Premiere

»Der Kirschgarten«

[166] Tragikomödie in 4 Akten, von Anton Tschechoff


Lauter Menschen, die sich nicht auskennen im Leben und in sich selbst. Momentane Selbsterkenntnisse und der allgemeinen Lage flüchtiger Dämmerblick! Aber es hilft nichts. Weshalb starrt mein Mädchen den Schauspieler G.F. mit dem Opernglase an?! Spielt er besonders?! Weshalb starrt sie nicht den Schauspieler K.J. an, der besonders spielt, oder den W. St. oder den K.P.?![166]

Wie gesagt, in diesem tiefen; tief-ernsten Stücke, das gar nicht lustig ist, obzwar es ganz lustig ist, insofern Menschen, die sich nicht auskennen, stets ein wenig tragisch-lustig, bedauernswert-lächerlich sind, nicht?! Also in diesem Stücke »Der Kirschgarten«, weshalb starrt mein Mädchen mit ihrem notabene von mir geschenkten Opernglase unaufhörlich, sage und schreibe »unaufhörlich«, auf diesen Schauspieler G. hin?! Ist er so besonders gut?! Ist J., ist St., ist P. nicht besonderer?! Also lauter Menschen in dem herrlichen Stücke, die dahintorkeln, dahinschwanken, aber niemals den Fuß sicher und elastisch dorthin setzen, wohin er gehört. »Du, meine Liebe, das Opernglas habe ich Dir geschenkt, mißbrauche es also nicht!«

Das Stück hat trotz allem so merkwürdige Zartheiten. Ich ging vor dem letzten Akte weg wegen des von mir geschenkten Opernglases. Ich sagte auf der Straße zu ihr: »Schäme Dich!« Im letzten Akte wird aller Wahrscheinlichkeit nach der alte Kirschgarten, um den es sich dreht, verkauft und abgesägt, um einer neuen Welt, einem Villen-Viertel Platz zu machen. Man soll nur absägen! Und Platz machen! Bravo, ein feines, ein zartes, ein aus dem Leben gegriffenes Stück!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 166-167.
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