Ein Liebesbrief, der noch nie geschrieben wurde

[136] »Geliebter Peter, ich weiß meinen Wert einzuschätzen, ohne Eitelkeit, Selbstbetrug, billiger Lebens-Lüge! Ich weiß aber vor allem, was Du alles noch brauchst, was ich zufällig durch Schicksals dunkle Fügung nicht besitze! Sagen wir zum Beispiel, aber wozu anfangen und niemals enden?! Es gibt soviel Entzückendes in der Welt, verteilt auf Viele! Wer wärest Du, wenn Du es nicht sähest, spürtest, daran littest?! Da wärest Du ja gleich jenen infamen Hunden, die aus Bequemlichkeit und innerer Feigheit, nun Du weißt es ja? Und dennoch Dir, unter diesen Umständen, etwas Besonderes, Wichtiges, Wertvolles, ja Unentbehrliches zu sein, ist mir eine große Genugtuung, ein Stolz, eine Ehre! Ich verstehe infolgedessen diejenigen meiner Mit-Schwestern gar nicht, die glücklich darüber sind, einem Manne Alles zu sein. Das kann man ja ehrlich gar nicht! Und wenn, so ist er doch nur ein beschränkter Mensch! Es gibt Frauen, die sich freuen, einen beschränkten Menschen gefunden zu haben, ich bin leider nicht so anspruchsvoll!«

Dieser Liebesbrief ist noch nie geschrieben worden, obzwar er von Allen an Alle irgendeinmal geschrieben hätte werden müssen!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 136.
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