ich hebe ihr liebevoll-zärtlich-gern« ihren Handschuh auf, oder es ist mir vollkommen gleichgültig, daß er auf dem Boden liege! Um Das eigentlich dreht sich Alles! Außer man ist ein Schwindler! Leben ist nicht leben! Es gibt nur ein »begeistert leben«. Woher aber nimmst Du es, wenn Du es in Deiner eigenen Seele nicht findest?! Glaubst Du, Esel, Eselin, daß irgendein Anderer Dir es verschaffen kann?!? Durch irgend Etwas? Das sind ja nur »Schwindeleien« und »frechster Selbstbetrug«. Viele leben davon jahrelang, d.h. sie schwindeln sich Jahre lang hindurch. Die »Menge« ist auf ihrer Seite, leider Gottes, auf der Seite der Schwindler, zu Denen sie eben Alle auch gehören! Der »anständige« Mensch erkennt sein Schicksal und ergibt sich! Wenn er nicht durch irgend Etwas reell begeistert dahinleben kann, so ergibt er sich dem dumpfen, unentrinnbaren Schicksale! Man kann[339] nicht betrübt sein wollen, man ist es oder man ist es nicht! Mädchen aus dem Delikatessen-Geschäfte, Niemand wird Dich jemals so verehren, wie ich Dich! Meine schwere Nerven-Erkrankung seit 11 Monaten (seit Oktober 1918, jetzt ist – – –) verhindert mich, meine Seele tönen zu lassen, zu Deinem Preise und zu Deiner Ehre! Denn ich ehre Dich, Unbekannte! Komme oder komme nicht, aber wenn Du kommst, so komme wieder! Peter Altenberg, 9./11. 1918, 6 Uhr morgens.

9./11., 11 Uhr vormittags. Mein Herz ist in Tränen. Ich kann nichts für sie tun, ohne »meine zärtliche Hysterie«, zu zerstören, und sie nichts für mich. Es wird eine tragische Geschichte werden meinerseits. Und sie wird sich hie und da in ihrem schweren Leben daran erinnern, daß ein Unbekannter ihre Seele liebte, sofort. In verlassenen Stunden wird sie sich an die Erinnerung klammern, stützen. Und ich, und ich?! Ich werde ihren Namen nennen, liebevollst, nennen, solche Beziehungen werden durch nichts zerstört. Es gibt immer Stunden, da sie an Dich denken wird, und ganze lange, bange Nächte, da Du an sie denkst! Die Gifte »Gewohnheit« und »Enttäuschung« können nicht vergiften. In milder Ergebenheit lebt Ihr dahin – – –. Des Alterns, des unmerklichen, haßerfüllten Gifte fehlen, und stille Wehmut siegt in Euren also unbesiegten fernen Seelen!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 338-340.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Lebensabend
Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]