Erste Lektion

[111] Ich habe in meinem kleinen Hotel sogleich Bissels »Teppich-Kehr-Maschine« vor vier Jahren eingeführt. Der »Vacuum-Cleaner« ist, wie Alles in der Welt, wenn auch ganz unverständlich, nur funktionierend in »Palast-Hotels«. In kleineren Hotels geniert er sich, verliert seine organische Arbeitsfreudigkeit. Zuerst tut er nur so gerade noch ziemlich lieblos seine Pflicht, und allmählich, völlig absichtslos, stellt er auch diese ein. Bissels »Teppich-Kehr-Maschine« aber ist »sozialdemokratisch-modern«. Für die 50 Kronen, die sie ein für allemal kostet, reinigt sie jeden noch so engen, noch so düsteren, noch so minderen Hotelgang. Sie überhebt sich nicht, denn es ist auch kein Grund dazu vorhanden, da sie einfach »Bissels Teppich-Kehr-Maschine« ist und vorstellen will und keinerlei andere Ambitionen hat. Der[111] »Vacuum-Cleaner« kann sie »Buckel-Kraxen tragen«, sie hat keinerlei Ehrgeiz, es ihm gleichzutun. Suum cuique. Außerdem versagt er meistens, während sie nie versagt. Alle unsere »heiligen«, »Arbeitsrastlosen« Stubenmädchen seit den vier Jahren, da ich das Glück habe, hier zu logieren, waren momentan ganz vertraut mit Bissels Kunstwerkchen der Teppichreinigung. Jetzt aber, seit 1. September 1917, haben wir eine bildhübsche Bauerntochter aus Oberösterreich, die von »Bissel« keine Ahnung hat. Heute Nachmittag einhalbzwei überraschte ich sie zufällig bei ihrer Arbeit. Sie benahm sich äußerst anmutig-ungeschickt. Zwischen »Bissel« und ihr lag ein Ozean von »Mißverständnissen«. Sie drückte ihn so stark als möglich auf den Teppich nieder beim Rollen, während »Bissel« anmutig leicht, fast gleichgültig, behandelt werden will, und vor allem in gerader Richtung! Ich unterwies sie taktvoll unverletzend in der richtigeren Behandlung Bissels. Sie sagte: »Ich bitte zu entschuldigen, ich war ja früher niemals noch Stubenmädchen, nur die Not hat mich jetzt dazu getrieben!« Ich erwiderte: »Mein liebes Kind, es gibt zahllose ›gelernte‹ Stubenmädchen, die auch nicht mit ›Bissel‹ umgehen können! Es ist keine Schande, Bissel absichtlich stark auf den Teppich niederdrücken zu wollen; Gott sei Dank haben Sie, Holdeste, mich als Berater an Ihrer Seite!«

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 111-112.
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