Evolution

[161] Du hinderst mich an meiner Entwicklung – – –

Ihr lächelt, ha, mit 57, ja, jede Stunde seines Seins kann man sich noch entwickeln,

solange Geist und Seele klar-elastisch sind!

Du hinderst mich, in Allem und in Jedem,

zum Beispiel wenn Du bleich zu zittern anfängst wegen der Lisabeta.

»Darf ich Elisabeth also nicht sehen?!« »Oh, Du darfst. Aber ich darf zittern – – –.«

Also darf ich nicht, Elende! Hemmschuh an meinem Rade!

Doch was kannst Du dafür?!

Würdest Du mir nicht von ganzem Herzen meine Freiheit gönnen, wenn Du es könntest?!

Und weshalb habe ich, der Mann, dieses Gehirn des Lebens und der Welt,

nicht vor zwei langen Jahren es nicht geahnt, gewußt, vorausberechnet,

Du würdest, in meinen stahlharten Pranken gefesselt, mich nicht mehr loslassen?!

Dieser heilige Satz des Beginnes von Wagners »Götterdämmerung«:

Brünhilde: »Zu neuen Taten, teurer Helde, wie liebt' ich Dich,

ließ' ich Dich nicht (fortziehen)?!«

bezieht sich eben nicht auf »andere« Frauen,[161]

sondern nur auf, der liebenden Frau gleichgültige,

sogenannte Mannestaten! Ist also ein Schwindel!

Also ist es völlig wertlos, ihm seine Freiheit zu gönnen, wenn es gerade Die nicht sein darf, die man ihm eben nicht gönnt!

Zu neuen Taten, ja, aber nicht zu Elisabeth!

Und eben nur Elisabeth bringt mir neue Kraft!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 161-162.
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