Diebstahl

[167] Ich bin nie bestohlen worden, ich meine in brauchbaren Effekten, nicht in »literarischen«, aber auch diesbezüglich schrieb jüngst die »Leipziger«: »Viele ahmten ihm nach, aber nicht zu unserem Heile!«[167] Einmal bin ich aber doch bestohlen worden. Man stahl mir meinen neuen Rohseide-Anzug, 90 Kr., den mir Architekt Loos geschenkt hatte. Loos sagte: »Selbstverständlich, nur Den, Deine anderen verrückten Janker kann er ja nicht tragen, da schreit ja die ganze Stadt: ›He, aufhalten, Dös is vom Altenberg!‹« Einmal bin ich bestohlen worden um meine Seelenruhe, die Gans blieb vor jedem Theaterplakate auf der Straße stehen und sagte: »Du, spielt heut' der Fürth?!« Aber kürzlich ist mir etwas passiert, was ich trotz meiner Veranlagung psychologisch mir nicht ganz erklären kann?! Ich habe ein Reise-Besteck in Lederfutteral, Löffel, Gabel, Messer. Ich reise nie, wenn ich aber auch reisen sollte, so brauche ich kein Besteck. Dieses Reise-Besteck war nur für meine Phantasie: Du hast zwar kein Reisegeld, aber ein elegantes Reisebesteck, gerade das luxuriöse Überflüssige des Reisens! Nun, aus diesem Besteck-Etui fehlt mir die zusammenlegbare Gabel. Ich könnte es mir psychologisch erklären: Das Mes ser! Man braucht oft ein Messer, und hat keines, gerade wenn man es braucht, hat man keines. Der Diebstahl ist psychologisch verständlich. Der Löffel! Mein Gott, man braucht auch einen Löffel, zum Beispiel gleich wenn man krank ist, der Arzt sagt: Ein Eßlöffel voll dreimal täglich, morgens, mittags und abends. Auch Das ist noch psychologisch erklärbar. Aber eine Gabel, meine Herren, eine Gabel, wozu nützt eine Gabel allein?! Was will man aufgabeln, ohne Messer?! Ich stehe vor einem Rätsel. Es ist – – ein »neuropathisches« Individuum gewesen. Ich habe Löffel und Messer, ich sollte dem Schicksale[168] danken, daß der Neuropathische mir Löffel und Messer gelassen habe. Aber gerade jetzt, da ich den Verlust beklage, erkenne ich erst den ganzen Wert einer Gabel! Mein Traum einer luxuriösen Reise, die ich nie gemacht hätte, ist zerstört durch die neuropathische Veranlagung eines mir unbekannten Individuums! Wozu braucht man eine Gabel allein, ohne Messer?!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 167-169.
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