Ethische Angelegenheiten

[110] Er erklärte plötzlich, er könne seine junge Gattin nicht mit in das Konzert in der kleinen Stadt mitnehmen, da ihre Anwesenheit ihn von der Versenkung in »Beethoven« störe. Die junge Frau und der alte kranke Dichter fühlten es sogleich, daß er dadurch dem Dichter die Gesellschaft seiner Frau für den Abend selbstlos erhalten wolle. Deshalb traf ihn naturgemäß ein gerührter Blick des hilflosen erstaunten Dichters. Die junge Frau aber sagte: »Zum eventuellen Opfer bringen aus Rücksicht für unseren Dichter ist meine Seele da, nimm den gerührten Blick des von Uns verehrten Dichters gefälligst nicht für Dich in Anspruch, ja, bitte!«[110]

Außerdem hätte sie gern dem eleganten Publikum des Städtchens ihr kaffeebraunes weites Seidenkleid mit den gelben Spitzen, die grüne P.A.-Kette und den neuen silbernen Ehering vorgeführt. Der Dichter aber dachte oder fühlte: »Na schön, jetzt wird sie mißmutig den Abend lang neben mir ein Opfer bringen, das Er gebracht hat. Und vielleicht stört sie ihn übrigens wirklich punkto ›Beethoven‹, na, für so einen Idealisten wollen wir ihn Gott sei Dank doch nicht halten! Vielleicht war er eifersüchtig auf die ›voyante‹ Kleidung seiner jungen Frau! Wie dem auch sei, ich habe bei dem Ganzen ziemlich wenig Profit!«

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 110-111.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Lebensabend
Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]